
Es ist ein wenig so, als würde das Weimarer Nationaltheater eine Welttournee mit Goethes "Faust" starten. Oder das Berliner Ensemble mit Bertolt Brechts "Dreigroschenoper". Natürlich haben beide Institutionen in ihrer heutigen Form praktisch nichts mit dem Zustand der Entstehungszeit der großen Dramen gemeinsam. Aber weil die Namen der Theater so weltberühmt wie die der dort einst gespielten Dichter sind, billigt man ihnen, zumal im Ausland, eine imaginäre Kompetenz zu, die aus dem Mythos schöpft. Irgendwie werde der Geist des Hauses sich schon positiv auf die heutigen Akteure auswirken und über Zeit und Raum hinweg auch die Gegenwart beeinflussen.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der "Hamlet"-Welttournee von "Shakespeare's Globe", die nach ihrem Start in Amsterdam gestern Bremen erreichte. Das Globe der Gegenwart ist ein 1997 eröffneter Nachbau des Originals. Nicht ganz an derselben Stelle, aber eine immerhin sonst die Aufführungsverhältnisse der Shakespeare-Zeit so exakt spiegelnde Bühne, wie es wohl auf der Welt keine zweite gibt. Der Bau ist der Markenkern des Wirtschaftsunternehmens "Shakespeare's Globe", das die Erwartungen seines internationalen Publikums seit bald 20 Jahren ohne all zu große Experimente bedient.
Bei der Welttournee fehlt allerdings genau dieser Markenkern, gespielt wird auf Gastspielbühnen wie der sehr breiten Bühne der restlos ausverkauften bremer shakespeare company. Eine Aufführung des "Shakespeare-Globe" verspricht offenbar eine Wahrheit, die bei uns nicht zu finden ist - und einen Blick auf ein gänzlich anderes Theatersystem als das hiesige. Und in der Tat entsprach das, was da am Freitagabend in Bremen zu sehen und zu hören war, so absolut gar nicht den deutschen Sehgewohnheiten. Ganz als käme die Inszenierung tatsächlich aus einem anderen Jahrhundert oder von einem anderen Kontinent.
Nur zwölf Schauspieler
Eine fahrende Theatergruppe hat ihre Planen auf der Bühne der bremer shakespeare company aufgeschlagen. Mit nur zwölf Schauspielern spielt das "Shakespeare-Globe" Hamlet auf einem circa sechs mal sechs Meter großen Quadrat. Im Hintergrund stehen ein paar Stellwände mit Plastik-Planen. Und als bewegliche Elemente sechs Transportkisten für Bühnen-Requisiten. Die Schlichtheit der Dekoration erinnert wirklich an reisende Theatergruppen. Dieses Set könnte man tatsächlich mit zwei Planwagen oder, etwas moderner gedacht, VW-Bussen transportieren.
Zumal die Truppe ganz wie zur Shakespeare-Zeit gänzlich auf Technik verzichtet. Eigene Scheinwerfer, Beamer, Rauchmaschinen oder gar Bühnenpodien besitzt sie nicht. Das Licht im Zuschauerraum und das Arbeitslicht auf der Bühne bleibt die ganzen zwei dreiviertel Stunden an. Damit wolle man an die Freiluftatmosphäre im Globe erinnern, erklärt einer der Schauspieler, die schon vor Beginn der eigentlichen Performance auf der Bühne abhängen. In Kostümen, die aussehen, als seien sie aus verschiedenen Epochen zusammengesucht.
Überhaupt ist der Moment vor der Vorstellung der stärkste Moment dieses seltsamen Abends. Ein ausverkaufter Zuschauersaal voller lärmender und angesichts des großen Namens extrem gespannter Zuschauer, die auf die paar Utensilien auf der Bühne starren.
Dann die Schauspieler, die irgendwann hinter den Planen auf der Bühne hervorschlendern, mit Menschen in den vorderen Reihen auf Englisch plaudern und sich langsam für das Spiel warm machen. Es fehlen nur noch lärmende Snackverkäufer und natürlich müssten wir alle stehen. Die Szene hat tatsächlich etwas vom Globe-Theater, von einer Zeit, als die Grenzen zwischen Zuschauerraum und Theaterraum fließend waren und Zuschauer wie Schauspieler allein auf die Kraft der Texte vertrauten. Mit etwas Wohlwollen kann man dann, als der Hamlet endlich beginnt, auch durchaus Spaß haben.
Naiv und auf die Geschichte vertrauend
Die Truppe spielt den Stoff so naiv auf die Geschichte vertrauend wie ein Ensemble zur Shakespeare-Zeit oder eine Schulklasse der Oberstufe unserer Gegenwart. Das geht bis hin zu den Regieanweisungen. Taucht bei Shakespeare der Geist von rechts auf, kommt von rechts ein hünenhafter alter Mann auf die Bühne, dessen Geisterhaftigkeit wir aus dem Text entnehmen müssen. Und dessen Auftritt, auch das ganz wie früher, lediglich durch die Musik unterstützt wird. Denn auch in puncto Ton agiert die Truppe absolut autonom: Wer nicht spielt, macht auf Instrumenten, die an der Rückseite der Bühne hängen, Musik. Sphärenhafte Klänge zum Geisterauftritt oder eine Fanfare, wenn der König die Szene betritt.
In einer Inszenierung, bei der es leicht wäre, sie in Grund und Boden zu verdammen, weil sie nicht mehr bietet als unterdurchschnittliches Schülertheater mit einer etwas besseren, aber keineswegs viel besseren Besetzung. Aber mit der Vorüberlegung, dass wir hier eben nicht die neue Oberschule, sondern Shakespeare's Globe bei der Arbeit verfolgen, ist der Abend dennoch geeignet, über die reduzierten Theaterbedingungen der Shakespeare-Zeit nachzudenken. Und über das viel gescholtene deutsche Regietheater der Gegenwart, das plötzlich wunderbar verführerisch, sinnlich, fantasievoll und intelligent erscheint. Und von einem Shakespeare, wenn er denn tatsächlich mit einer Zeitmaschine ins Jahr 2014 transportiert worden wäre, mit Sicherheit diesem Globe-Theater-Museum vorgezogen worden wäre.