Das mit dem Dämonischen ist aber schon eine Zeitlang her. Früher, da wurden in Ian McEwans Büchern Tauben mit Glassplittern gefüttert, Pornohändler von Krankenschwestern kastriert und tote Mütter von ihren Kindern in Zement gegossen. Früher gab’s einen eingeschworenen Kritikerkreis der McEwan-Hasser. Aus dieser Zeit stammen auch McEwans Spitznamen "Herr des Grauens", "Punk Poet" und Ian Macabre. Seit seinem Buch "Liebeswahn" – "Enduring Love" im Original – ist die Kritik einhellig begeistert, aber komischerweise klebt der Ruf des IanMacabre weiter an ihm.
Darauf angesprochen, wird der sonst so distinguierte Autor aus Oxford leicht ausfallend, auf seinem Gesicht liegt schneidende Verachtung: "Journalist, was für ein schrecklicher Beruf. Wer möchte schon Journalist sein, in einem Leben, in dem man nur 70 Jahre lang bei Verstand ist."
Ob er sich nicht abhängig fühlt von Journalisten, frage ich. McEwans Antwort: "Nicht im Entferntesten." Pressefotographen, erzählt McEwan, wollen ihn ständig neben Müllhalden, auf Friedhöfen oder mit einer toten Ratte fotografieren. Besonders in England interessiere sich die Presse ausgiebig für sein Privatleben. "In den letzten 15 Jahren", so McEwan, "hat sich das alles sehr verändert. Als ich anfing zu schreiben, hat sich niemand dafür interessiert, was ein Schriftsteller in seinem Privatleben so tut. Das war bei Popstars so oder bei Politikern, aber nicht bei Schriftstellern. Die britische Presse ist aufdringlicher geworden und niederträchtiger. Wenn ich mich heute für ein Presseportrait zur Verfügung stelle, interessieren die sich überhaupt nicht mehr für meine Arbeit, sondern nur noch dafür, wie ich lebe."
Insgesamt kann aber die Aversion gegen Journalisten nicht so ernst gemeint sein. Denn Ian McEwan hat immerhin kürzlich zum zweiten Mal geheiratet, zum zweiten mal eine Journalistin. Alles niedergelegt in der "New York Times" unter der Schlagzeile "At Lunch with Ian McEwan". Die gleiche Zeitung feiert ihn mit dem neuen Buch "Liebeswahn" als "philosophischen Romancier". Das gefällt McEwan zwar auch nicht, weil er überhaupt jedwede Kategorisierung armselig findet. Aber nehmen wir es einfach als grobe Standortangabe. Dafür taugt’s, denn in "Liebeswahn" spielt McEwan mit Gedankengebäuden, klopft Theoriefundamente ab und interessiert sich für ewige Menschheitsfragen. Ohne daß Langweile aufkommt. Denn McEwan beherrscht die Kunst perfekt, die Ausführung großer Ideen mit packender Handlung zu kombinieren.
Joe Rose, ein erfolgreicher Wissenschaftsjournalist, picknickt mit seiner Lebensgefährtin Clarissa in einem Park vor den Toren Londons. Genau in dem Augenblick, in dem er eine teure Flasche Rotwein entkorken will, zerreißt der Schrei eines Mannes die beschauliche Stimmung. Der Mann versucht, einen Heißluftballon, in dem ein Kind sitzt, am Boden zu halten. Der Wind bläst stürmisch, und die nächste Böe droht den Ballon in die Höhe zu reißen. Hilfsbereit spurten Joe Rose und drei andere Männer über den Rasen auf den Ballon zu und hängen sich an die Halteseile. Als ein Windstoß dem Ballon Auftrieb gibt, lassen alle los. Alle außer einem, der dann mit dem Ballon und dem Kind darin in die Höhe schnellt. Wie ein schwarzes Streichholz ist er oben am Himmel zu sehen. Kaum eine Minute lang. Dann kann er sich nicht mehr halten und fällt.
Nicht genug mit dieser Tragödie: Über der Leiche auf dem Acker kommt es zu einem Blickwechsel zwischen Joe Rose und einem anderen Helfer, Jed Parry, einem homosexuellen Jesus-Fanatiker. Dieser Blick, dieser "Look of love" ist der Ausgangspunkt eines vernichtenden Liebesfeldzugs, den Jed gegen Joe führt.
Im Laufe der Geschichte gerät so nicht nur das geordnete Leben des Wissenschaftsjournalisten Joe Rose aus den Fugen. Auch seine immer so klare, vernünftige Sicht der Dinge wird von dem Unfall und dessen Nachspiel angegriffen. "Liebeswahn" ist Ian McEwans Lob der Vernunft angesichts der gefährlichen Wirrnisse der Gefühle. "Ich glaube nicht, daß es etwas Wichtigeres gibt als Naturwissenschaft, um uns die Wahrheit über die physische Welt zu sagen", erklärt McEwan. "Und wenn Sie genau wie ich glauben, daß es keine andere als diese physische Welt gibt, dann sind die Naturwissenschaften von zentraler Wichtigkeit."
Religion, überhaupt alles Übersinnliche, hält er für romantischen Nonsense. McEwans Leben ist ein Leben ohne Götter, Geister und ohne Esoterik. "Auch eine Welt ohne Geister ist extrem interessant", so McEwan. "Weil es nämlich so ist, daß die Leute Geister erfinden. Die Erfindung, das ist interessant. Nicht die Geister. Sondern das Glaubenssystem, das die Leute haben. Mein Standpunkt ist: Eine Welt, die als Materie beschrieben werden kann, ist weitaus interessanter als die Welt des Alten Testaments. Ich meine, die physische Welt ist weitaus bizarrer als die menschliche Einbildungskraft sie ausdenken kann.
Die Bücher der besten englischsprachigen Wissenschaftler sind voller Poesie und voller Zitate aus Romanen, sagt Ian McEwan. Weil Künstler und Wissenschaftler das gleiche wissen wollen: Was ist der Mensch?
McEwan geht den umgekehrten Weg und stellt seinem Roman eine medizinische Abhandlung des "de Clerambauld Syndroms" nach. Der französische Arzt de Clerambauld hat eine krankhafte Art der Verliebtheit entdeckt, den Liebeswahn. Der Liebhaber, der in einer Art geistigem Gefängnis lebt, bildet sich ein, von einer Person geliebt zu werden. Wenn sich die Liebe nicht manifestiert, attackiert er die Person. So wie Jed Parry es mit Joe Rose im Roman von Ian McEwan tut.
Drei Jahre hat McEwan an Liebeswahn, seinem siebten Buch, geschrieben. Und hat beim Schreiben die üblichen Ups und Downs erlebt. "Manchmal werde ich fast verrückt", erzählt McEwan. "Ich kann den Roman dann nicht beiseite tun, aber ich komme auch nicht vorwärts. Das sind die schlimmsten Zeiten. Das ist keine einfache Schreibhemmung. Sondern ich sehe vier oder fünf Wege, die ich gehen könnte. Aber wenn ich einen Weg gehe, verbaue ich mir die anderen. Wenn ich an diesem Punkt bin, werde ich sehr unruhig. Und dann denke ich, ich sollte aufhören und vielleicht Journalist werden und Buchbesprechungen machen. Oder in die Berge gehen, wandern. Aber ich kann die Arbeit an meinem Roman nicht unterbrechen, ehe ich das Problem gelöst oder eine Entscheidung gefällt habe."
Drei von McEwans Romanen, "The Cement Garden", "The Comfort of Strangers" und "The Innocent" sind schon verfilmt worden. Für "Enduring Love" – "Liebeswahn" – liegt eine Anfrage vor. McEwan hat auch eine Zeitlang nebenbei Drehbücher geschrieben. Aber die Zusammenarbeit mit den Menschen aus der Filmindustrie ist nicht sein Ding, sagt er. Denn als Romanautor kann ich Gott sein. Als Drehbuchautor bin ich nur einer von vielen Engelchen.
Darauf angesprochen, wird der sonst so distinguierte Autor aus Oxford leicht ausfallend, auf seinem Gesicht liegt schneidende Verachtung: "Journalist, was für ein schrecklicher Beruf. Wer möchte schon Journalist sein, in einem Leben, in dem man nur 70 Jahre lang bei Verstand ist."
Ob er sich nicht abhängig fühlt von Journalisten, frage ich. McEwans Antwort: "Nicht im Entferntesten." Pressefotographen, erzählt McEwan, wollen ihn ständig neben Müllhalden, auf Friedhöfen oder mit einer toten Ratte fotografieren. Besonders in England interessiere sich die Presse ausgiebig für sein Privatleben. "In den letzten 15 Jahren", so McEwan, "hat sich das alles sehr verändert. Als ich anfing zu schreiben, hat sich niemand dafür interessiert, was ein Schriftsteller in seinem Privatleben so tut. Das war bei Popstars so oder bei Politikern, aber nicht bei Schriftstellern. Die britische Presse ist aufdringlicher geworden und niederträchtiger. Wenn ich mich heute für ein Presseportrait zur Verfügung stelle, interessieren die sich überhaupt nicht mehr für meine Arbeit, sondern nur noch dafür, wie ich lebe."
Insgesamt kann aber die Aversion gegen Journalisten nicht so ernst gemeint sein. Denn Ian McEwan hat immerhin kürzlich zum zweiten Mal geheiratet, zum zweiten mal eine Journalistin. Alles niedergelegt in der "New York Times" unter der Schlagzeile "At Lunch with Ian McEwan". Die gleiche Zeitung feiert ihn mit dem neuen Buch "Liebeswahn" als "philosophischen Romancier". Das gefällt McEwan zwar auch nicht, weil er überhaupt jedwede Kategorisierung armselig findet. Aber nehmen wir es einfach als grobe Standortangabe. Dafür taugt’s, denn in "Liebeswahn" spielt McEwan mit Gedankengebäuden, klopft Theoriefundamente ab und interessiert sich für ewige Menschheitsfragen. Ohne daß Langweile aufkommt. Denn McEwan beherrscht die Kunst perfekt, die Ausführung großer Ideen mit packender Handlung zu kombinieren.
Joe Rose, ein erfolgreicher Wissenschaftsjournalist, picknickt mit seiner Lebensgefährtin Clarissa in einem Park vor den Toren Londons. Genau in dem Augenblick, in dem er eine teure Flasche Rotwein entkorken will, zerreißt der Schrei eines Mannes die beschauliche Stimmung. Der Mann versucht, einen Heißluftballon, in dem ein Kind sitzt, am Boden zu halten. Der Wind bläst stürmisch, und die nächste Böe droht den Ballon in die Höhe zu reißen. Hilfsbereit spurten Joe Rose und drei andere Männer über den Rasen auf den Ballon zu und hängen sich an die Halteseile. Als ein Windstoß dem Ballon Auftrieb gibt, lassen alle los. Alle außer einem, der dann mit dem Ballon und dem Kind darin in die Höhe schnellt. Wie ein schwarzes Streichholz ist er oben am Himmel zu sehen. Kaum eine Minute lang. Dann kann er sich nicht mehr halten und fällt.
Nicht genug mit dieser Tragödie: Über der Leiche auf dem Acker kommt es zu einem Blickwechsel zwischen Joe Rose und einem anderen Helfer, Jed Parry, einem homosexuellen Jesus-Fanatiker. Dieser Blick, dieser "Look of love" ist der Ausgangspunkt eines vernichtenden Liebesfeldzugs, den Jed gegen Joe führt.
Im Laufe der Geschichte gerät so nicht nur das geordnete Leben des Wissenschaftsjournalisten Joe Rose aus den Fugen. Auch seine immer so klare, vernünftige Sicht der Dinge wird von dem Unfall und dessen Nachspiel angegriffen. "Liebeswahn" ist Ian McEwans Lob der Vernunft angesichts der gefährlichen Wirrnisse der Gefühle. "Ich glaube nicht, daß es etwas Wichtigeres gibt als Naturwissenschaft, um uns die Wahrheit über die physische Welt zu sagen", erklärt McEwan. "Und wenn Sie genau wie ich glauben, daß es keine andere als diese physische Welt gibt, dann sind die Naturwissenschaften von zentraler Wichtigkeit."
Religion, überhaupt alles Übersinnliche, hält er für romantischen Nonsense. McEwans Leben ist ein Leben ohne Götter, Geister und ohne Esoterik. "Auch eine Welt ohne Geister ist extrem interessant", so McEwan. "Weil es nämlich so ist, daß die Leute Geister erfinden. Die Erfindung, das ist interessant. Nicht die Geister. Sondern das Glaubenssystem, das die Leute haben. Mein Standpunkt ist: Eine Welt, die als Materie beschrieben werden kann, ist weitaus interessanter als die Welt des Alten Testaments. Ich meine, die physische Welt ist weitaus bizarrer als die menschliche Einbildungskraft sie ausdenken kann.
Die Bücher der besten englischsprachigen Wissenschaftler sind voller Poesie und voller Zitate aus Romanen, sagt Ian McEwan. Weil Künstler und Wissenschaftler das gleiche wissen wollen: Was ist der Mensch?
McEwan geht den umgekehrten Weg und stellt seinem Roman eine medizinische Abhandlung des "de Clerambauld Syndroms" nach. Der französische Arzt de Clerambauld hat eine krankhafte Art der Verliebtheit entdeckt, den Liebeswahn. Der Liebhaber, der in einer Art geistigem Gefängnis lebt, bildet sich ein, von einer Person geliebt zu werden. Wenn sich die Liebe nicht manifestiert, attackiert er die Person. So wie Jed Parry es mit Joe Rose im Roman von Ian McEwan tut.
Drei Jahre hat McEwan an Liebeswahn, seinem siebten Buch, geschrieben. Und hat beim Schreiben die üblichen Ups und Downs erlebt. "Manchmal werde ich fast verrückt", erzählt McEwan. "Ich kann den Roman dann nicht beiseite tun, aber ich komme auch nicht vorwärts. Das sind die schlimmsten Zeiten. Das ist keine einfache Schreibhemmung. Sondern ich sehe vier oder fünf Wege, die ich gehen könnte. Aber wenn ich einen Weg gehe, verbaue ich mir die anderen. Wenn ich an diesem Punkt bin, werde ich sehr unruhig. Und dann denke ich, ich sollte aufhören und vielleicht Journalist werden und Buchbesprechungen machen. Oder in die Berge gehen, wandern. Aber ich kann die Arbeit an meinem Roman nicht unterbrechen, ehe ich das Problem gelöst oder eine Entscheidung gefällt habe."
Drei von McEwans Romanen, "The Cement Garden", "The Comfort of Strangers" und "The Innocent" sind schon verfilmt worden. Für "Enduring Love" – "Liebeswahn" – liegt eine Anfrage vor. McEwan hat auch eine Zeitlang nebenbei Drehbücher geschrieben. Aber die Zusammenarbeit mit den Menschen aus der Filmindustrie ist nicht sein Ding, sagt er. Denn als Romanautor kann ich Gott sein. Als Drehbuchautor bin ich nur einer von vielen Engelchen.