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Lohnenswerte Wiederentdeckung

Als der australische Komponist Alfred Hill 1960 mit 89 Jahren starb, umfasste sein Gesamtwerk mehr als 500 Kompositionen - darunter 12 Sinfonien, acht Opern und 17 Streichquartette. Gerade mal eine Handvoll Einspielungen existieren heute von Hills Werken. Nun gibt es eine neue Aufnahme seiner frühen Streichquartette.

Von Maja Ellmenreich |
    Australischer Komponist mit vier Buchstaben. Ich möchte wetten, dass die wenigsten von Ihnen - sollte diese Frage mal in einem Kreuzworträtsel auftauchen - die Antwort wüssten! Hill lautet sie: Alfred Hill, so der Name des gesuchten Komponisten aus Australien. Mir sagte er nichts - umso erfreulicher die Neuentdeckung. Die ersten drei von insgesamt 17 Streichquartetten des Alfred Hill sind jetzt auf einer neuen CD bei dem Label NAXOS erschienen.

    * Musikbeispiel: Alfred Hill - Scherzo aus Streichquartett Nr. 3 a-moll "The Carnival"

    Da klingen Antonín Dvorák, Josef Suk, vielleicht auch Peter Tschaikowsky oder Johannes Brahms durch. Um es gleich vorweg zu sagen: Alfred Hill war kein Neuerer, alles andere als ein Avantgardist, der das Gewesene hinter sich ließ und unterwegs zu neuen Ufern war - zumindest nicht, was seine Kompositionen angeht.

    Neue Ufer hat Alfred Hill nämlich durchaus betreten: Der 1870 im australischen Melbourne geborene Hill war als Teenager in Begleitung seines Bruders John zu einer Reise ans andere Ende der Welt aufgebrochen. Ihr Ziel war Leipzig und ein Studium am dortigen Königlichen Konservatorium der Musik. Die Gebrüder Hill hatten schon daheim, in Australien und Neuseeland, Musik gemacht. Sie waren mit fahrenden Theatergruppen unterwegs und hatten Unterhaltung an jene Orte gebracht, die man auch kulturell als "Outback" bezeichnen kann.

    Während immer mehr Menschen freiwillig nach "terra australis" kamen, verließen die Brüder Hill also ihre Heimat, zogen aber nicht ins Mutterland Großbritannien, sondern nach Leipzig. Sie erhofften sich das, was es zu Hause noch nicht gab: eine solide musikalische Ausbildung. Mit Kontrapunkt und Satzlehre, Geigenspiel und nicht zuletzt Kompositionsunterricht. Alfred Hill entpuppte sich als Musterschüler. Schon bald nach Studienbeginn wurde er ins Leipziger Gewandhausorchester aufgenommen, arbeitete sich von einer zweiten zu einer ersten Geige empor und spielte am Tuttipult unter so namhaften Komponisten-Dirigenten wie Brahms, Grieg, Tschaikowsky und Max Bruch. Diese zutiefst romantische Prägung nahm Alfred Hill nach vier intensiven Leipziger Jahren mit nach Hause und sollte sie ein Leben lang bewahren: insbesondere sein Interesse für folkloristische Klänge, das ihm die Professoren in Leipzig bereits attestiert hatten. Sie waren in seinen ersten Kompositionen auf Spuren keltischer Volksmusik gestoßen.

    * Musikbeispiel: Alfred Hill - 'Waiata' (Ausschnitt) aus Streichquartett Nr. 1 B-dur "Maori"

    Zurück in "Downunder" wurde aus Alfred Hills Begeisterung für die Musik der Kelten sehr bald Begeisterung für die Musik der australischen Aborigines und der neuseeländischen Maori. Seinem ersten Streichquartett, aus dem wir gerade einen kurzen Ausschnitt hörten, gab er denn auch den Beinamen "Maori" - auch wenn die melodischen Anleihen darin noch sehr versteckt sind.
    Zurück in "Downunder" stürzte sich Alfred Hill in das erwachende Musikleben. Jahrelang pendelte er zwischen Australien und Neuseeland, mischte überall mit, wo es um den Aufbau kultureller Infrastrukturen nach europäischem Vorbild ging. Dirigierte hier eine Oper, unterstützte dort die Gründung einer Musikvereinigung, hob sogar ein eigenes Konservatorium aus der Taufe: die Alfred-Hill-Academy of Music.

    Bei aller Funktionärs- und Lobbyarbeit nahm er sich aber auch noch Zeit zum Komponieren: Als Alfred Hill 1960 mit 89 Jahren starb, umfasste sein Gesamtwerk mehr als 500 Kompositionen - darunter 12 Sinfonien, acht Opern und 17 Streichquartette.

    Gerade mal eine Handvoll Einspielungen existieren heute von Hills Werken; allesamt aufgenommen von australischen Ensembles. Dass das Label NAXOS jetzt eine CD auf den Markt bringt, die den Titel trägt "Alfred Hill - String Quartets Volume I" und darauf fein säuberlich-chronologisch mit den Streichquartetten 1-3 beginnt, das lässt vermuten, dass man sich jetzt für eine systematische Dokumentation des Hillschen Oeuvres entschieden hat.

    Der Beginn mit dem Quartett Nr. 1 ist aus chronologischer Sicht verständlich, musikalisch allerdings ein wenig mühsam. Allzu schlicht geht es los: Die Themen sind durchaus überschaubar, die Gliederung mehr als deutlich, und auch harmonisch ist man stets bestens orientiert. Wie gesagt: Alfred Hill war alles andere als ein Avantgardist.

    * Musikbeispiel: Alfred Hill - Moderato (Ausschnitt) aus Streichquartett Nr. 1 B-dur "Maori"

    Auf das brav-biedere 1. Streichquartett von Alfred Hill folgt mit Nummer 2 eine Überraschung: Kunstvoller, komplizierter, ausgereifter und vielschichtiger hat Alfred Hill in den Jahren 1907-11 daran gearbeitet. Wir haben es bei dem 2. Quartett in g-moll auch nicht mit absoluter Musik konventionellen Zuschnitts zu tun. Alfred Hill hat ein gut 20minütiges Stück Programmmusik geschrieben, er erzählt in den vier Sätzen eine Maori-Legende, eine Geschichte, in der Kraniche mit Monstern kämpfen, böse Priester ihre Feinde verhexen und tapfere Helden gefährliche Mutproben bestehen müssen. Die Handlung dieser Maori-Legende mit all ihren Konflikten, Entwicklungen, Anspannungen und Entspannungen spiegelt sich zwangsläufig in der Musik wider - und das nur zu ihrem Vorteil. Alfred Hill, ein ausgewiesener Musiktheaterkenner, komponierte mit seinem Streichquartett Nr. 2 quasi eine kleinformatige Bühnenmusik, in der er etwas geschehen lässt, in der er aber auch Stimmungen heraufbeschwört.

    * Musikbeispiel: Alfred Hill - 'The Dream' (Ausschnitt) aus Streichquartett Nr. 2 "A Maori Legend in Four Scenes"

    Das Dominion Quartet, eine Formation aus Musikern des New Zealand Symphony Orchestra, hat die Quartette 1-3 von Alfred Hill eingespielt. Mit Herzblut, mit Gefühl, mit Engagement - keine Frage. Doch gelegentlich nehmen es die vier Streicher mit der Intonation, mit dem punktgenauen Zusammenspiel und der durchdachten Phrasierung nicht so ganz genau. Sie gehen "musikantisch" an die Sache heran - das verlangt diese zuweilen schmissige Musik von Alfred Hill auch; allerdings hätte ein bisschen mehr Sorgfalt und Mühe nicht geschadet. Schließlich kann der Vorstoß des Dominion Quartet leicht zum Eigentor werden: Das Quartett wird mit seiner Aufnahme hoffentlich ein großes Publikum auf die in Vergessenheit geratene Musik von Alfred Hill aufmerksam machen; doch sollten dadurch andere Ensembles auf den Geschmack kommen, könnten sie das Dominion Quartet in puncto Qualität womöglich überflügeln.

    * Musikbeispiel: Alfred Hill - Finale (Ausschnitt) aus Streichquartett Nr. 3 a-moll "The Carnival"

    Eine überraschende Neuentdeckung für die einen - eine lohnenswerte Wiederentdeckung für die anderen: Die Streichquartette 1-3 von dem australischen Komponisten Alfred Hill. "String Quartets Volume I" - das klingt nach Fortsetzung. Bei NAXOS ist diese erste Folge erschienen, aufgenommen von dem nicht immer lupenrein spielenden Dominion Quartet. Und dennoch - allein des Repertoires wegen - empfehlenswert.

    Alfred Hill - Streichquartette Vol. 1
    Dominion Quartet
    Label: Naxos
    Labelcode: LC 05537
    Bestell-Nr.: 8.570491