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Lieder, die Erinnerungen wecken

In Jim Kohlbergs Debütfilm geht es um eine um das gebrochene Verhältnis zwischen Vater und Sohn, für die ein Konzert und Muisk ausschlaggebend war. 20 Jahre später ist es ausgerechnet Musik, die dem kranken Sohn seine Erinnerungen zurückbringen.

Von Josef Schnelle |
    Eine Vater-Sohn-Geschichte. Eine verfilmte neurologische Fallstudie. Eine Zeitreise in die 60er Jahre, als Popmusik noch Weltanschauung war. Eine Liebeserklärung an die Heilkräfte der Musik. Das alles ist Jim Kohlbergs Debütfilm als Regisseur "The Music Never Stopped" und noch mehr. Der Titel zitiert einen Song der Gruppe "Grateful Dead" -.

    "Hören Sie. Ich hatte meinen Jungen 20 Jahre lang verloren. Es war meine Schuld. Das weiß ich. Sogar nachdem wir ihn gefunden hatten, dachten wir, er wäre verloren. Und er wurde operiert, bekam Physiotherapie: jede Behandlung, die die Menschheit kennt. Nichts davon hat geholfen. Aber wenn er einen Grateful-Dead-Song hört, kommt er zu uns zurück. Ihr habt es erlebt. Ich weiß, ich bin der Letzte, den man als "Dead" hätte ansehen können und glauben Sie mir: Wenn ich eine andere Band aussuchen dürfte, um meinen Sohn ins Leben zurückzuholen, würd' ich es tun."

    Im Streit um ein Konzert der psychedelischen Rockgruppe "Grateful-Dead" ist Gabriel Ende der 60er-Jahre zu Hause ausgezogen. Jetzt, 20 Jahre später, erreicht die Eltern die Nachricht, dass bei ihm ein Gehirntumor operiert werden muss. Die Operation verläuft erfolgreich. Der Tumor ist auch "gutartig" gewesen. Es sind jedoch Teile des lymbischen Systems in Mitleidenschaft gezogen worden. Gabriel kann nicht mehr zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden. Der Vietnamkrieg, den er als Jugendlicher bekämpft hat, ist für ihn nie zu Ende gegangen. Auf einen Song im Radio reagiert Gabriel unerwartet mit plötzlich wiederkehrenden Erinnerungen. Der behandelnde Arzt spielt die Bedeutung dieses Ereignisses herunter bringt aber Vater Henry auf die Idee, es systematisch mit Musiktherapie zu versuchen. Mit dem Beatles-Song "All You Need Is Love" hat die Therapeutin erste Erfolge. Gabriel erinnert sich, kann sich plötzlich auch kürzlich stattgefundene Ereignisse wieder merken. Die Therapeutin Dr. Dianne Daly erklärt ihre Theorie.
    "Sie wissen doch, wie das ist, wenn man einen Song hört, in den man sich verliebt. Und es vergehen vielleicht Jahre bis man ihn wieder hört. Aber wenn es passiert, versetzt er einen sofort zurück in den Moment, in dem man sich in ihn verliebt hat, als wäre seitdem keine Zeit vergangen."

    Jim Kohlbergs Film ist natürlich im Kern ein Melodram und keine trockene neurologische Vorlesung aber manchmal kann der Film nicht umhin, das eine oder andere im lockeren Dozententon zu erklären. Das hat mit der Herkunft des Stoffes zu tun. Oliver Sacks, britischer Neurologe und Psychiater, hat die daher geplauderte medizinische Fallstudie in mehr als einem halben Dutzend Büchern zum Literaturgenre verfeinert. Seine Geschichtensammlung "Eine Anthropologin auf dem Mars" erschien 1995 und enthält die wahre Geschichte hinter diesem Film. Die Erzählung heißt "Der letzte Hippie". Jahrelang kursierten diverse Drehbuchversionen eines Spielfilms nach dieser Vorlage in Hollywood. Irgendwann war einmal Brad Pitt als Hauptdarsteller im Gespräch. Solche Projekte - es sind oft nicht die Schlechtesten - verschwinden meist irgendwann im Papierkorb der unrealisierten Filmprojekte. Jim Kohlbergs Verdienst, das Buch wieder herausgefischt zu haben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Kohlberg - eigentlich ein kleiner Produzent unabhängiger amerikanischer Filme - machte sein Herzensprojekt zum Erfolg. Der Film war der Geheimtipp des Sundance-Filmfestivals im Januar und ein kleiner Erfolg in den US-amerikanischen Programmkinos.

    Vor allem die beiden Hauptdarsteller machen diesen nostalgischen Film zu einem Ereignis. Auf dem Plakatmotiv lehnt der Alte mit Hippiekopfband ans Auto. Auf dem Dach ein altes Radio. Der junge Mann mit vollem Haar und Bart hockt mit angezogenen Knien auf dem Kofferraum. Beide tragen Jeans und moderne Turnschuhe. Ein harmonischer Anblick. Der Song "The Music Never Stopped" handelt übrigens davon wie eine Band ein in Routine erstarrtes Dorf aufmischt: "Tanzt weiter noch den ganzen Tag." Heißt es am Ende wenn die Band längst abgereist ist. Was sollen wir den machen ohne die Musik. Die legendären "Grateful Dead" existieren allerdings nicht mehr. Frontmann Jerry Garcia ist schon eine Weile tot und die Musik der "Deads" beherrscht nicht gerade die Charts. Aber ein "Grateful-Dead-Konzert" mit unveröffentlichten Liveversionen einiger Klassiker musste es dann doch noch geben in diesem Film. Nachgestellt allerdings.