Zum ersten Mal wurde bei dieser Gelegenheit auch ein Flüchtling geehrt: Vor der Oktoberrevolution war Bunin zunächst nach Odessa und später über den Balkan nach Paris geflüchtet. Seit zehn Jahren lebte er im südfranzösischen Grasse. Welche Schwierigkeiten mit seinem diplomatischen Status verbunden waren, zeigte ein Detail im protokollarischen Ablauf der Verleihung: Üblicherweise wurde (und wird bis heute) der Saal mit der Landesflagge der Preisträger geschmückt. - Welche Flagge aber sollte man für Bunin nehmen? - Die alte zaristische kam offensichtlich genauso wenig in Frage wie die sowjetische. In dieser Verlegenheit nutzte man das fünfundzwanzigjährige Bestehen des Nobelpreises für eine elegante Notlösung: Der Saal wurde in den Farben Schwedens, des Gastlandes, geschmückt. Der Preisträger war entzückt.
Ein russischer Weltbürger war Bunin freilich nicht nur aufgrund der Umstände. Schon lange vor der Revolution war er durch Europa, Nordafrika, den Nahen Osten, Indien und Ceylon gereist. 1870 in Woronesch geboren, entstammte er dem verarmten russischen Landadel. In seiner Jugend begeisterte er sich für den asketischen Idealismus Leo Tolstois, aber es war kein anderer als Tolstoi selbst, der ihn von seiner überspannten Jüngerschaft und dem Wunsch, ein entbehrungsreiches Leben zu führen, abbrachte.
Auf anhaltenden Erfolg mußte Bunin lange warten, obwohl er seine ersten Gedichte bereits mit sechzehn Jahren veröffentlicht hatte. Es waren vor allem seine finstere Milieustudie Das Dorf und die Erzählung Der Herr aus San Francisco die ihm zum Durchbruch verhalfen. Die Emigration nach Frankreich 1920 lähmte ihn für einige Jahre, danach setzte er seine Arbeit mit Novellenbänden und dem autobiographischen Roman Das Leben Arsenjews fort. Thomas Mann, der ihn 1926 traf, sprach von der "unvergleichlichen epischen Überlieferung und Kultur seines Landes", die in Bunin fortwirke, und fügte im Hinblick auf seine Exilsituation hinzu: "Ich habe gar nicht zu zweifeln, daß unter Umständen mein Schicksal das seine wäre." ...Und es wurde sein eigenes, als Thomas Mann 1933 - im gleichen Jahr, in dem Bunin den Nobelpreis erhielt - Deutschland verlassen mußte.
Bunin gilt als Traditionalist. Den Nobelpreis bekam er, wie es in der Begründung hieß, "für die strenge Künstlerschaft, womit er die klassische russische Linie in der Prosadichtung vertritt". Lassen wir den altbekannten Umstand beiseite, daß den Nobelpreis eher die Erben der Meister kriegen als die Meister selbst, dann ist Bunin heute mit Sicherheit einer der unterschätztesten Preisträger. Das zeigt eindrucksvoll der in der "Anderen Bibliothek" des Eichborn Verlags erschienene Band Liebe und andere Unglücksfälle. Mit seinen dreißig chronologisch angeordneten Erzählungen bietet er einen Querschnitt durch das Werk Bunins zwischen 1916 und 1944, ergänzt durch ein Dossier.
Die meisten Novellen zeichnen sich durch einen lyrisch-melancholischen, doch unsentimentalen Grundton aus. Sie spielen in Moskau, Petersburg oder auf dem Land, andere in Paris, Algerien oder einfach unterwegs. Es sind Porträts von Einzelgängern, wie des Frauenmörders Sokolowitsch in der sonderbaren Erzählung Schlingenohren, oder eines wahnsinnigen Künstlers, der am Weihnachtstag sein lange geplantes Meisterwerk schaffen will, aber mit den Vorbereitungen nicht zu Rande kommt. Es sind Kriminalfälle, Reisebegegnungen und - vor allem im Spätwerk - immer wieder Geschichten über die Liebe: die vergebliche, die flüchtige, die verbotene Liebe. Gerade in den Liebesgeschichten, wie Russja oder Galja Ganskaja, erweist sich die Kunst Bunins, auf knappem Raum und mit einem untrüglichen Sinn fürs Detail ein Ganzes von bestürzender Eindringlichkeit zu schaffen. Scheinbar ungezwungen, oft im Parlando eines sich erinnernden Erzählers, trifft Bunin doch immer genau das, was nötig und zu sagen ist. Auf überflüssige Ornamente verzichtet er. Auch aus vorwärtsdrängender Handlung und dramatischen Zuspitzungen macht er sich wenig. Selbst die Schilderung seiner Flucht aus Odessa und der Mordprozeß des Kornett Jelagin entbehren - trotz ihrer Spannungsmomente - nicht einer eigentümlichen Ruhe.
Bunins Stärke liegt in der Subtilität, mit der er die Empfindungen seiner Figuren vergegenwärtigt, ohne sie ausdrücklich zu beschreiben. Er ist ein großer Stilist, obwohl oder gerade weil der Stil sich als solcher kaum bemerkbar macht. Und er ist ein überaus sinnlicher Erzähler: Gerüche, Lärm, die flirrende Hitze eines Sommertages auf der Wolga, die Tristesse eines Hotelzimmers im Pariser Exil, die neblige Kühle einer Petersburger Winternacht - all das ist in wenigen Zeilen skizziert. Besonders in den späten Erzählungen aus dem zu Recht berühmten Band Dunkle Alleen kommt eine diskrete Erotik hinzu, die in der einst eher prüden russischen Literatur für Aufsehen sorgte.
Nein, als einen möglichen Vollstrecker von Stalins Vorgabe, der Schriftsteller habe ein "Ingenieur der menschlichen Seele" zu sein, kann man sich Bunin beim besten Willen nicht vorstellen. Er ist eher eine Art poetischer Seismograph der feinsten seelischen Erschütterungen, darin Tschechow und Turgenjew vergleichbar. Gorki war vielleicht der einzige bedeutende Schriftsteller in sowjetischer Zeit, der es sich erlauben konnte, für Bunin einzutreten.
Ein russischer Weltbürger war Bunin freilich nicht nur aufgrund der Umstände. Schon lange vor der Revolution war er durch Europa, Nordafrika, den Nahen Osten, Indien und Ceylon gereist. 1870 in Woronesch geboren, entstammte er dem verarmten russischen Landadel. In seiner Jugend begeisterte er sich für den asketischen Idealismus Leo Tolstois, aber es war kein anderer als Tolstoi selbst, der ihn von seiner überspannten Jüngerschaft und dem Wunsch, ein entbehrungsreiches Leben zu führen, abbrachte.
Auf anhaltenden Erfolg mußte Bunin lange warten, obwohl er seine ersten Gedichte bereits mit sechzehn Jahren veröffentlicht hatte. Es waren vor allem seine finstere Milieustudie Das Dorf und die Erzählung Der Herr aus San Francisco die ihm zum Durchbruch verhalfen. Die Emigration nach Frankreich 1920 lähmte ihn für einige Jahre, danach setzte er seine Arbeit mit Novellenbänden und dem autobiographischen Roman Das Leben Arsenjews fort. Thomas Mann, der ihn 1926 traf, sprach von der "unvergleichlichen epischen Überlieferung und Kultur seines Landes", die in Bunin fortwirke, und fügte im Hinblick auf seine Exilsituation hinzu: "Ich habe gar nicht zu zweifeln, daß unter Umständen mein Schicksal das seine wäre." ...Und es wurde sein eigenes, als Thomas Mann 1933 - im gleichen Jahr, in dem Bunin den Nobelpreis erhielt - Deutschland verlassen mußte.
Bunin gilt als Traditionalist. Den Nobelpreis bekam er, wie es in der Begründung hieß, "für die strenge Künstlerschaft, womit er die klassische russische Linie in der Prosadichtung vertritt". Lassen wir den altbekannten Umstand beiseite, daß den Nobelpreis eher die Erben der Meister kriegen als die Meister selbst, dann ist Bunin heute mit Sicherheit einer der unterschätztesten Preisträger. Das zeigt eindrucksvoll der in der "Anderen Bibliothek" des Eichborn Verlags erschienene Band Liebe und andere Unglücksfälle. Mit seinen dreißig chronologisch angeordneten Erzählungen bietet er einen Querschnitt durch das Werk Bunins zwischen 1916 und 1944, ergänzt durch ein Dossier.
Die meisten Novellen zeichnen sich durch einen lyrisch-melancholischen, doch unsentimentalen Grundton aus. Sie spielen in Moskau, Petersburg oder auf dem Land, andere in Paris, Algerien oder einfach unterwegs. Es sind Porträts von Einzelgängern, wie des Frauenmörders Sokolowitsch in der sonderbaren Erzählung Schlingenohren, oder eines wahnsinnigen Künstlers, der am Weihnachtstag sein lange geplantes Meisterwerk schaffen will, aber mit den Vorbereitungen nicht zu Rande kommt. Es sind Kriminalfälle, Reisebegegnungen und - vor allem im Spätwerk - immer wieder Geschichten über die Liebe: die vergebliche, die flüchtige, die verbotene Liebe. Gerade in den Liebesgeschichten, wie Russja oder Galja Ganskaja, erweist sich die Kunst Bunins, auf knappem Raum und mit einem untrüglichen Sinn fürs Detail ein Ganzes von bestürzender Eindringlichkeit zu schaffen. Scheinbar ungezwungen, oft im Parlando eines sich erinnernden Erzählers, trifft Bunin doch immer genau das, was nötig und zu sagen ist. Auf überflüssige Ornamente verzichtet er. Auch aus vorwärtsdrängender Handlung und dramatischen Zuspitzungen macht er sich wenig. Selbst die Schilderung seiner Flucht aus Odessa und der Mordprozeß des Kornett Jelagin entbehren - trotz ihrer Spannungsmomente - nicht einer eigentümlichen Ruhe.
Bunins Stärke liegt in der Subtilität, mit der er die Empfindungen seiner Figuren vergegenwärtigt, ohne sie ausdrücklich zu beschreiben. Er ist ein großer Stilist, obwohl oder gerade weil der Stil sich als solcher kaum bemerkbar macht. Und er ist ein überaus sinnlicher Erzähler: Gerüche, Lärm, die flirrende Hitze eines Sommertages auf der Wolga, die Tristesse eines Hotelzimmers im Pariser Exil, die neblige Kühle einer Petersburger Winternacht - all das ist in wenigen Zeilen skizziert. Besonders in den späten Erzählungen aus dem zu Recht berühmten Band Dunkle Alleen kommt eine diskrete Erotik hinzu, die in der einst eher prüden russischen Literatur für Aufsehen sorgte.
Nein, als einen möglichen Vollstrecker von Stalins Vorgabe, der Schriftsteller habe ein "Ingenieur der menschlichen Seele" zu sein, kann man sich Bunin beim besten Willen nicht vorstellen. Er ist eher eine Art poetischer Seismograph der feinsten seelischen Erschütterungen, darin Tschechow und Turgenjew vergleichbar. Gorki war vielleicht der einzige bedeutende Schriftsteller in sowjetischer Zeit, der es sich erlauben konnte, für Bunin einzutreten.