Ein kleines Zimmer in den Büroräumen des Lettischen Menschenrechtszentrums in Riga: Anhelita Kamenska sammelt in dicken Ordnern Berichte und Zeitungsartikel über die Arbeit der lettischen Polizei. Seit fast zehn Jahren beschäftigt sich die Juristin mit diesem Thema und zuletzt hat sie eine besorgniserregende Tendenz festgestellt:
"Im letzten Jahr sind erschreckend viele Menschen gestorben, weil sich Polizisten falsch verhalten haben. In Sigulda starb ein Geschäftsmann an den Verletzungen, die ihm in Untersuchungshaft zugefügt wurden. Im Winter sammeln Polizisten Obdachlose im Stadtzentrum ein und setzen sie bei Minustemperaturen in den Wäldern aus - im Januar ist deswegen ein Mann erfroren, das war in Tukums, außerhalb von Riga."
Auch der Bericht des Anti-Folter-Komitees des Europarats dokumentiert viele Fälle. Die Experten besuchten 2002 und 2004 mehrere Polizeistationen und Gefängnisse. Die Delegation beklagte damals nicht nur "dreckige und unhygienische Zellen", sondern berichtete auch, dass Verdächtige mit Elektroschocks gequält worden seien. Wiederholt seien ihnen Plastiktüten über den Kopf gestülpt worden, um sie am Atmen zu hindern - dies sei Folter. Die Fälle seien durch medizinische Atteste belegt worden. Der Regierung warf das Komitee vor, falsche Zahlen geliefert und Empfehlungen missachtet zu haben. Eine Frage nicht nur des fehlenden politischen Willens, so Anhelita Kamenska:
"Nach der Unabhängigkeit waren sich die Behörden nicht bewusst, was es bedeutet, all diesen internationalen Konventionen und Organisationen beizutreten. Lettland ratifizierte 51 Konventionen, ohne zu überlegen, welche wichtig sind und welche nicht. Die Folgen sind klar: Die lettischen Berichte waren immer zu spät, manchmal fünf oder gar neun Jahre."
Ein weiterer Faktor: In Lettland gab es seit 1991 mehr als ein Dutzend Regierungen, die Minister für Inneres und Justiz wechselten ständig. Anhelita Kamenska hofft, dass die Regierung künftig über Alternativen zu strengen Gefängnisstrafen nachdenkt. Denn in keinem anderen der 27 EU-Staaten sitzen relativ gesehen mehr Bürger in Haft als in Lettland: Auf 100.000 Einwohner kommen 287 Häftlinge, im ähnlich großen Slowenien sind es nur 66. Kamenska führt dies auf die Erfahrungen der Sowjetzeit zurück - viele der noch heute aktiven Polizisten und Richter wurden vor 1991 ausgebildet. Diese hätten wenig Interesse, Beschwerden aufzuklären. Hier finde jedoch inzwischen ein Umdenken statt, berichtet Ilze Rukere. Sie arbeitet seit Januar 2008 als Beraterin des lettischen Polizeichefs und präsentiert, wie Beschwerden im Internet eingereicht werden können:
"Hier kann jeder Bürger alles eintragen: Wo der Vorfall genau stattgefunden hat, was passiert ist und welche Fehler die Polizei angeblich gemacht hat. Hier steht, welche Fakten er angeben muss, wer seinen Antrag prüft und wie er über das Ergebnis informiert wird. Ganz unten stehen alle Kontaktinformationen."
Ilze Rukere, die früher selbst als Menschenrechtsaktivistin tätig war, soll auch die Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen verbessern und Kontakt zu den Bürgern suchen. Eine aktuelle Umfrage habe ergeben, dass das Vertrauen der Letten in die Polizei gar nicht so niedrig sei - obwohl im Internet Videos über korrupte Beamte kursieren. Gatis Svika, sonst zuständig für die Kooperation mit der EU, reiste 2007 nach Genf, um vor der Uno die lettische Sicht zu präsentieren:
"Natürlich wissen wir, dass hier nicht alles perfekt ist. Meiner Meinung nach kann man diese Probleme in zwei Kategorien teilen: Das eine ist unsere Ausrüstung, die Ausstattung der Zellen etc. - alles, was mit Geld zu tun hat. Das andere ist das Personal. Hier können wir ohne große Investitionen einiges erreichen: Wir müssen unsere Beamten besser ausbilden und ihnen klar machen, was die Gesellschaft von uns erwartet."
Trotz der positiven Anzeichen und den Bemühungen der Behörden erwartet die Menschenrechtlerin Anhelita Kamenska, dass sich die Situation nur langsam verbessern wird - das alte Denken sitze noch sehr tief. Für sie steht eines fest: Es sagt viel über eine Gesellschaft aus, wie sie ihre Häftlinge behandelt:
"Die Frage der menschlichen Würde ist etwas, das Behörden und auch die meisten Menschen in Lettland noch nicht verinnerlicht haben. Als Besucher im Gefängnis merken Sie das ständig: Wenn Ihnen ein Häftling auf dem Gang entgegenkommt, wird er gezwungen, sich mit dem Kopf an die Wand zu stellen und Ihnen den Rücken zuzuwenden. Das ist erniedrigend, aber es passiert immer noch - und wird mit Sicherheitsgründen gerechtfertigt."
"Im letzten Jahr sind erschreckend viele Menschen gestorben, weil sich Polizisten falsch verhalten haben. In Sigulda starb ein Geschäftsmann an den Verletzungen, die ihm in Untersuchungshaft zugefügt wurden. Im Winter sammeln Polizisten Obdachlose im Stadtzentrum ein und setzen sie bei Minustemperaturen in den Wäldern aus - im Januar ist deswegen ein Mann erfroren, das war in Tukums, außerhalb von Riga."
Auch der Bericht des Anti-Folter-Komitees des Europarats dokumentiert viele Fälle. Die Experten besuchten 2002 und 2004 mehrere Polizeistationen und Gefängnisse. Die Delegation beklagte damals nicht nur "dreckige und unhygienische Zellen", sondern berichtete auch, dass Verdächtige mit Elektroschocks gequält worden seien. Wiederholt seien ihnen Plastiktüten über den Kopf gestülpt worden, um sie am Atmen zu hindern - dies sei Folter. Die Fälle seien durch medizinische Atteste belegt worden. Der Regierung warf das Komitee vor, falsche Zahlen geliefert und Empfehlungen missachtet zu haben. Eine Frage nicht nur des fehlenden politischen Willens, so Anhelita Kamenska:
"Nach der Unabhängigkeit waren sich die Behörden nicht bewusst, was es bedeutet, all diesen internationalen Konventionen und Organisationen beizutreten. Lettland ratifizierte 51 Konventionen, ohne zu überlegen, welche wichtig sind und welche nicht. Die Folgen sind klar: Die lettischen Berichte waren immer zu spät, manchmal fünf oder gar neun Jahre."
Ein weiterer Faktor: In Lettland gab es seit 1991 mehr als ein Dutzend Regierungen, die Minister für Inneres und Justiz wechselten ständig. Anhelita Kamenska hofft, dass die Regierung künftig über Alternativen zu strengen Gefängnisstrafen nachdenkt. Denn in keinem anderen der 27 EU-Staaten sitzen relativ gesehen mehr Bürger in Haft als in Lettland: Auf 100.000 Einwohner kommen 287 Häftlinge, im ähnlich großen Slowenien sind es nur 66. Kamenska führt dies auf die Erfahrungen der Sowjetzeit zurück - viele der noch heute aktiven Polizisten und Richter wurden vor 1991 ausgebildet. Diese hätten wenig Interesse, Beschwerden aufzuklären. Hier finde jedoch inzwischen ein Umdenken statt, berichtet Ilze Rukere. Sie arbeitet seit Januar 2008 als Beraterin des lettischen Polizeichefs und präsentiert, wie Beschwerden im Internet eingereicht werden können:
"Hier kann jeder Bürger alles eintragen: Wo der Vorfall genau stattgefunden hat, was passiert ist und welche Fehler die Polizei angeblich gemacht hat. Hier steht, welche Fakten er angeben muss, wer seinen Antrag prüft und wie er über das Ergebnis informiert wird. Ganz unten stehen alle Kontaktinformationen."
Ilze Rukere, die früher selbst als Menschenrechtsaktivistin tätig war, soll auch die Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen verbessern und Kontakt zu den Bürgern suchen. Eine aktuelle Umfrage habe ergeben, dass das Vertrauen der Letten in die Polizei gar nicht so niedrig sei - obwohl im Internet Videos über korrupte Beamte kursieren. Gatis Svika, sonst zuständig für die Kooperation mit der EU, reiste 2007 nach Genf, um vor der Uno die lettische Sicht zu präsentieren:
"Natürlich wissen wir, dass hier nicht alles perfekt ist. Meiner Meinung nach kann man diese Probleme in zwei Kategorien teilen: Das eine ist unsere Ausrüstung, die Ausstattung der Zellen etc. - alles, was mit Geld zu tun hat. Das andere ist das Personal. Hier können wir ohne große Investitionen einiges erreichen: Wir müssen unsere Beamten besser ausbilden und ihnen klar machen, was die Gesellschaft von uns erwartet."
Trotz der positiven Anzeichen und den Bemühungen der Behörden erwartet die Menschenrechtlerin Anhelita Kamenska, dass sich die Situation nur langsam verbessern wird - das alte Denken sitze noch sehr tief. Für sie steht eines fest: Es sagt viel über eine Gesellschaft aus, wie sie ihre Häftlinge behandelt:
"Die Frage der menschlichen Würde ist etwas, das Behörden und auch die meisten Menschen in Lettland noch nicht verinnerlicht haben. Als Besucher im Gefängnis merken Sie das ständig: Wenn Ihnen ein Häftling auf dem Gang entgegenkommt, wird er gezwungen, sich mit dem Kopf an die Wand zu stellen und Ihnen den Rücken zuzuwenden. Das ist erniedrigend, aber es passiert immer noch - und wird mit Sicherheitsgründen gerechtfertigt."