Archiv


Lieblingsproband von Botanikern

Biologie. - Die Pflanze, der derzeit ein ganzer Kongress gewidmet ist, ist ziemlich unscheinbar, ebenso ihr Name: die gemeine Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana. Doch kein anderes Gewächs ist so gut untersucht und bekannt wie das Unkraut, das mit dünnen Stängeln und meist weißen Blüten an jedem Wegrand zu finden ist. Seit dem Jahr 2000 ist das Genom der Ackerschmalwand bekannt und auf der Tagung Arabidopsis 2004 warten Forscher mit einem weiteren Durchbruch in der Pflanzengenomforschung auf.

Von Volkart Wildermuth |
    Im Keller des Max-Planck-Institutes für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm bei Potsdam dröhnen die Klimaanlagen. Wie überdimensionierte Kühlschränke stehen hier Wachstumskammern in Reih und Glied. Hinter jeder der schweren, luftdichten Türen liegt eine andere Welt. Hier stehen Blumentöpfe quasi in Sibirien, es ist kalt und trocken. Dort ist es tropisch schwülheiß. Und in einen dritten Raum geht die Sonne niemals unter. In den unterschiedlichen Klimakammern stehen Regale voller kleiner Blumentöpfchen mit immer den gleichen Pflänzchen. Über der Erde eine Rosette winziger Blättchen, daraus recken sich dünne Stängel 20 Zentimeter hoch, oben leuchten weiße, unscheinbare Blüten. Die Ackerschmalwand wächst hier im Dienst der Wissenschaft, mal gedeiht sie unter optimalen Bedingungen, mal mickert sie in rissiger ausgetrockneter Erde vor sich hin oder wird bewusst mit Pflanzenkrankheiten geplagt. Mal fehlen genau definierte Nährstoffe, mal bekommen die Pflanzen zusätzliche Blühhormone. Wie die Ackerschmalwand mit diesen unterschiedlichen Bedingungen zurecht kommt, das wollen sich die Wissenschaftler um Professor Thomas Altmann nicht nur ansehen, das wollen sie auf der Ebene der Gene im Detail verstehen.

    Da haben wir einen wesentlichen Meilenstein und Durchbruch erreicht, wir haben die Möglichkeit gehabt, einen Referenzdatensatz zu erzeugen, in dem die Aktivität sämtlicher Gene verzeichnet ist und zwar die Aktivitäten dieser Gene während der Entwicklung der Pflanze, aber auch der Reaktion der Pflanzen gegenüber wechselnden Umwelteinflüssen, Stresssituationen, Interaktionen mit Krankheitserregern. All diese verschiedenen Situationen sind getestet worden und wir kennen die Aktivitätsmuster des gesamten Genoms in den Reaktionen auf diese Behandlung.

    Und damit trägt die Ackerschmalwand jetzt sozusagen das gelbe Trikot der Genomforschung. Zwar liegt die Abfolge der genetischen Buchstaben inzwischen für viele Organismen vor, von Bakterien, Hefen, Würmern, Fliegen, Mäusen und Menschen, aber nur bei Arabidopsis ist jetzt bekannt, wo, wann und unter welchen Bedingungen die Pflanze ihre Gene auch einsetzt. Der Fortschritt lässt sich mit dem Übergang vom Foto zum Film vergleichen. Die Sequenz des Erbguts ist interessant, aber statisch. Die neuen Daten zeigen das Genom der Ackerschmalwand sozusagen in Bewegung, erfassen die Dynamik der Auseinandersetzung der Gene mit der Umwelt. Das ehrgeizige Projekt nennt sich AtGenExpress. Wissenschaftler aus aller Welt haben die Pflanzen dafür angezogen und zu genau definierten Entwicklungsabschnitten jeweils Wurzeln, Stängel, Blättchen, Blüten und Samen getrennt geerntet und Kopien der jeweils in diesen Geweben aktiven Gene isoliert. Das Ergebnis steht inzwischen für alle Forscher frei zugänglich im Internet. Auf der Berliner Konferenz wurden jetzt schon die ersten Analysen präsentiert. So erforscht Professor Detlev Weigel vom Max Planck Institut für Entwicklungsbiologie die Bildung der Blüten. Dank der neuen Daten, so berichtet Thomas Altmann, konnte die Tübinger Gruppe das Erblühen jetzt erstmals umfassend in der Sprache der Genetik beschreiben.

    Sie haben eine ganze Reihe neuer Gene finden können, die ganz spezifisch in diesen Prozess involviert sind, diesen Prozess steuern und unter der Kontrolle einzelner vorher schon bekannter Regulatoren stehen. Aber das komplette Netzwerk der Gene und involvierten Gene war bis vor kurzem nicht bekannt und auf dieses Weise ist diese Tiefe Untersuchung möglich gewesen und die Vollständigkeit der Reaktion erfassbar geworden.

    Zugegeben, die Blüten der Ackerschmalwand sind nicht spektakulär, aber in der Botanik gilt das Motto: Eine für alle. Was für Arabidopsis gilt, das gilt auch für die Rose und den Schachtelhalm, für die Hirse, die Anemone und die Erdbeere. An dem Labor-Kraut gewonnene Erkenntnisse lassen sich deshalb schnell auch in der Pflanzenzucht umsetzen. Arabidopsis mag unscheinbar sein, aber die Pflanze ist der Königsweg in die Vielfalt der Flora, das hat das AtGenExpress einmal mehr belegt.