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Liebeserklärung an das Oderland

Seit Bernd Kaufmann für das Kulturprogramm von Schloss Neuhardenberg verantwortlich ist, gibt es immer wieder Anlässe fürs überregionale Feuilleton, dorthin zu fahren. Nun wurde dort die musikalisch-theatralische Collage "Berlin Oder Land" geboten, eine Liebeserklärung an das Oderland und seine Menschen, wie das Stück von Reinmar Henschke, Alexander Deibel und Ulla Meinecke in der Ankündigung bezeichnet wurde.

Von Hartmut Krug | 16.07.2005
    Wie ein Ufo, fremd in die Äcker gestellt, so steht das klassizistische Schloß von Neuhardenberg in der märkischen Landschaft: draußen die Rapsfelder des Barnim, drinnen der Atem des alten Athen und der neuen Reichen.

    Seitdem der deutsche Sparkassenverband Schloß und Park mit viel Geld renoviert und die Stiftung Schloß Neuhardenberg im Mai 2002 mit einem vom Bernd Kaufmann verantworteten Kulturprogramm eröffnet hat, sind hier berühmte Künstler aus aller Welt aufgetreten. Es ist ein Ort der großen Namen geworden, selbst das Bundeskabinett tagte hier zur Reformklausur. Bernd Kaufmann, der schon sein Kulturfest in Weimar konzipierte, ohne sonderlich auf die Interessen der Weimarer Bürger zu achten, holt sich in Neuhardenberg sein Publikum gleich von außerhalb. Die Anwohner des Ortes verirren sich nicht ins illustre Kulturprogramm des Schlosses, daran wird Mitte August auch der Auftritt von Christoph Schlingensief wenig ändern, und die Künstler und Programmmacher nehmen die Region kaum wahr. Während die Kulturszene aus dem 75 Kilometer entfernten Berlin sich gern auf Landpartie nach Neuhardenberg begibt.

    Derzeit erwartet den Besucher eine Ausstellung mit Nanas von Nicki de Saint Phalle und der erste Versuch Bernd Kaufmanns, sich der Bevölkerung und der Region zu öffnen. Die Performance "Berlin Oder Land", der Titel apart in drei großen Worten geschrieben, will eine Zeitreise mit Musik, Texten und Fotografien durch die Geschichte und Natur des Oderlands sein. Während ein Jugendchor die Brandenburger Nationalhymne singt, verbindet Reinmar Henschke mit seinen Musikern und einer zeit- und ortlosen, jazzig lebendigen Musik das aus historischen und literarischen Zitaten bestehende Programm:

    Während Landschaftsfotos im Hintergrund vorbei flimmern, wird von der Schönheit der Oder und von der Trockenlegung des Bruchs, von Fischreichtum und neureichen Rübenbauern berichtet. Ich hatte mir viel versprochen von dieser Performance: eine multimediale und zugleich realistische Annäherung an die Mark sollte es sein. Doch herausgekommen ist nur ein Bildungsprogramm mit dem Blick auf eine Landschaft von außen: Gerhard Ahrens, immerhin einst in leitenden Funktionen am Frankfurter Schauspiel und an der Berliner Schaubühne tätig, hat einen bunten Zitatenstrauß aus Kleist und Klabund, Gottfried Benn und Günter Eich gebunden, der weniger Realität spiegeln als Kunst sein will. Natürlich dominiert dabei Theodor Fontane, und wenn er von Jürgen Holtz, obwohl nur vom Band, gesprochen wird, dann lebt dieser biedere, der Volkshochschule nahe Performance-Abend merklich auf:

    Der Schauspieler Ekkehard Kiesewetter rezitiert live und interagiert auf der Bühne mit den Jugendlichen des einheimischen Chores wie ein Lehrer mit seinen Schülern, während die Sängerin Ulla Meinecke aus der Mitte der Musiker ebenfalls Texte rezitiert, gelegentlich aber auch singt:

    Auf der geschichtlichen Ebene hüpft der Abend recht mutwillig durch die Jahrhunderte: vor der letzten großen Schlacht des 2.Weltkriegs auf den Seelower Höhen wird berichtet, dann ist man mit zwei FDJ-Liedern von der Heimat DDR und von der HO durch die DDR hindurch, um mit Günter de Bruyn über die Entvölkerung der Mark nach der Wende zu sinnieren.

    Dieser erste Versuch der freischwebenden Künstler und Programmmacher Neuhardenbergs, sich mit dem Ort und den Menschen auseinander zu setzen, in deren Mitte man seit über drei Jahren große Kunst veranstaltet, ist mächtig daneben gegangen. Der Bruch zwischen den Künstlern und der regionalen Realität spiegelt sich mehrfach im Programm: Musiker und Rezitatoren kommen nicht zusammen, und Fotos und Texte sind von gestern, selbst da, wo sie aktuell sein wollen. Einmal nur gerät die Lebensrealität, wenn auch unfreiwillig, auf die Bühne: wenn die Jugendlichen mit den alten DDR-Liedern, die sie singen müssen, deutlich nichts anzufangen wissen.

    Immerhin: da die Jugendlichen des Ortes auf der Bühne standen, sah man erstmals auch Einwohner des Ortes im Publikum. Wenn das kein Erfolg war...