Archiv


Literaturheiligtum im Wandel

Die Schillergesellschaft ist Trägerin des Deutschen Literaturarchivs und damit auch Betreiber des Literaturmuseums der Moderne in Marbach. Die Palastrevolution, die Ende Mai auf der Jahreshauptversammlung der Schillergesellschaft begonnen hatte, ist vorerst auf Eis gelegt. Manfred Ehrhardt, der seit 2002 amtierende Präsident der Gesellschaft, wurde gestern wiedergewählt - und dies bedeutet einen Punktsieg für den Direktor des Deutschen Literaturarchivs, Ulrich Raulff.

Von Christian Gampert |
    Es ist gerade noch mal gutgegangen: die Palastrevolution, die Ende Mai auf der Jahreshauptversammlung der Schillergesellschaft begonnen hatte, scheint vorerst auf Eis gelegt. Manfred Ehrhardt, der seit 2002 amtierende Präsident der Gesellschaft, wurde gestern wiedergewählt - und dies bedeutet natürlich einen Punktsieg für den Direktor des Deutschen Literaturarchivs, Ulrich Raulff.

    Der gelernte Ideenhistoriker Raulff ist seit seinem Amtsantritt 2004 damit beschäftigt, die Marbacher Institute zu entstauben: die Ausstellungs-Präsentationen waren auf einmal klarer und weniger kommentarlastig, die Themen frecher und gegenwartsbezogener. Die ehrpusselige Gläubigkeit alter Schulphilologie wurde ersetzt durch einen neuen, selbstbewußten Zugriff: Symposien, Lesungen, Konzerte brachten Leben in die Bude, das "LiMo" genannte "Literaturmuseum der Moderne" zog ein junges Publikum an; das Archiv wurde extensiv für die aktuelle Forschung geöffnet, man suchte die Zusammenarbeit auch mit ausländischen Universitäten. Ein Generationenwechsel, sagt Raulff:

    "Es musste etwas Neues geschehen. Es war sehr still geworden in Marbach, es war sehr wenig erfindungsreich geworden in Marbach . Wir haben viel zu wenig junges Publikum gehabt, wir haben auch viel zu wenig junge Benutzer, also Nachwuchswissenschaftler gehabt. An all diesen Fronten haben wir gearbeitet …"

    Manfred Ehrhardt, früher Wissenschaftssenator in Berlin, seit 2002 Präsident der Schillergesellschaft, stützt den neuen Kurs seines Direktors - ein Teil der konservativen Mitglieder aber leistet Widerstand. Es sind dies vor allem jetzige und ehemalige Mitarbeiter des Literaturarchivs, die nun über ihr Vereinsbuch Politik machen. Raulff aber ist von der Zusammenarbeit mit dem mächtigen Vereinsausschuß abhängig:

    "Ich bin nach der Satzung ein Hampelmann, anders kann man es gar nicht nennen. Weil ich laut Satzung nur auszuführen habe, was mir Präsident, Vorstand und Ausschuß, das ist unser Lenkungs-Gremium, zu tun vorschreibt. Auf solche Dinge hat der Wissenschaftsrat den Finger gelegt und hat nun gesagt: da sollte etwas geschehen."

    Der deutsche Wissenschaftsrat hat Marbach evaluiert - mit dem Ergebnis: es wird gute Arbeit gemacht, aber die innere Organisation ist veraltet. Die Frage ist: Kann ein privater Verein wie die Schillergesellschaft drei so mächtige Tanker wie Literaturarchiv, Schiller-Nationalmuseum und "Literaturmuseum der Moderne" überhaupt managen? (Nicht nur) Raulff meint: nein.

    "Man muss deutlich sagen: Die Schillergesellschaft ist als Trägerverein stolz und glücklich, aber gleichzeitig auch überfordert. Denn sie kann, so wie sie aufgestellt ist, die Einrichtungen finanziell nicht tragen."

    Bund und Land bestreiten derzeit über 95 Prozent des Marbacher Jahres-Etats, und der beträgt zwischen acht und zehn Millionen Euro. Die Schillergesellschaft ist arm wie eine Kirchenmaus, hat aber das Sagen. Da wird sich also etwas ändern müssen, und die Kunst wird sein, eine neue Organisationsform zu finden, ohne die reputierliche Schillergesellschaft, immerhin fast 3 500 Mitglieder, völlig zu vergrätzen. Viel mehr als die Rolle der Freunde und Förderer, die nebenbei über die Gebäude und den Grundbesitz verfügen, wird allerdings nicht übrigbleiben.

    Der Wissenschaftsrat empfiehlt als Organisationsform eine Stiftung - dann müssten Bund und Land ihre Zuschüsse nämlich langfristig zusagen, und Marbach gewönne Planungssicherheit. Derzeit wird jedes Jahr neu verhandelt, abhängig von der wirtschaftlichen Konjunktur. In einer Stiftung wäre der Marbacher Direktor, also Raulff, dann auch direkt den Geldgebern verantwortlich - seine Stellung würde gestärkt.

    Einflussreiche Kreise des Vereins wollen das natürlich nicht; wie heftig hinter den Kulissen gestritten wird, kann man schon daraus ersehen, daß eine für Samstag angesetzte Pressekonferenz der Marbacher Berater-Kommission (mit dem Goethe-Instituts-Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann) auf den Herbst verschoben wurde.

    Raulff hat über den Verein bislang kein böses Wort verloren. Vom eingeschlagenen Weg will er allerdings nicht weichen.

    "Das ist ein denkendes Museum, das ist ein forschendes Museum. Und das ist vielleicht auch ein Bruch mit dem, was es früher gewesen ist - das ist nicht nur ein Schaufenster."