Im Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses steigt die Spannung. An einem runden Konferenztisch sitzen sieben Stuttgart-21 Befürwortern sieben Gegnern gegenüber. Hinter Ihnen warten Experten, Mitstreiter, Journalisten auf den Beginn des heutigen Schlichtungstags. Und dann kommt er endlich, der Mann, auf den sie alle gewartet haben: Mit einem Lächeln auf den Lippen lässt Heiner Geißler den Blick durch den Saal schweifen, dann nimmt er seinen Platz ein. Die Geißler-Spiele mögen beginnen:
"Ich begrüße wieder die Bevölkerung, die uns zuschaut, an den Bildschirmen. Und die Zuhörer, die unsere Diskussion verfolgen."
Auf der Showbühne ein Medienprofi mit Entertainerqualitäten, ein Kommunikator, der weiß, wie Worte und Gesten bei der Öffentlichkeit ankommen, ein mit allen Wassern der Medienwelt gewaschener älterer Herr, der ganz offensichtlich die gewaltige Aufmerksamkeit so richtig genießt:
"Vielen Dank auch Phoenix und SWR, die unsere Schlichtung heute wieder direkt übertragen."
Hunderttausende von Menschen sind es, die solche Worte live miterleben – im Fernsehen, im Hörfunk, im Internet. Heiner Geißler weiß das und präsentiert sich dem hochinteressierten Publikum als einzigartige Mischung aus Frank Plasberg und Marcel Reich-Ranicki, aus gewitztem Hofnarren und gestrengem
Richter:
"Darf ich mal eben unterbrechen bitte, so wie Sie das vortragen ist das nicht diskutabel. Erstmal müssen Sie langsamer reden. Darf ich es als Frage formulieren. Reden Sie bitte mal langsamer. Und dann, wenn Sie als Sachverständiger reden, Sie haben innerhalb von drei Minuten zweimal gesagt zweitens. Normalerweise erwartet man ja, dass nach zweitens drittens kommt. Es muss ja ein bisschen systematisch sein."
Was systematisch ist und was nicht, was der Logik entspricht oder ihr zuwiderläuft, das legt bei den Schlichtungsgesprächen in Stuttgart nur einer fest: Heiner Geißler. Sollte der mal nicht zufrieden sein mit dem Verlauf der Gespräche, dann fährt er in ruppigem Ton selbst ausgewiesene Experten an. Gleichzeitig aber vermittelt beiden Seiten das Gefühl, dass sie wirklich ernst genommen und angehört werden:
"Nicht verzweifeln. Professorinnen, Professoren. Alle werden gleich behandelt."
Und so verschafft er beiden Seiten Gehör, gerade auch den Stuttgart-21-Gegnern die jahrelang das Gefühl hatten: Wir werden von der Politik, von der Stadt Stuttgart, von der Bahn einfach ignoriert. Damit ist jetzt Schluss, macht Heiner Geißler deutlich. Und um das zu unterstreichen, stichelt er besonders gerne gegen die prominentesten seiner Gesprächspartner am Schlichtungstisch. Zu spüren bekommt das seine Parteifreundin, Baden-Württembergs Verkehrsministerin Tanja Gönner. Gegen sie setzt Heiner Geißler besonders gerne seine charmant-ironischen Seitenhiebe:
"Jeder, der in einem Ministerium war, weiß, die Gelder werden nicht unbedingt nach den objektivsten Gesichtspunkten verteilt, sondern nach allen möglichen anderen Gesichtspunkten, das ist."
Reaktion der Ministerin Gönner:
"Da bin jetzt weniger ich die Ansprechpartnerin, denn Bundesautobahnen sind ja bekanntlich Bundessache."
Geißler erwiedert:
"In Baden-Württemberg ist das mit Sicherheit völlig anders, ja. Ist eben so."
Die so verulkte Ministerin ringt mit der Fassung, setzt ein gefrorenes Lächeln auf. Eine Blöße will sich niemand geben vor dem Schlichter und dem kritischen Publikum. Als Anwalt dieses Publikums versteht sich Heiner Geißler. Und darum schimpft er oft mit Sachverständigen, die sich unklar ausdrücken, beklagt sich über ihr Fachchinesisch. Und übersetzt schon mal das, was die Fachleute nur in Branchenkauderwelsch ausdrücken konnten:
"Ich sag nur fürs Publikum: Ertüchtigung einer Bahnstrecke heißt Verbesserung. Kein Mensch sagt Ertüchtigung."
Verständlich, einfach, für normale Menschen nachvollziehbar sollen die Experten am Schlichtungstisch gefälligst reden, das bläut Schlichter Geißler ihnen ein. Und sie sollen bei der Wahrheit bleiben, keine Fakten verdrehen, nicht um den heißen Brei herumreden:
"Das geht nicht, dass Sie sagen, dass etwas plan-festgestellt ist, was noch gar nicht planfestgestellt ist. Sonst kriegen wir Unfrieden. Sie müssen doch fair – fair und ehrlich miteinander umgehen."
Mit echtem oder gut gespieltem Interesse bewegt Geißler sich so abwechselnd mal auf die eine Seite zu und dann wieder auf die andere, er kritisiert und lobt gleichermaßen, hält für Gegner wie Befürworter Zuckerbrot und Peitsche bereit. Und immer dann, wenn die Spannung in der Luft ihm zu groß zu werden scheint, macht er einen Scherz. Beispielweise, wenn es um Differenzen geht, innerhalb der Stuttgart-21-Gegnerschaft:
"In der katholischen Kirche gibt es die Pius-Brüder. Mit denen identifiziert sich auch nicht jeder. Ich muss allerdings sagen. Der Papst identifiziert sich mit ihnen mehr als Herr Rockenbaum mit den Baumschützern. Was ein gewisses Problem darstellt. Für die katholische Kirche."
Geißler grinst und eilt sofort zum nächsten Punkt, zur nächsten kritischen Frage. Zielstrebig, unermüdlich, unabhängig. Schon nach wenigen Schlichtungsstunden ist klar: Seinen ursprünglichen Zeitplan kann er nicht einhalten. Doch Geißler lächelt und schiebt einfach ein paar Sondersitzungen ein. Ende des Monats will er mit der Schlichtung durch sein. Und was wird er dann sagen, zum Abschluss der Schlichtungsgespräche? Stuttgart-21-Gegner wie -Befürworter hoffen, dass er ihrer jeweiligen Sache recht geben wird. Geißler aber lässt sich nicht in die Karten schauen:
"Nondum omnium dierum solem occidisse – Das heißt: Noch ist nicht aller Tage Abend."
Ob Heiner Geißler sich am Ende der Schlichtung tatsächlich festlegen wird, ist völlig offen. Offen auch, ob er dann direkt oder indirekt einen Bau von Stuttgart 21 empfehlen sollte oder eine Volksabstimmung darüber. Eins aber steht fest:
Heiner Geißler wird bis zur letzten Minute der Schlichtung alles geben. Und bevor er sich dann zufrieden aus Stuttgart zurückzieht, wird er lächeln und seinen Schlussapplaus genießen.
"Ich begrüße wieder die Bevölkerung, die uns zuschaut, an den Bildschirmen. Und die Zuhörer, die unsere Diskussion verfolgen."
Auf der Showbühne ein Medienprofi mit Entertainerqualitäten, ein Kommunikator, der weiß, wie Worte und Gesten bei der Öffentlichkeit ankommen, ein mit allen Wassern der Medienwelt gewaschener älterer Herr, der ganz offensichtlich die gewaltige Aufmerksamkeit so richtig genießt:
"Vielen Dank auch Phoenix und SWR, die unsere Schlichtung heute wieder direkt übertragen."
Hunderttausende von Menschen sind es, die solche Worte live miterleben – im Fernsehen, im Hörfunk, im Internet. Heiner Geißler weiß das und präsentiert sich dem hochinteressierten Publikum als einzigartige Mischung aus Frank Plasberg und Marcel Reich-Ranicki, aus gewitztem Hofnarren und gestrengem
Richter:
"Darf ich mal eben unterbrechen bitte, so wie Sie das vortragen ist das nicht diskutabel. Erstmal müssen Sie langsamer reden. Darf ich es als Frage formulieren. Reden Sie bitte mal langsamer. Und dann, wenn Sie als Sachverständiger reden, Sie haben innerhalb von drei Minuten zweimal gesagt zweitens. Normalerweise erwartet man ja, dass nach zweitens drittens kommt. Es muss ja ein bisschen systematisch sein."
Was systematisch ist und was nicht, was der Logik entspricht oder ihr zuwiderläuft, das legt bei den Schlichtungsgesprächen in Stuttgart nur einer fest: Heiner Geißler. Sollte der mal nicht zufrieden sein mit dem Verlauf der Gespräche, dann fährt er in ruppigem Ton selbst ausgewiesene Experten an. Gleichzeitig aber vermittelt beiden Seiten das Gefühl, dass sie wirklich ernst genommen und angehört werden:
"Nicht verzweifeln. Professorinnen, Professoren. Alle werden gleich behandelt."
Und so verschafft er beiden Seiten Gehör, gerade auch den Stuttgart-21-Gegnern die jahrelang das Gefühl hatten: Wir werden von der Politik, von der Stadt Stuttgart, von der Bahn einfach ignoriert. Damit ist jetzt Schluss, macht Heiner Geißler deutlich. Und um das zu unterstreichen, stichelt er besonders gerne gegen die prominentesten seiner Gesprächspartner am Schlichtungstisch. Zu spüren bekommt das seine Parteifreundin, Baden-Württembergs Verkehrsministerin Tanja Gönner. Gegen sie setzt Heiner Geißler besonders gerne seine charmant-ironischen Seitenhiebe:
"Jeder, der in einem Ministerium war, weiß, die Gelder werden nicht unbedingt nach den objektivsten Gesichtspunkten verteilt, sondern nach allen möglichen anderen Gesichtspunkten, das ist."
Reaktion der Ministerin Gönner:
"Da bin jetzt weniger ich die Ansprechpartnerin, denn Bundesautobahnen sind ja bekanntlich Bundessache."
Geißler erwiedert:
"In Baden-Württemberg ist das mit Sicherheit völlig anders, ja. Ist eben so."
Die so verulkte Ministerin ringt mit der Fassung, setzt ein gefrorenes Lächeln auf. Eine Blöße will sich niemand geben vor dem Schlichter und dem kritischen Publikum. Als Anwalt dieses Publikums versteht sich Heiner Geißler. Und darum schimpft er oft mit Sachverständigen, die sich unklar ausdrücken, beklagt sich über ihr Fachchinesisch. Und übersetzt schon mal das, was die Fachleute nur in Branchenkauderwelsch ausdrücken konnten:
"Ich sag nur fürs Publikum: Ertüchtigung einer Bahnstrecke heißt Verbesserung. Kein Mensch sagt Ertüchtigung."
Verständlich, einfach, für normale Menschen nachvollziehbar sollen die Experten am Schlichtungstisch gefälligst reden, das bläut Schlichter Geißler ihnen ein. Und sie sollen bei der Wahrheit bleiben, keine Fakten verdrehen, nicht um den heißen Brei herumreden:
"Das geht nicht, dass Sie sagen, dass etwas plan-festgestellt ist, was noch gar nicht planfestgestellt ist. Sonst kriegen wir Unfrieden. Sie müssen doch fair – fair und ehrlich miteinander umgehen."
Mit echtem oder gut gespieltem Interesse bewegt Geißler sich so abwechselnd mal auf die eine Seite zu und dann wieder auf die andere, er kritisiert und lobt gleichermaßen, hält für Gegner wie Befürworter Zuckerbrot und Peitsche bereit. Und immer dann, wenn die Spannung in der Luft ihm zu groß zu werden scheint, macht er einen Scherz. Beispielweise, wenn es um Differenzen geht, innerhalb der Stuttgart-21-Gegnerschaft:
"In der katholischen Kirche gibt es die Pius-Brüder. Mit denen identifiziert sich auch nicht jeder. Ich muss allerdings sagen. Der Papst identifiziert sich mit ihnen mehr als Herr Rockenbaum mit den Baumschützern. Was ein gewisses Problem darstellt. Für die katholische Kirche."
Geißler grinst und eilt sofort zum nächsten Punkt, zur nächsten kritischen Frage. Zielstrebig, unermüdlich, unabhängig. Schon nach wenigen Schlichtungsstunden ist klar: Seinen ursprünglichen Zeitplan kann er nicht einhalten. Doch Geißler lächelt und schiebt einfach ein paar Sondersitzungen ein. Ende des Monats will er mit der Schlichtung durch sein. Und was wird er dann sagen, zum Abschluss der Schlichtungsgespräche? Stuttgart-21-Gegner wie -Befürworter hoffen, dass er ihrer jeweiligen Sache recht geben wird. Geißler aber lässt sich nicht in die Karten schauen:
"Nondum omnium dierum solem occidisse – Das heißt: Noch ist nicht aller Tage Abend."
Ob Heiner Geißler sich am Ende der Schlichtung tatsächlich festlegen wird, ist völlig offen. Offen auch, ob er dann direkt oder indirekt einen Bau von Stuttgart 21 empfehlen sollte oder eine Volksabstimmung darüber. Eins aber steht fest:
Heiner Geißler wird bis zur letzten Minute der Schlichtung alles geben. Und bevor er sich dann zufrieden aus Stuttgart zurückzieht, wird er lächeln und seinen Schlussapplaus genießen.