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Litauen zögert Entscheidung über neues AKW hinaus

Im Oktober 2012 haben fast 65 Prozent der Litauer in einem Referendum gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerks gestimmt. Bis heute hat sich die Regierung nicht dazu geäußert, ob sie sich an das - nicht bindende - Abstimmungsergebnis halten will oder nicht.

Von Sabine Adler | 15.05.2013
    Wie halten Sie es mit dem AKW-Referendum, wird der litauische Regierungschef Algirdas Butkevičius seit Monaten immer wieder gefragt, allein – er bleibt die Antwort schuldig. Seit März wird die Regierungserklärung im Parlament immer wieder verschoben, sollte spätestens Mitte Mai kommen, also heute. Auf der Tagesordnung im Seimas steht sie wieder nicht.

    Während die Öffentlichkeit und das Parlament auf eine Antwort warten, bereiten Regierungsexperten auf Arbeitsebene schon Konsultationen mit Lettland und Estland vor, denn nur zu dritt, besser noch zu viert mit Polen, kann der Bau finanziert werden. Die im Oktober bei der Parlamentswahl abgewählte konservative Regierung von Andrius Kubilius wollte den neuen Meiler direkt neben den alten in Ignalina setzen. Volkes Stimme lehnte das Vorhaben ab. Den früheren Parlamentsabgeordneten Rokas Zilinskas, dessen Wahlkreis genau an dem Atomstandort lag, hat seine Pro-Atom-Haltung das Mandat gekostet. Weil das Ergebnis der Abstimmung aber nicht bindend ist, bedeutete für ihn die Ablehnung des AKW noch lange nicht das Aus.

    "Die Frage ist, wie mutig die Regierung sein wird. Alles, was mit Atomkraft zusammenhängt, ist extrem erschütterbar durch die öffentliche Meinung. Wenn Investoren sehen, dass es Unsicherheiten gibt, geben sie entweder gar keine Kredite mehr oder nur noch welche mit hohen Zinsen, was das Ende des Projektes bedeuten kann."
    Befürworter wie der Abgeordnete Zilinskas von der konservativen Partei argumentierten, dass das neue Atomkraftwerk Litauen unabhängig von den teuren russischen Gaslieferungen machen könnte. Für den Chef der Grünen in Litauen, Linas Balsys, ins neue Parlament als unabhängiger Abgeordneter eingezogen, wäre mit dem neuen litauischen AKW exakt das Gegenteil der Fall: eine noch engere Verzahnung der russischen und litauischen Energie-Industrie.

    "Ein Grund ist die Militarisierung dieser Region, wenn man hier zum Beispiel Raketen-Systeme konzentriert, braucht man mehr Energie. Die Russen sind an einem neuen litauischen AKW durchaus interessiert, denn noch sind das AKW in Kaliningrad und wir in Litauen in dem gleichen Stromnetz. Ein litauisches AKW würde die Stabilität des gesamten russischen Netzes gewährleisten."
    Wer also annimmt, dass Russland wegen seines neuen Meilers in Kaliningrad auf das Aus für Ignalina hofft, irrt nach Meinung der Grünen.
    Noch wankt die neue sozialdemokratisch geführte Regierung in Litauen, gibt nicht zu erkennen, ob sie sich an das Ergebnis des Referendums hält oder nicht. Im Wahlkampf schien sie eher gegen das Projekt zu sein, jedoch mit einer Menge Hintertürchen. Sollte Butkevičius jetzt eine Volte schlagen, die ihn doch zum Befürworter macht, wäre das für den einzigen Grünen im Parlament ein klarer Vertrauensbruch.

    "Ich als Verfechter der Ergebnisse des Referendums würde für den Fall, dass die Regierung das AKW trotzdem baut, dies als Schlag ins Gesicht der Menschen sehen. Der Demokratie in Litauen würde damit ein großer Schaden zugefügt werden. Litauen könnte sich dann nicht mehr als demokratisches Land bezeichnen."

    Eine äußerst prominente Befürworterin, Volkes Stimme in der Atomfrage zu ignorieren, hat sich bereits gemeldet: Dalia Grybauskaite, die vorige Woche mit dem Karlspreis geehrte litauische Präsidentin. Sie schlägt eine neue Volksbefragung vor. Linas Balsys, der grüne Abgeordnete, ist Grybauskaites ehemaliger Pressesprecher. Heute spricht er meist nicht für, sondern gegen sie, jedenfalls wenn sie mit solchen Vorschlägen auftritt.

    "Das ist eine der dümmsten Ideen, ein neues Referendum für die dann richtige Antwort zu organisieren. Nach Meinung der Präsidentin sollen die politischen Parteien im Parlament ausmachen, ob sie das neue AKW wollen. Wenn ja, soll es ein neues Referendum geben."

    Frühere Absprachen dagegen lauteten, dass sich die Regierung, mit der Koalition im Rücken, erklärt. Darauf warten die Litauer inzwischen fast ein halbes Jahr.