Freitag, 29. März 2024

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Lieder von Robert Schumann
Meisterhaft

Der Bariton Christian Gerhaher und der Pianist Gerold Huber haben Lieder von Robert Schumann aufgenommen. Die CD lässt die Kritikerherzen in Deutschland und sogar in New York höher schlagen. Die Aufnahme ist aber nicht nur für Musikkritiker eine Offenbarung.

Am Mikrofon: Susann El Kassar | 09.12.2018
    Der Bariton Christian Gerhaher blickt in die Kamera, hält die Arme verschränkt.
    Hält jedes Lied von Robert Schumann für gelungen und nimmt sie zusammen mit dem Pianisten Gerold Huber alle auf: der Bariton Christian Gerhaher. (Gregor Hohenberg / Sony Music Entertainment)
    Seit 30 Jahren beschäftigen sie sich gemeinsam mit Liedern: Der Bariton Christian Gerhaher und der Pianist Gerold Huber. Und sie sind ein besonderes Phänomen im Kunstlied, weil Christian Gerhaher fast nur mit Gerold Huber als Liedbegleiter oder besser gesagt: als Liedpianist auftritt, und so hat sich über die vielen Jahre ein genaust aufeinander eingespieltes Duo entwickelt. Die beiden haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Funktion des Menschen am Klavier nicht nur auf eine Begleitungsrolle reduziert, sondern als gleichgewichtiger Part im Lied gesehen wird; Beide Musiker loten den Text detailliert aus und führen so vokale Kammermusik auf.
    Die Lieder von Robert Schumann gehörten schon früh zu den Stücken, an denen Christian Gerhaher und Gerold Huber gearbeitet haben, an denen sie gewachsen sind. Im November hat das Duo eine CD nur mit Liedern von Schumann veröffentlicht; es ist der Auftakt zu einer Gesamtaufnahme der Lieder von Robert Schumann und zwar ein vielversprechender! Das Album heißt "Frage" und es lässt die Kritikerherzen in Deutschland und weit darüber hinaus bis zur New York Times höher schlagen. "Frage" ist aber nicht nur für Musikkritiker eine Offenbarung, sondern das Tolle ist: Dieses Album kann Menschen grundlegend fürs Kunstlied, für Robert Schumanns Lieder begeistern, weil es Gerhaher und Huber gelingt, all ihr Wissen, all ihre Erfahrung, all ihr Können in eine leicht zugängliche, verständliche und doch tiefgehende Gestalt zu gießen.
    Musik: Robert Schumann, "Lied der Sturmnacht" aus op.35
    Liedzyklen mit "lyrischer Dramaturgie"
    "Lust der Sturmnacht", das erste Lied aus dem Kerner-Zyklus op.35. Insgesamt 12 Lieder bilden diesen Kerner-Zyklus, einen der größeren Liedzyklen, die Robert Schumann verfasst hat und der größte Zyklus auf dieser CD. Schumann hat hier Gedichte von Justinus Kerner zusammengestellt, die fast alle eine melancholische Note in sich tragen. Justinus Kerner, ein Zeitgenosse Schumanns, arbeitete als Arzt, schrieb nebenher Gedichte und hat übrigens auch die Klecksografien erfunden. Diese Figuren aus zerdrückten Tintenklecksen fanden später in der Psychodiagnostik Nutzen. Christian Gerhaher erkennt in diesem Liedzyklus – wie auch in den kleineren auf dieser CD – eine gemeinsame poetische Idee, ja sogar eine Geschichte, die Schumann in 12 Episoden erzählt. Von einem lyrischen Ich, das aus enttäuschter Liebe sein Glück in der Natur sucht, aber in tiefe Resignation stürzt. Ein erster Wendepunkt in dieser Geschichte ist das Lied "Stirb’, Lieb’ und Freud’!", in dem eine junge Frau sich entscheidet, Nonne zu werden, das lyrische Ich ist aber in sie verliebt. Schumann führt hier die Singstimme in herausfordernde Höhen, der Bariton Christian Gerhaher ist dieser Aufgabe gewachsen und zeigt in diesem Stück auch seine ausgeprägte Legatokunst.
    Musik: Robert Schumann, "Die Nonne" aus op.35
    Mit seinem kunstvoll-natürlichen Erzählton ermöglicht Christian Gerhaher einen leichten Zugang zum emotionalen Gehalt dieser Musik und insbesondere in den Kerner-Liedern zeigt sich, wie klug Gerold Huber mit seinem Part die Verse unterstützt und ihnen auch eine zweite Deutung hinzufügt. Im letzten dieser 12 Kerner-Lieder op.35 spielt das Klavier nur wenige Akkorde, in dieser kargen Umgebung führt Gerhaher seinen Bariton besonders schlicht, dabei trotzdem mit textgenau abgestuften Nuancen der Aussichtslosigkeit.
    Musik: Robert Schumann, "Alte Laute" aus op.35
    Robert Schumann hat auch mehrfach Gedichte von Heinrich Heine vertont. In einigen von ihnen schwingt Ironie mit, beispielsweise in op.49 im Lied "Die beiden Grenadiere". Diese Ironie lässt sich auch in der Musik finden, davon ist Christian Gerhaher überzeugt; diese aber tatsächlich hörbar zu machen, ist nicht einfach. Wenn der französische Soldat in dem Gedicht davon spricht, dass er selbst als Toter im Grab noch allzeit bereit sein will für seinen Kaiser in den Kampf zu ziehen, dann verirren sich manche Sänger in einen plumpen nationalistischen Ton - Schumann deutet hier auch tatsächlich die Marseillaise an - das Duo unterschneidet aber diese Marsch-Facette und Gerold Huber wirft mit dem Klaviernachspiel einen bizarren Blick auf die überzogene Erregung des lyrischen Ichs.
    Musik: Robert Schumann, "Die beiden Grenadiere" aus op.49
    Wie im Kerner-Zyklus erkennt Christian Gerhaher auch in dem kleinen, nur dreiteiligen Zyklus, den 3 Gesängen op. 83, verbindende Elemente, Anzeichen einer "lyrischen Dramaturgie", wie er es nennt. Damit wertet er die kleineren, oft auf der Bühne gar nicht zusammenhängend aufgeführten Werke auf.
    Vokale und pianistische Deutungsintelligenz
    Schumann hat in diesem Zyklus op.83 ein Gedicht eines Unbekannten, eins von Friedrich Rückert und eins von Joseph von Eichendorff zusammengestellt und zwar zu einer vielschichtigen Reflexion über das menschliche Dasein meint Gerhaher. Jedes der drei Lieder hat eine andere Form und damit zeigt dieser Zyklus an sich gleichzeitig das Vielgestaltige dieser Gattung Kunstlied. Es sind solche Gedanken im Booklet der CD, die zeigen, dass sich der Bariton schon lange und intensiv mit den Liedern von Robert Schumann beschäftigt. Auf der musikalischen und auf der textlichen Ebene. Das Glückliche ist, dass er so viel vokale Deutungsintelligenz besitzt und gleichzeitig aber auch ein Gespür dafür, sich nicht in Details zu verlieren, dass er die Interpretation mit seinem großen Wissen nicht überfrachtet.
    Musik: Robert Schumann, Resignation aus op.83
    Das Duo Gerhaher und Huber kombiniert auf ihrer neuen CD Lieder, die Schumann 1840 komponiert hat und solche, die er später, um 1850 geschrieben hat, z.B. die 6 Gesänge op. 107. Im letzten dieser 6 Gesänge zeigt sich Schumann experimentierfreudig, ja fast waghalsig in der Art, wie er Triolen im Klavier, Duolen in der Singstimme gegenüberstellt. Dieses Übereinanderschichten der Rhythmen kann zu einer gewissen Irritation führen, weil es scheint, als würden Huber und Gerhaher teilweise nicht zusammenspielen, so ist es aber von Schumann gedacht. Mit diesem Abendlied gelingt ihnen ein besonders suggestives Stück, das für seine kurze Dauer den Zeitpuls aushebeln kann. Gerhahers Stimme klingt unangestrengt und unmittelbar, und Gerold Huber schattiert die harmonisch wechselhaften Akkordpassagen feinsinnig.
    Musik: Robert Schumann, Abendlied aus op.107
    Frage
    Lieder von Robert Schumann
    Christian Gerhaher, Bariton
    Gerold Huber, Klavier
    sony classical, BR