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Liebe ist die letzte Brücke

Scheck: Gabriel García Marquez sagte einmal, er schreibe, um geliebt zu werden. Warum schreiben Sie?

Denis Scheck |
    Simmel: In meinen jungen Jahren habe ich als Reporter gearbeitet. Damals wurde ich durch die ganze Welt geschickt, und dabei habe ich ein solches Übermaß an Elend, Terror, Schrecken und Armut gesehen, daß ich immer wieder sehr bedrückt nach Hause kam. Ich sagte mir: Wenn ich schon schreiben kann - viele sagen zwar, ich könne es nicht, ich meine, ich kann es, zumindest ein bißchen - dann ist es nicht an der Zeit, Liebesgeschichten oder reine Romane zu schreiben, sondern das, was Norman Mailer einmal "faction" genannt hat, also eine Mischung aus Fakten und Fiktion. Und darauf habe ich mich spezialisiert, aber mit der Betonung auf den "facts". Ich glaube, keines meiner Bücher ist ein kein Bestseller geworden, weil es ein bestsellertypisches Sujet gehabt hätte. Im Gegenteil: Es waren regelrechte Anti-Bestseller-Themen: Ich schrieb über geistig behinderte Kinder, vor allem aber über Nazis und Neonazis, weil das für mich die größten Verbrecher in der Geschichte waren und ich es nicht für möglich gehalten hätte, daß so etwas in einem Menschenleben zweimal hochkommt.

    Ihre oftmals anspruchsvollen wissenschaftlichen Themen verpacken Sie häufig in Dialoge. Der Dialog ist aber eine zentrale Form der Aufklärung. Was bedeutet Ihnen ein Begriff wie "Aufklärung"?

    Aufklärung gehört zu den wunderbarsten Dingen, die ich mir vorstellen kann. Ich werde sehr häufig als "Aufklärer der Nation" bezeichnet, als Aufklärer vom Range eines Balzac, Dostojewski und einiger anderer. Andererseits nennt man mich einen Trivialautor und Vielschreiber. Tatsächlich überwiegt in meinen letzten Büchern das Aufklärertum. Das birgt aber einige Schwierigkeiten: Wenn ich dem Leser meinen Stoff direkt erzähle, dann kippt es aus dem Roman heraus, dann droht es zum Sachbuch zu werden. Wenn sich hingegen zwei Wissenschaftler darüber unterhielten, wäre es blödsinnig, denn sie wüßten ja schon alles. Also muß man jemanden suchen, der ein brennendes Interesse daran hat, die Dinge zu verstehen, und über den muß man die Dinge dann mitteilen. In meinem neuen Buch ist das ein Staatsanwalt: Er hat ein ganz einsichtiges Interesse daran, sich sachlich kundig zu machen.

    Der Held Ihres neuen Romans ist aber ein anderer. Und er hat eine eindeutige Lebensperspektive: "Nie mehr arm". Was bedeutet Ihnen persönlich der Erfolg?

    Erfolg ist etwas Schönes. Ich schreibe, seit ich 17 bin, und als der Krieg zu Ende war, konnte ich gedruckt werden. Meine ersten Romane waren fast totale Flopps, und ich mußte Drehbücher und für Zeitungen schreiben. Aber dann sagte mir ein Bekannter zu meinem nächsten Buch: "Ich hoffe, es wird kein Erfolg". Warum sagte er das? Weil er sehr weise war. Denn er fügte hinzu: "Wer als erstes direkt einen Bestseller schreibt, der geht vor die Hunde." Und das habe ich dann sehr oft erlebt. Und mein Bekannter sagte mir: "Wenn Sie meschugge genug sind, diesen Beruf zu ergreifen, dann müssen sie sehen, wie Sie leben." Also habe ich 36 Filme in dieser Zeit geschrieben. Aber dann kommt der Punkt, wo ein Buch geht, und die Leute fragen, was der Autor sonst noch geschrieben hat. Und dann ist man im Geschäft. Meine furchtbarste Armut erlebte ich, als ich sehr jung war. Mein Vater war Jude, er kam gerade noch mit dem letzten Zug nach England. Seine ganze Familie wurde umgebracht, und ich saß mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester in Wien und mußte sehen, wie ich Geld verdienen könnte. Ich machte eine Ausbildung als Betriebschemiker, und direkt im Anschluß daran das Abitur. Ich ging in einen Betrieb und war so freigestellt von der deutschen Wehrmacht. Aber sie hätte mich wohl ohnehin nicht genommen, weil ich, wie das damals hieß, "wehrunwürdig" war. Als es dann ganz schief ging, wäre ich wahrscheinlih noch würdig gewesen.

    Sie sind in England aufgewachsen. Meinen Sie aus dieser Außenperspektive, daß es in Deutschland ein gestörtes Verhältnis zur Unterhaltungsliteratur gibt?

    Es gibt in Deutschland immer noch etwas, was es sonst in der ganzen Welt nicht gibt. Wenn die Engländer von einem Buch reden, sagen sie: "This is a good book" - das ist alles. Aber wir haben diesen Unterschied zwischen E und U. Ich habe einen alten Plan, ein E- Buch zu schreiben. in dem kein Mensch einen Satz versteht. Ich bräuchte dafür, ohne jetzt hochmütig zu sein, ungefährt eine Woche. Dann bräuchte ich einen Freund, der behauptet, er sei in einem österreichischen Gebirgstal gewesen, und da sei ein waldschrat-ähnliches Wesen auf ihn zugetreten und habe ihm mit unverständlichen Worten dieses Manuskript in die Hand gedrückt. Dieses Manuskript sollte mein Freund dann zu einem sehr elitären Verleger bringen, dessen Namen ich nicht erwähnen will. Der wäre entzückt, und endlich hätten wir den deutschen Dichter des zu Ende gehenden Jahrhunderts.

    Aber hört man da nicht eine gewisse Verletzung heraus? Die Anerkennung des traditionellen Literaturbetriebs scheint ihnen doch sehr wichtig zu sein.

    Der Trost für mich war, daß meine Bücher in 34 Sprachen übersetzt worden sind. Aus den mir unbekannten Sprachen habe ich mir einige der Kritiken übersetzen lassen. Sie waren nicht immer wunderbar. Aber die Art von Kritiken, wie ich sie hier in Deutschland bekomme, die gibt es in keinem anderen Land, weil es dort diesen Unterschied zwischen E und U nicht gibt. Wenn Sommerset-Maugham Deutscher gewesen wäre. hätte er sich gewundert, was für Kritiken er bekommen hätte. So gab es ein Buch, das im ganzen Ausland gut beurteilt wurde, und ein deutscher Kritiker schrieb: "Es stinkt zum Simmel." Darunter stand dann aber einschränkend: "Und es verkauft sich doch." Als ich noch eine etwas dünnere Hat hatte, haben mir dieses Flegeleien wehgetan. Ich selbst wußte, daß es kein Dreck war, aber daß ich so behandelt wurde, daß war in meinen idealistischen Tagen eine Verletzung, gewiß. Irgendetwas ist davon noch zurück geblieben.