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Licht für Viganella

Das Dörfchen Viganella im Piemont steht in dem traurigen Ruf, das dunkelste Dorf Italiens zu sein. Tatsächlich verschwindet die Sonne im November und lässt sich bis Februar nicht mehr blicken. Das Schattendasein hat Folgen für das soziale Zusammenleben und das Wohlbefinden jedes Einzelnen. Mithilfe moderner Technik will der Bürgermeister des Ortes jetzt Abhilfe schaffen. Claudia Russo berichtet.

    Zwölf Uhr Mittags auf der kleinen Piazza von Viganella. Die mittelalterliche Dorfkirche zählt pünktlich die Tagesstunden ab; auf dem Platz erinnert ein Denkmal mit frischen Blumen an die Gefallenen Viganellas im letzten Krieg. Daneben ein paar Sitzbänke mit Blick auf das mittelalterliche Steindorf. Doch schon seit Wochen sitzt kein Mensch mehr hier. Denn auf der schönen Piazza ist es eiskalt. Zwei Grad unter Null sind es jetzt und die Sonne streift nicht einmal mehr die hohen Dächer des Dorfes.

    "Wir wollen die Sonne zurück auf den Platz bringen, um das Sozialleben in Viganella zu fördern."

    Bürgermeister Pierfranco Midali; er hat das Schattendasein seines Dorfes satt. Der 45-Jährige lässt nun einen Spiegel auf einem 1100 Meter hohen Berg anbringen, der die Sonnenstrahlen reflektieren und auf die Piazza zurückwerfen soll.

    "Wir möchten, dass sich die Leute hier auf dem Platz treffen und die Kinder auch im Winter hier spielen können, genauso wie im Sommer. Deshalb ist dieser Spiegel für uns eher ein soziales als ein wissenschaftliches Experiment"

    Seit Tagen nun sind die steilen Gassen von Viganella belagert von Journalisten und Kameraleuten aus der ganzen Welt, die das innovative Spiegelprojekt in den Bergen sehen wollen. Der Bürgermeister hat schon mal einen kleinen Spiegel auf dem Berg anbringen lassen – zu Demonstrationszwecken. Der echte Spiegel, der die Piazza bei schönem Wetter von 8 bis 15 Uhr belichten wird, ist um Einiges größer – fünf mal acht Meter soll er messen. Die Idee stammt von dem Architekten und Hersteller von Sonnenuhren, Giacomo Bonzani. Für ihn war es eine persönliche Herausforderung, die Sonne nach Viganella zu bringen.

    "Ich habe hier auf unserer Kirche eine Sonnenuhr aufgebaut. Und damals sagte mir der Bürgermeister: Du kannst Dir den Teil für den Winter vollkommen sparen, da in Viganella die Sonne im Winter eh nicht zu sehen ist. Da habe ich geantwortet: Dann hole ich dir die Sonne herunter."

    Noch liegt Viganella im Schatten und die 185 Menschen, die in dem kleinen Bergdorf leben, verstecken sich im Winter lieber hinterm Holzofen zu Hause. Wie Angiolina. Die 87-Jährige ist in Viganella geboren und ist eigentlich daran gewöhnt, die Wintermonate ohne Sonne und Licht zu verbringen. Aber die Idee mit dem Spiegel findet die alte Dame toll.

    "Zum Glück haben wir einen weitsichtigen Bürgermeister, der die Sonne nach Viganella holen will. Und ich will nicht sterben, bevor ich nicht einmal die Wintersonne auf unserem Platz gesehen habe."

    Vor allem die jüngeren Bewohner Viganellas freuen sich auf die Sonne. Wie Paola. Gerne würde sie auch im Winter mehr Zeit an der frischen Luft verbringen, statt nur zu Hause zu sitzen.

    "Ich finde es eine tolle Idee. Ich hoffe, sie kommt wirklich zustande. Ich bin hier geboren und habe mich daran gewöhnt, dass wir hier im Winter keine Sonne sehen. Aber jetzt freue ich mich darauf. Auch wenn es im Winter kalt ist, mit ein wenig Sonne könnten wir am Sonntag nach der Messe noch ein bisschen auf dem Platz stehen und ein Schwätzchen halten. Jetzt gehen alle nach der Kirche gleich nach Hause, weil es draußen ungemütlich und kalt ist."

    Doch noch ist es nicht so weit. Bevor der Spiegel im nächsten Winter montiert werden kann, muss noch die Finanzierung geklärt werden. Etwa 100.000 Euro soll das Sonnenprojekt kosten und in Zeiten knapper Kasse ist es besonders schwierig, bei der zuständigen Regionalregierung des Piemonts das nötige Geld locker zu machen. So hofft der Bürgermeister, dass einige Privatsponsoren den Einwohnern von Viganella zum Licht verhelfen werden.

    An jedem zweiten Februar im Jahr findet in Viganella eine Prozession statt, bei der die Dorfbewohner die Rückkehr der Sonne feiern. Sollte irgendwann mal der Spiegel über dem Dorf das Licht auf die Piazza werfen - das traditionelle Sonnenfest soll auf jeden Fall erhalten bleiben. Zur Erinnerung an eine düstere Zeit.