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''Leute, die Angst haben, wählen immer rechts''

Das israelische Kulturleben findet unter anderen Prämissen statt als das deutsche. Wer zum Beispiel ein Tanztheater-Festival besucht, muss am Eingang des Kulturzentrums und am Eingang des Saales mehrfach seinen Rucksack öffnen, sich am ganzen Körper abtasten lassen und eine freundliche Frage beantworten: "Haben Sie eine Waffe?" In Konzertsälen, Jazz-Kneipen, Museen: dasselbe Bild. Irgendwo im Raum sitzen Sicherheitskräfte, und entgegen der eigenen Gewohnheit muss man fast dankbar sein, dass es sie gibt. Es ist eine Mischung aus Einschüchterung und Trotz, die sich in Israel breit macht; Niedergeschlagenheit nach den Selbstmordanschlägen, und am nächsten Morgen das Gefühl, einfach weitermachen zu müssen.

Christian Gampert hat auf seiner jüngsten Nahostreise die Stimmung der Intellektuellen zwischen Kriegs-Gefahr und Terror-Angst unter die Lupe genommen. |
    So beschreiben ihren Zustand jedenfalls viele Intellektuelle, Leute, die Kultureinrichtungen leiten, an der Universität lehren, einen sozialtherapeutischen Beruf ausüben oder weit oben in der Verwaltung sitzen.

    Die von der zweiten Intifada geschaffene bittere Realität, nur unter Gefahr ein Theater, ein Kino oder eine Kneipe besuchen zu können, hat auch die meisten Links-Intellektuellen in eine resignative Haltung getrieben. Vom Ausland aus wird das nur ungenügend wahrgenommen: der Alltag in Israel ist vergiftet. Und das Gefährliche ist, dass gerade die Linken und die jüngere Generation, die bislang auf den Dialog mit den Palästinensern gesetzt hatten, nunmehr in die Isolation geraten und den Hardlinern kaum noch widersprechen können.

    Die Wahl im Januar geben die meisten jetzt schon verloren: Scharon werde gewinnen, man könne sich das ganze Spektakel sparen.

    Amir Ofek, der im Außenministerium für kulturelle Angelegenheiten zuständig ist, ein Vertreter der weltoffenen jüngeren Generation, der selber lange im Ausland gelebt hat, bedauert die zunehmende innere Militarisierung der israelischen Gesellschaft – aber auch er sieht keine andere Möglichkeit:

    Israel steht jeden Tag vor Entscheidungen, bei denen es die Wahl zwischen dem Schlechten und dem noch Schlechteren hat. Von außen gesehen mag es scheinen, als wenn wir die Wahl zwischen einer guten und einer schlechten Entscheidung hätten. Aber jeden Tag versuchen Terroristen ins Land zu kommen. Das schafft eine Wirklichkeit, in der man ständig auf der Hut sein muss. Aber seit die Terroristen jeden Möglichkeit wahrnehmen, um ins Land zu kommen, und seit jeder, wirklich jeder Ort ein Angriffsziel ist, muss man ganz physisch die Armee nutzen, um das zu unterbinden. Einfach, um drei, vier, fünf israelischen Teenager in die Lage zu versetzen, relativ gefahrlos ein Restaurant, ein Kaffee oder eine Diskothek zu besuchen.

    Ofek steht in Regierungsdiensten, aber man hat nicht das Gefühl, dass er einem Ausgleich mit den Palästinensern ablehnend gegenüber steht. Viele Kontakte, die es zwischen beiden Seiten gab, sind inzwischen abgerissen: vor der Intifada haben Ärzte, Psychologen, Schriftsteller, Hochschullehrer eine Zusammenarbeit gesucht. Daran ist jetzt nicht mehr zu denken. Es geht in Israel vorrangig um Terror-Bekämpfung.

    Deshalb verteidigt Amir Ofek sogar die übliche Praxis israelischer Wachposten, jetzt auch Krankenwagen aus den Palästinensergebieten zu kontrollieren: zu oft seien in diesen angeblichen Notfall-Ambulanzen Hamas-Aktivisten mit Waffen und Sprengstoff gefunden worden.

    Heute gibt es keine Regeln mehr. Heute gibt es Krankenwagen, die sehr schnell an den Kontrollpunkten vorbeifahren. Und wenn wir sie dann anhalten stellt sich heraus, dass sie Waffen, zwei Hamas-Aktivisten und Sprengstoff transportieren. Das Ziel dieser Trupps ist klar: es wird ein Café, ein Restaurant oder ein öffentliches Gebäude sein. Natürlich sind wir in einem Konflikt: normalerweise dürfen Notfall-Krankenwagen immer passieren. Aber sie wurden immer wieder benutzt, um Selbstmordattentäter einzuschleusen, die unsere Kinder töten, - und deshalb müssen wir entscheiden: sollen unsere Soldaten die Krankenwagen kontrollieren, oder, das ist die schlechtere Möglichkeit, sollen sie sie einfach fahren lassen und riskieren, dass es wieder einen Sprengstoffanschlag gibt.

    Der Psychoanalytiker Yecheskiel Cohen, der 1993 die Sigmund-Freud-Vorlesung an der Frankfurter Universität gehalten hat, gehört mit seinen 70 Jahren zur älteren Generation. Er praktiziert in Jerusalem und sagt mir, dass er die Altstadt nicht mehr betrete: das sei zu gefährlich. Auch er, ein ausgewiesener Linker, steht hilflos vor der in Europa gängigen Parteinahme für die armen unterdrückten Palästinenser und der Verteufelung der israelischen Armee.

    In der Analyse von Yecheskiel Cohen stützen Arafat und Scharon sich gegenseitig, sie brauchen sich geradezu. Leute, die Angst haben, wählen rechts, sagt Cohen zu den Januar-Wahlen in Israel. Selbst bei sofortiger Räumung der besetzten Gebiete erwartet Cohen keinen Frieden:

    Am schlimmsten aber ist für die israelische Linke das Gefühl, von Europa falsch wahrgenommen und im Stich gelassen zu werden. Israel wolle in sicheren Grenzen leben, und bei Garantie dieser Grenzen sei alles möglich. Aber: Wir können machen, was wir wollen – wir sind die Schuldigen, sagt Cohen.

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