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Anspiel - Neues vom Klassikmarkt
Ein strahlender Favorit

Wie viel Privates verträgt ein Album? Muss eine neue Aufnahme der Bach-Solo-Sonaten die historische Aufführungspraxis reflektieren? Und wie spielt man Schostakowitsch eigentlich gut? Eine Blitz-Diskussion über neue Klassik-CDs - mit Gewinnern und Verlierern.

Eleonore Büning, Bjoern Woll im Gespräch mit Susann El Kassar |
    Christian Gerhaher stützt seinen Kopf auf die Hände, blickt hinterfragend.
    Prägt seit mehreren Jahren den Kunstlied-Gesang nachhaltig: der Bariton Christian Gerhaher (Gregor Hohenberg / Sony Music Entertainment)
    Drei CDs musste jeder Musikkritiker für die Sendung aussuchen: die beste CD der vergangenen sechs Monate, eine Enttäuschung, die zuletzt erschien, und eine Entdeckung oder Überraschung. So hatten Eleonore Büning, Bjoern Woll und Susann El Kassar insgesamt neun CDs vor sich, über die sie in knapp 45 Minuten diskutierten. Mal überraschend kontrovers, mal als einstimmiger Lobeshymnus.
    Die Musikjournalisten Bjoern Woll, Eleonore Büning und Susann El Kassar.
    Bereit, um zu argumentieren, ob eine Aufnahme gelungen ist oder nicht: Bjoern Woll, Eleonore Büning und Susann El Kassar (v.l.n.r.) (Deutschlandradio / Simone Wien)
    Die besprochenen CDs:
    Life
    Igor Levit, Klavier
    sony classical
    Eleonore Büning: "Die beste CD, die Igor Levit bislang veröffentlicht hat. Sie bricht eine Lanze für die Virtuosen Liszt und Busoni - jeder kennt sie, aber die wenigsten spielen sie. Auf dieser CD kann man erleben, wie Igor Levit ein ungeheuer tiefes Verständnis der lyrischen Passagen bei Liszt aber auch bei Busoni herausarbeitet."
    Der deutsch-russische Pianist Igor Levit tritt am 08.11.2013 im Kulturhaus Dussmann in Berlin im Rahmen eines Showcase auf. Foto: Roland Popp/dpa | Verwendung weltweit
    Igor Levit - Showcase in Berlin (dpa)
    Frage
    Lieder und Balladen von Robert Schumann
    Christian Gerhaher, Bariton
    Gerold Huber, Klavier
    sony classical
    Susann El Kassar: "Wissen, Erfahrung und Können fügen sich hier auf perfekte Weise. Die Interpretation zeugt von Wortverständnis und von Detailliebe, mit denen Huber und Gerhaher eine suggestiven Zugang zu Schumanns Liedern ermöglichen."
    Schostakowitsch
    Streichquartett Nr. 3 / Klavierquintett
    Belcea Quartett
    Piotr Anderszewski, Klaiver
    Alpha classics
    Bjoern Woll: "Mich erschüttert, mich berührt die Art, wie das Belcea Quartett Schostakowitschs drittes Streichquartett spielt. Sie zeigen Mut zum Risiko, spielen planvoll ausbalanciert und gehen bewusst in dynamische Grenzbereiche."
    Die Geigerin Hilary Hahn
    Die Geigerin Hilary Hahn (Peter Miller/DSO)
    Johann Sebastian Bach
    Sonaten Nr. 1 und Nr. 2, Partita Nr. 1
    Hilary Hahn, Violine
    Decca
    El Kassar: "Hilary Hahn ist eine der begabtesten Geigerinnen. Dieses Bach-Album knüpft an, an ihr CD-Debüt, das sie als 17-jährige aufgenommen hat. 20 Jahre später hat sie die fehlenden Bach-Solo-Werke aufgenommen. Das Enttäuschende für mich, dass der Unterschied marginal ist. Ich frage mich, ob sie tatsächlich nicht verfolgt hat, wie man Bach mittlerweile auch spielen kann..."
    Puccini in Love
    Roberto Alagna, Tenor
    Alexandra Kurzak, Sopran
    Sinfonia Varsovia
    Leitung: Riccardo Frizza
    sony classical
    Woll: "Puccini in Love hat das Ehepaar Alagna Kurzak das Album genannt, leider höre ich beispielsweise bei "o suave fanciulla" wenig von Liebe, ich höre da kein Knistern und keine Erotik, mich lässt das eiskalt."
    Schostakowitsch #5
    NDR Elbphilharmonie Orchester
    Leitung: Krzystof Urbanski
    alpha classics
    Büning: "Ein bisschen zu ungenau, ein bisschen zu grob auch in der Phrasierung wie das bei Urbanski öfters der Fall ist - Hauptsache laut. Es gibt eine Menge Referenzaufnahmen, die sind einfach um Lichtjahre besser und ich frage mich, warum wird das gemacht? Man braucht es nicht."
    Miroir(s)
    Elsa Dreisig, Sopran
    Orchestre National de Montpellier Occitanie
    Michael Schoenwandt
    Erato
    Woll: "Ein Debütalbum, das ich nicht nur von der Zusammenstellung der Arien, vom Konzept her überzeugend finde, sondern auch eine schöne Visitenkarte einer jungen Sängerin, die großes Potential zeigt."
    Johannes Brahms
    Sonaten für Violine und Klavier Nr. 1-3
    Leila Schayegh, Violine
    Jan Schultz, Klavier
    Glossa
    El Kassar: "Mein erster Höreindruck war Irriation bis Ablehnung. Ich wollte die CD aber nicht einfach so beseite schieben und mich auf dieses Experiment von Leila Schayegh und Jan Schultz einlassen. Verstehen, warum die beiden Brahms so anders spielen. Und dann hat es was: Wärme, einen anderen Flow."
    Der Cembalist und Dirigent Christophe Rousset auf einem roten Designer-Stuhl
    Der Cembalist und Dirigent Christophe Rousset (Ignacio Barrios)
    Les Horaces
    Les Talens Lyriques
    Judith van Wanroij (Camille), Cyrile Dubois (Curiace), Julien Dran (Horace, der Jüngere), Sebastien Bou (Horace, der Ältere), Les Chantres du Musique Baroque de Versailles
    Leitung: Christophe Rousset
    Aparté
    Büning: "Für mich war das DIE Entdeckung des Jahres! Salieri hat kurz vor der französischen Revolution einen neuen Opernstil ausprobiert, der zwischen Gluck und Wagner steht."