Jacqueline Boysen: Herr Bisky, immer mehr grausige Bilder erreichen uns in diesen Tagen, Bilder von der gewaltsamen Unterdrückung der Tibeter – ihr Kampf gegen die chinesische Vorherrschaft. Die Bilder erinnern an Bilder aus dem Jahre 1989. Wenn Sie zurückdenken, wie einst die SED das Vorgehen gegen die Opposition in China auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking damals verteidigt hat, geflissentlich übersehend wohl bemerkt, dass die Zeit ihrer eigenen autoritären Herrschaft schon fast abgelaufen war, dann stellt sich die Frage, wie Ihre ja inzwischen zur LINKEN mutierten Partei sich zu solchen Vorfällen heute stellt und was Sie als einer der Vorsitzenden dieser LINKEN genannten Partei über einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking denken.
Lothar Bisky: 1989 – es ist wahr, dass die Führung der SED das im Prinzip verteidigt hat. Ich will aber auch sagen, dass meine Genossen an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg . . .
Boysen: ... deren Direktor Sie waren …
Bisky: … ja, aber ein Video gedreht haben, wo Studenten zu Wort kamen mit sehr kritischer Meinung zu den Vorfällen am Platz des Himmlischen Friedens, aber auch die Parteisekretärin sich eindeutig davon distanziert hat. Das gab es auch. Aber das Politbüro hat das nicht geliebt, diese Vorfälle. Das ist wohl war.
Boysen: Was leiten Sie daraus heute ab für einen möglichen Boykott?
Bisky: Von Boykotts Olympischer Spiele halte ich wenig. Ich denke, das hat in der Vergangenheit wenig gebracht und wird heute auch wenig bringen. Was ich denke, was wichtig ist, dass die Menschen in Tibet eine kulturelle Tradition pflegen und entwickeln dürfen und als Minderheit auch ihre Rechte durchsetzen können auf friedliche Art und Weise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die chinesische Führung glücklich über die gegenwärtige Situation ist.
Boysen: Blicken wir auf die Schlagzeilen in unserem eigenen Land, Herr Bisky. Die SPD scheint von einer Selbstzerfleischung erfasst zu sein, die ihren Ursprung hat in der Frage: Wie halten wir’s mit der Linken? In welchem Verhältnis stehen nun diese beiden Parteien – die SPD und DIE LINKE – zueinander? Sind sie Konkurrenten oder nicht viel mehr auch strategische Partner?
Bisky: Im Moment sind wir wohl Konkurrenten. Wenn ich mir angucke, was die SPD in der letzten Zeit so über DIE LINKE gesagt hat, dann habe ich viele interessante, viele komische Ansichten gehört. Vor allen Dingen habe ich eines vermisst, dass die SPD sich mal mit den Ursachen befasst. Es ist völlig klar, wir haben das bei der Agenda 2010 gesagt, als sie verkündet wurde: Das wird Widerstand geben, das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir haben es bei den Hartz-Gesetzen gesagt, dass wir dagegen sind, und das haben wir dann getan. Es hatte sich dann die WASG herausgebildet, so ist ja in Vereinigung mit der PDS dann die neue LINKE entstanden. Und wer darüber nachdenken will, warum sie entstanden ist, der muss auf diese unsoziale Gesetzgebung zurückgehen und auf die Einschnitte, die es dadurch für Hunderttausende von Menschen gegeben hat. Und dann kommt man zu einer Antwort – nicht, ob die eine oder die andere Partei irgendwelchen bisher fremden Ideologien nachhinkt.
Boysen: Das hieße ja aber im Umkehrschluss, dass, wenn es einen Linksschwenk der SPD gäbe, die Grundlage für die Existenz Ihrer Partei, der LINKEN, dahin wäre?
Bisky: Also, ich sehe mich im Moment gar nicht mal gefährdet. Ich glaube, wir haben eine ganz solide Existenzgrundlage. Einerseits akzeptieren viele Menschen, dass die wenigstens sagen, was ist. Das ist ja noch nicht viel, aber das ist eine Grundlage. Das Zweite ist: Ich glaube, man unterstützt eine Opposition. Die Opposition besteht ja in der Frage der sozialen Gerechtigkeit und in Militäreinsätzen der Bundeswehr an verschiedenen Orten der Welt. Das wird unterstützt. Und das Dritte ist dann das Gestalterische. Da machen wir Vorschläge. Und diese drei Elemente – Protest, Opposition und Gestalten – sind drei Elemente einer neuen linken Politik, und dadurch sind wir in der Bevölkerung akzeptiert worden.
Boysen: Über die Gewichtung zwischen diesen drei Elementen sollten wir noch reden. Aber bleiben wir bei der SPD. Es fällt auf, dass Teile Ihrer Partei, nicht zuletzt Ihr Mitvorsitzender Oskar Lafontaine, die SPD massiv beschimpft. Lafontaine spricht über seine ehemaligen Parteikollegen als "Reformchaoten". Dann gibt es den Bundesgeschäftsführer Ihrer Partei, Dietmar Bartsch. Der verspottet die SPD als "Hühnerhaufen". Ist das eigentlich klug? Ihre Partei braucht die SPD möglicherweise eines Tages als Koalitionspartner.
Bisky: Frau Boysen, wenn Sie mal sich anhören, was die SPD alles über DIE LINKE gesagt hat, dann finde ich das eher als zahme Ausdrücke. Ich will mich nicht daran beteiligen, das will ich ausdrücklich sagen, weil ich glaube, dass das für alle Seiten nichts bringt. Und das können Sie mir schon glauben, so einfach geht das auch nicht an mir vorbei, nur – ich gehöre nicht zu denen, die meinen, ich müsste jetzt meine eigene Sensibilität pflegen. Auf unserer Seite liegt der "schwarze Peter" im Moment nicht, weil die SPD gewaltig schimpft. Ich kann das im gewissen Sinne verstehen, weil sie ja verliert.
Boysen: Ja, aber wenn Sie immer sagen, der schwarze Peter oder der Ball – wenn wir gerade nach Hessen gucken – der Ball läge im Garten der SPD, dann sollte man wohl nicht übersehen, dass auch bei der LINKEN Ungereimtheiten – mal vorsichtig gesagt – aufmerken lassen, nicht zuletzt die, dass DIE LINKE vom Formtief der SPD profitiert, vor allem aber von denen, die eben mit der Reformpolitik der Agenda 2010 unzufrieden sind, sich von der SPD abwenden hin zur LINKEN. Würde dieser LINKEN die Basis entzogen, wenn die SPD – das würde ich gern nochmal genau hören – wenn die SPD einen Linksschwenk machen würde?
Bisky: Ich glaube das nicht. Es hat ja lange gedauert, ehe eine LINKE Fünf-Prozent-fähig wird, also die Fünf-Prozent-Hürde nimmt. Das hat lange gedauert, und viele haben ja gesagt, das wird nie passieren. Das ist jetzt passiert, und ich glaube, dafür gibt es Gründe, die länger gewirkt haben als eine Wahl. Sondern es gibt schon eine Unzufriedenheit mit dem Drang der SPD zur Mitte. War es nicht Schröder – ich entsinne mich noch genau daran –, der immer auf die Mitte zu marschiert ist. Und alle wollten nur noch Mitte sein, und jetzt haben wir im Bundestag vier Parteien, die wollen alle Mitte sein. Und sie trampeln in der Mitte herum, und wir sind links. Wenn man das Links-Rechts-Spektrum denn akzeptieren will, so grobschlächtig es ist, dann muss man sich schon verorten. Die wollen alle Mitte sein, dann sollen sie da bleiben. Auf jeden Fall machen sie neo-liberale Politik, und das ist mit der LINKEN nicht zu vereinbaren.
Boysen: Wir kommen noch darauf, wie Ihre Partei sich verortet. Aber lassen Sie uns noch einen Blick nach Hessen werfen. Frau Ypsilanti hat ihr Projekt, wie sie sagt, "auf Eis gelegt". Es ist also konserviert, nicht beerdigt – diese Idee, sich von der LINKEN tolerieren zu lassen. Wie ist Ihre Prognose, und wie weit darf eigentlich Ihre Partei im Falle einer Annäherung gehen?
Bisky: Also, im Moment ist das rein spekulativ. Es gibt nur eine Tatsache: Wir regieren mit der SPD in Berlin, und das in der zweiten Periode. Aber ansonsten...
Boysen: … wir sind aber jetzt in Hessen …
Bisky: … wir sind jetzt in Hessen, ja ja, ich will ja nicht ausweichen. Aber da höre ich immer die Ankündigungen, und die Ankündigungen werden zurückgenommen – und dann wieder neu, und dann weiß man gar nicht so recht, woran man ist. Wir haben nie gesagt: "Nie", "mit Niemandem" usw.. Und das ist jetzt korrigiert worden durch einen Schuss Realismus, und nun wollen wir mal sehen, wie weit der Realismus geht. Wir sind in Hessen nicht in der Not, regieren zu müssen. Ich sage mir, dass wir erst dann echt angesprochen sind, wenn man etwa die Frage "gesetzlicher Mindestlohn", "Überwindung von Hartz IV", "Auslandseinsätze der Bundeswehr" tatsächlich auf die Tagesordnung . . .
Boysen: … das sind aber natürlich nicht landespolitische Themen …
Bisky: … ja, das ist schon richtig, aber wir sind ja auch eine Partei, die landes- und bundespolitisch akzeptiert sind. Und wenn wir die Bundeswehr jetzt mal weglassen wollen oder Außenpolitik generell, dann entsteht ja auch in Hessen die Frage "gesetzlicher Mindestlohn". Die SPD hat Unterschriften gesammelt. Ja, mit wem will sie das jetzt machen? Mit der FDP doch nicht!
Boysen: Ich finde es bezeichnend, dass dieses Vorhaben von Frau Ypsilanti, sich von der LINKEN, von Ihrer Partei, tolerieren zu lassen, gescheitert ist an Einsprüchen der Sozialdemokratin Frau Metzger. Frau Metzger hat ausdrücklich politisch moralisch oder historisch argumentiert, weswegen sie als ehemalige Westberlinerin eine eventuelle Kooperation mit der LINKEN, deren Wurzeln in die SED zurückreichen, nicht ertragen kann. Ihr – Frau Metzgers – Vater setzte sich ein gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD, die Familie wurde nach dem Mauerbau getrennt. Und das ist eine Erfahrung, die Sie, Herr Bisky, selber auch gemacht haben. Aber bei Ihnen war es der freiwillige Gang – im Alter von 18 Jahren von Schleswig-Holstein, wohin es Sie nach der Flucht Ihrer Eltern aus Pommern verschlagen hatte – in die DDR. Wer aber nun unfreiwillig die Teilung als Teilung der Familie – Zerrissenheit – erlebte, kann man dem eigentlich verdenken, dass er eine Zusammenarbeit mit Ihrer Partei, so sehr sie sich gewandelt haben mag, ablehnt?
Bisky: Also, es wurde Unrecht in der DDR verübt, das will ich nicht bestreiten. Und wer das Unrecht erfahren hat, hat seinen Groll. Insofern kann ich Frau Metzger als Person verstehen. Aber Politik kann nicht darauf beruhen, dass man sich wechselseitig ausgrenzt. Die, die heute in Hessen kandidieren, haben mit der Mauer nichts zu tun. Ich sage das so, ohne dass wir uns da jetzt drücken wollen. Die kritische Auseinandersetzung mit der DDR bleibt, aber aktuell sind wir doch als lernfähige Individuen in der Lage, eine moderne Politik zu betreiben. Und da kann man nicht nur in die Geschichte gehen. Wenn man danach ginge, dann dürfte sozusagen in der deutschen Geschichte sich sehr viele überhaupt nicht mehr zu Wort melden.
Boysen: Sie haben in Ihrer eigenen Partei nunmehr verschiedene Elemente. die alte PDS, die WASG und KPD-Mitglieder, Ex-Gewerkschafter, ehemalige Sozialdemokraten – Enttäuschte, die ihrer Partei den Rücken gekehrt haben und nun bei der LINKEN sich sammeln. Wie kann man diese zusammenführen, wie sind Sie zufrieden mit der Verschmelzung dieser unterschiedlichen Elemente? Ich glaube, es war Gregor Gysi, der mal gesagt hat, man braucht mindestens drei Jahre. Es ist noch nicht mal eins inzwischen um, wie beurteilen Sie den Zusammenhalt dieser verschiedenen Elemente in Ihrer Partei?
Bisky: Im Moment gibt es keinen Grund zu großer Klage. Natürlich gibt es Probleme, das ist auch ganz normal, wenn man daran denkt: Der Westhintergrund, der kulturelle Hintergrund West und der DDR-Hintergrund, das sind natürlich verschiedene Welten. Die sozialen Erfahrungen sind anders. Der Übergang von einer Staatspartei zu einer Oppositionspartei bringt eine ganz andere Erfahrung als sozusagen ein Randdasein in einer linken Splittergruppe in der Bundesrepublik. All das muss man berücksichtigen, und das wird weiterhin Probleme bringen. Aber wir sind auf einem guten Wege, zusammenzuwachsen. Insofern bin ich optimistisch, wie wohl ich nicht davon ausgehe, dass wir ab morgen keine Probleme mehr hätten.
Boysen: Herr Bisky, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Petra Pau, eine langjährige parteiinterne Mitstreiterin in Sachen Reformen, beschreibt den Weg, den die PDS einst genommen hat, mit drei Phasen. Zunächst ging es um die pure Existenz der Partei, dann darum, die Akzeptanz zu verschaffen und drittens dann um eine inhaltliche Bestimmung, beginnend natürlich bei der "Gretchenfrage": Soll man mitregieren oder sich auf die "Opposition" – in Anführungsstrichen – beschränken. An welcher Stelle dieser Entwicklung ist DIE LINKE jetzt angekommen?
Bisky: Wir sind in der komfortablen Situation, dass man sich an uns gewöhnt hat, dass Menschen wieder zuhören, was wir reden. Und das Großartige, was gelungen ist, ist, dass es auch im Westen jetzt der Fall ist . . .
Boysen: ... na ja, Frau Metzger steht ja als eine für viele, bei denen dieses "es ist Normalität" noch gar nicht angekommen ist ...
Bisky: ... es gibt solche Schicksale auch im Osten, wie das von Frau Metzger. Das ist ja nicht exklusive Ost oder West. Es gibt auch im Osten welche, die sind durch SED-Unrecht betroffen gewesen, und die lieben uns natürlich nicht. Und das verstehe ich in gewissem Sinne. Aber jetzt sind wir in der Situation, dass wir zunehmen. Und das macht ja die Unruhe der Sozialdemokraten und der anderen Parteien aus. Jetzt sind wir über fünf Prozent in westlichen Ländern, und das scheint sozusagen als eine Schändung des Grals oder des Heiligtums zu sein. Und deshalb fällt man über uns her. Wir werden aber in dieser Größenordnung eher wachsen als zurückgehen. Insofern gehe ich davon aus: Ja, es gibt Probleme, aber die meisten Probleme kann nur DIE LINKE sich selber schaffen, und sie kann die Probleme auch nur alleine lösen. Wir müssen in der Lage sein, zu verstehen, dass meinetwegen in Mecklenburg-Vorpommern Politik auch mal etwas anders ist als im Saarland, in Bayern, etwas anders als in Schleswig-Holstein, in Ost etwas anders als in West. Und wenn man diese Toleranz aufbringt, dann kommt man auch zu Gemeinsamkeiten. Ich suche die Gemeinsamkeiten, nicht das Trennende.
Boysen: Herr Bisky, für die PDS mit diesen Anfangsschwierigkeiten, die sie in den 90er Jahren ja zweifellos hatte, gehörte dazu, dass man sich auseinander gesetzt hatte mit der Geschichte der DDR. Vielleicht hat es nicht grundsätzlich ein Umdenken bei allen Ihren Mitgliedern gegeben, es war aber doch ein Wert Ihrer Partei, diese integriert zu haben. Was passiert jetzt? Jetzt ist dazu gekommen eine DKP, die nie gezwungen war, sich mit ihrer Vergangenheit auseinander zu setzen, die ganz stark, wir wissen es, abhängig war von den Zuwendungen aus der DDR, die aber ihre eigene Geschichte nicht unter die Lupe genommen hat, geschweige denn, sich jemals offiziell distanziert zu haben. Verspielt dieser Teil der West-Linken nicht das, was die Reformer in Ihrer Partei mühsam seit 18 Jahren aufgebaut haben?
Bisky: Das lassen wir gar nicht verspielen. Wir haben in konkreten Fällen erkennbar reagiert. Das war bei Frau Wegner, da haben wir gesagt, das geht mit uns nicht. Das ist inhaltlich nicht tragfähig, weil wir uns die Auseinandersetzung mit der Staatssicherheit und mit dem, was unrecht war in der DDR, geleistet haben. Und dabei bleibe ich mal. Und wir werden das erneuern. Das ist ja nicht ein für allemal, sondern wir werden die kritische Auseinandersetzung mit der repressiven Seite des Staatssozialismus weiter führen.
Boysen: Werden Sie auch die ehemaligen DKP-Mitglieder oder heute noch DKP-Mitglieder dazu bringen?
Bisky: Das weiß ich nicht. Ich spreche nicht für die DKP. Ich spreche für die Linke.
Boysen: Ja, aber Sie haben auf Ihren Listen noch ...
Bisky: Wer für die Linke kandidiert, dass will ich in aller Deutlichkeit sagen, der muss wissen, dass Bestandteil der Linken der antistalinistische Grundkonsens ist. Und wer auf den nicht verzichten kann, dem empfehle ich, lieber nicht zur Linken zu kommen.
Boysen: Treffen Sie denn da auf offene Ohren bei Ihrem Mitvorsitzenden Oskar Lafontaine, der ja doch den Eindruck erweckt, als interessiere er sich nicht sonderlich für die DKP-Geschichte. Er hat das mal ausdrücklich gesagt.
Bisky: Nein, nein, nein, das würde ich jetzt ganz energisch zurückweisen wollen. Oskar Lafontaine sieht das genau so wie ich. Wir wollen demokratische Lösungen, demokratisch-sozialistische Lösungen. Und dafür streiten wir, und nicht über einzelne Abschnitte der Geschichte oder gar noch die Rechtfertigung von Dingen, die man nicht rechtfertigen kann.
Boysen: Die PDS, Ihre alte Partei, schmückte sich eine Zeit lang mit dem Attribut, sie sei im Westen angekommen. Das bedeutete, dass sie auch diejenigen, die der Bundesrepublik skeptisch und fremd gegenüber standen, integriert haben und ihnen in gewisser Weise politische Heimat bot. Ihre Stärke, die Stärke der damaligen PDS, lag da insbesondere auch im sogenannten vorpolitischen Raum: Die PDS half den Bürgern bei der Auseinandersetzung mit Sozialämtern, sie war in der Wohlfahrtspflege aktiv, in den Kommunen stets ansprechbar. Heute drängt im Osten die NPD mit jüngerem Personal in diese Domäne. Wie können Sie sich dagegen wehren, dass sich hier ein neuer, aggressiver Nationalsozialismus ausbreitet? Sehen Sie auch Ansätze für ein mögliches Verbot der NPD?
Bisky: Ja. Die NPD ist eine Partei, die neofaschistischer Ideologie anhängt. Und deshalb gehört sie verboten. Es darf nur nicht so gemacht werden wie beim ersten Mal. Die V-Leute müssten abgezogen werden und dann kann man ein Verbots-Verfahren erfolgreich gestalten. Rückzug aller V-Leute, und dann ein Gerichtsverfahren. Das wäre realistisch. Ansonsten sprechen Sie ein Problem an, das mir auch am Herzen liegt. Natürlich, da haben wir weiterhin eine Verantwortung wie andere Parteien auch, den Einfluss der NPD wo immer es geht zu begrenzen. Und natürlich hat meine Partei auch eine besondere Verpflichtung, und ich bleibe dabei, wir müssen Partei der Kümmerer bleiben. Ich nenne das mal vereinfacht Partei der Kümmerer, die vor Ort die Sorgen der Menschen aufgreift, ohne eigenes Parteiinteresse sich darum kümmert. Das ist übrigens auch wichtig für andere Parteien, ich glaube, für alle Parteien, dadurch den Einfluss der NPD zurück zu drängen.
Boysen: Herr Bisky, lassen Sie uns im Blick auch auf den Parteitag Ihrer Partei im Mai in Cottbus auf diese Partei und auch ihre Programmatik blicken. Wenn man die Eckpunkte, die momentan Ihr noch nicht existentes Programm ersetzen, anguckt, wenn man nicht allein die plakativen Forderungen, sondern auch die programmatischen Eckpunkte liest, dann ist eigentlich nicht zu erkennen, woher die immensen staatlichen Leistungen, die da versprochen werden, kommen sollen. Sie sprechen von Unternehmensbesteuerung, von Erbschaftssteuern, Abgaben auf Renditen und Spekulationsgewinne, aber all das wird kaum eine Grundsicherung, die kostenfreie Krankenversorgung, die Abschaffung der Studienbeiträge, die Rente ab 60, die gebührenfreie Kinderbetreuung, den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und und und – all das, was Sie da aufzählen – finanzieren. Wo würden Sie Schwerpunkte setzen?
Bisky: Also, wir versprechen ja nicht, dass wir alle sozialen Probleme über Nacht lösen, sondern wir gehen da realistisch vor und sagen, was man mit welchen Mitteln lösen kann. Und wir haben bei allen unsere Vorschlägen, die wir unterbreiten, auch Finanzierungsvorschläge. Es ist falsch, sich einfach hinzustellen wie einige das machen, wie der Finanzminister, und zu sagen, die Linke braucht noch 150 Milliarden. Das ist einfach Unsinn. Das ist in der parteipolitischen Polemik gestattet, das kann ihm niemand verbieten, das will ihm niemand verbieten, es ist aber schlichter Unsinn. Immerhin haben wir den Sachverstand auch eines Finanzministers . . .
Boysen: Eines ehemaligen ...
Bisky: ... eines ehemaligen Finanzministers seiner Partei. Und der denkt auch mit seinem Sachverstand drin herum. Und wir haben andere Finanzexperten. Das, was wir fordern, kann man finanzieren. Aber – und das ist jetzt bei Parteien das Problem – Sie sprachen von Eckpunkten, das ist Programmatik. Man kann die Programmatik nicht über Nacht auf die Tagesordnung setzen. Deshalb brauchen wir mittelfristige Angebote. Und wir müssen jeweils von Wahl zu Wahl auch sagen, wie wann welches Problem gelöst wird.
Boysen: Deswegen frage ich nach den Schwerpunkten.
Bisky: Ja, die Schwerpunkte für uns sind: Hartz IV muss weg. Wir sind dafür, dass ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird. Wir sind dafür, dass die Ein-Euro-Jobs umgewandelt werden in sozialpflichtige Versicherung. Wir sind für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Wir wissen, dass das nicht alles ist und so weiter und so fort. Und wir sind bei einer Steuerreform bei einer Reihe von Vorschlägen und wir wollen sozusagen jetzt auch uns um die gesetzliche Rente stärker kümmern. Das wird auf jeden Fall in Cottbus Schwerpunkt des Parteitages sein. Und nun sage ich einfach mal auch ein wenig aggressiv, denn das geht mir dann auch etwas auf den Docht, wo sind denn die großen Reformer hingekommen? Agenda 2010 ist gescheitert, Hartz IV ist gescheitert, die Gesundheitsreform ist eine Reform gegen die kranken Menschen. Und das weiß man doch. Und man weiß doch auch, dass man mit den Renten im Kern nicht mal die Inflationsrate ausgleicht. Das wissen doch alle. Insofern fühle ich mich da durchaus nicht besonders bedrängt, wenn da immer gesagt wird, ihr seid unrealistisch. Und die Armut vieler bleibt.
Boysen: Wenn man Ihre Eckpunkte genau liest bis zur letzten Seite, dann findet man auf dieser letzten Seite zur Diskussion gestellte Fragen. Da findet man den Eckpunkt Vollbeschäftigung. Da heißt es: Sind unsere Konzepte – also die Konzepte der Linken – ausreichend, dieses Ziel zu erreichen. Wie, Herr Bisky, beantworten Sie diese Frage?
Bisky: Ich sage, sie sind nicht ausreichen. Und das sage ich durchaus öffentlich, weil ich nicht vorgaukeln möchte, dass wir auf jede Frage eine Antwort haben. Ich sage das nur für mein Gebiet, das ist so Informations- und Kommunikationstechnologien. Natürlich kann ich mir dort mehr Beschäftigung vorstellen, aber dann muss man komplexe Programme verwirklichen, etwa die Informationsarbeiter generell anders fördern, anders fordern und anders mit den Arbeitsplätzen auf diesem Gebiet umgehen. Das geht aber nicht über Nacht. Und da sind eine Reihe von Fragen offen, die ich gerne diskutieren möchte.
Boysen: Die Partei wird auf ihrem Parteitag in Cottbus einen neuen Vorstand wählen müssen. Daher gibt es im Vorfeld natürlich Diskussionen. Das ist, werden Sie jetzt sagen, in jeder Partei und ganz normal. Ich würde gerne von Ihnen wissen, was Sie von der Frauenquote im Vorstand halten, für die Petra Pau plädiert, und ich würde gerne von Ihnen wissen, wie Sie mit der parteiinternen Kritik umgehen, Kritik, die sagt: Wir sind zu stark, nur eine Protestpartei, wir definieren uns ex negativo aus den Fehlern der anderen und wir haben keine oder zu wenig Diskussion darüber, was eine moderne, emanzipatorische linke Partei heute leisten soll.
Bisky: Also zum ersten, wir sind quotiert. Gegenwärtig kann man darüber klagen, dass drei Männer dort an der Spitze sind. Das ist auch ein Konzept für Cottbus, das man wählen oder ablehnen kann. Das sage ich ohne Leidenschaften. Man kann die drei Männer ja abwählen.
Boysen: Die drei Männer, die da heißen Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky?
Bisky: Das kann man durchaus machen, das ist überhaupt nicht das Problem. Das wäre dann ein anderes Konzept. Ich habe gesagt, ich stehe noch mal zur Verfügung mit Lafontaine und Gysi 2009. Das ist aber eine andere Frage. Da kann man das anders sehen, aber quotiert sind wir. Natürlich gibt es mit dem Zusammenwachsen auch einige neue Probleme. Nun sage ich aber auch mal ein Lob des Zusammenwachsens. Wir haben so viel gewerkschaftspolitische Kompetenz bekommen wie keine andere Partei, und zwar in wenigen Jahren. Das sind gestandene, erfahrene, kluge Gewerkschafter, die jetzt mit uns Politik machen. Das ist doch ein Riesengewinn.
Boysen: Ich verstehe Sie richtig: Sie kandidieren wieder und nehmen an, dass die beiden anderen Herren, die Sie eben genannt haben, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, dies natürlich auch tun werden.
Bisky: Ja, davon gehe ich aus, weil sonst ist da irgendetwas in der Vereinbarung nicht mehr stimmig.
Boysen: Es wird keine Quoten mehr geben zwischen denjenigen, die aus der PDS und der WASG oder anderen Gruppierungen stammen. Wohin treibt denn Die LINKE dann?
Bisky: Die LINKE treibt auf Gedeih und Verderb zur Gemeinsamkeit. Wenn sie die nicht findet, wird die LINKE scheitern. Das sage ich so.
Boysen: Fürchten Sie ein Auseinanderbrechen?
Bisky: Nein, das fürchte ich nicht.
Boysen: Treten nicht die eigentlichen Ziele der PDS, immerhin ja noch – Sie sprechen immer von Quellparteien – die Mächtigste der Quellparteien, in den Hintergrund? Wenn man die Eckpunkte liest, dann steht da tatsächlich erst unter Punkt 8 oder 9 die Angleichung der Lebensverhältnisse Ost und West. Und neulich hat Oskar Lafontaine, als er ein sogenanntes Strategiepapier der Bundestagsfraktion vorlegte, diesen Punkt überhaupt gar nicht mehr genannt. Zeigt das, dass Sie sich stärker abkehren von der Interessenvertretung in Ostdeutschland, die Sie ja nun mal waren und auch als Person, wenn ich das sagen darf, verkörpern?
Bisky: Nein, das sehe ich nicht so. Also, das Neue, was ist, das ist, dass Ost und West zusammen gehen. Und wir wollen auf Augenhöhe und gemeinschaftlich und partnerschaftlich Politik betreiben. Und das geht nicht die eine gegen die andere. Wir bleiben in Ostdeutschland die starke Ostvertretung. Und das merkt die Bevölkerung auch. Und ich möchte nicht, dass wir sozusagen im Westen gewinnen und im Osten verlieren. Nein, ich möchte, dass wir im Osten ganz stark sind und im Westen dazu gewinnen.
Boysen: Herr Bisky, Sie haben uns jetzt verraten, dass Sie wieder antreten werden. Ganz überraschend kommt das natürlich nicht. Wie haben Sie verschmerzt, dass die Legislaturperiode im Jahr 2005 für Sie begann mit einer ganz ungewöhnlichen, sicherlich auch schmerzlichen Erfahrung: Viermal sind Sie angetreten und wollten für Ihre Partei Bundestagsvizepräsident werden und viermal sind Sie gescheitert. Wie geht man um mit einem solchen Ergebnis?
Bisky: Das ist eine Niederlage, das ist klar. Aber auch aus Niederlagen kann man etwas Positives machen. Der Bundestag hat mit Mehrheit beschlossen, dass ich mich mehr um meine Partei kümmern soll. Das habe ich getan und werde den Bundestag verlassen, wenn die Partei zweistellig wird. Das ist dann meine Antwort auf diese Niederlage.
Lothar Bisky: 1989 – es ist wahr, dass die Führung der SED das im Prinzip verteidigt hat. Ich will aber auch sagen, dass meine Genossen an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg . . .
Boysen: ... deren Direktor Sie waren …
Bisky: … ja, aber ein Video gedreht haben, wo Studenten zu Wort kamen mit sehr kritischer Meinung zu den Vorfällen am Platz des Himmlischen Friedens, aber auch die Parteisekretärin sich eindeutig davon distanziert hat. Das gab es auch. Aber das Politbüro hat das nicht geliebt, diese Vorfälle. Das ist wohl war.
Boysen: Was leiten Sie daraus heute ab für einen möglichen Boykott?
Bisky: Von Boykotts Olympischer Spiele halte ich wenig. Ich denke, das hat in der Vergangenheit wenig gebracht und wird heute auch wenig bringen. Was ich denke, was wichtig ist, dass die Menschen in Tibet eine kulturelle Tradition pflegen und entwickeln dürfen und als Minderheit auch ihre Rechte durchsetzen können auf friedliche Art und Weise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die chinesische Führung glücklich über die gegenwärtige Situation ist.
Boysen: Blicken wir auf die Schlagzeilen in unserem eigenen Land, Herr Bisky. Die SPD scheint von einer Selbstzerfleischung erfasst zu sein, die ihren Ursprung hat in der Frage: Wie halten wir’s mit der Linken? In welchem Verhältnis stehen nun diese beiden Parteien – die SPD und DIE LINKE – zueinander? Sind sie Konkurrenten oder nicht viel mehr auch strategische Partner?
Bisky: Im Moment sind wir wohl Konkurrenten. Wenn ich mir angucke, was die SPD in der letzten Zeit so über DIE LINKE gesagt hat, dann habe ich viele interessante, viele komische Ansichten gehört. Vor allen Dingen habe ich eines vermisst, dass die SPD sich mal mit den Ursachen befasst. Es ist völlig klar, wir haben das bei der Agenda 2010 gesagt, als sie verkündet wurde: Das wird Widerstand geben, das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir haben es bei den Hartz-Gesetzen gesagt, dass wir dagegen sind, und das haben wir dann getan. Es hatte sich dann die WASG herausgebildet, so ist ja in Vereinigung mit der PDS dann die neue LINKE entstanden. Und wer darüber nachdenken will, warum sie entstanden ist, der muss auf diese unsoziale Gesetzgebung zurückgehen und auf die Einschnitte, die es dadurch für Hunderttausende von Menschen gegeben hat. Und dann kommt man zu einer Antwort – nicht, ob die eine oder die andere Partei irgendwelchen bisher fremden Ideologien nachhinkt.
Boysen: Das hieße ja aber im Umkehrschluss, dass, wenn es einen Linksschwenk der SPD gäbe, die Grundlage für die Existenz Ihrer Partei, der LINKEN, dahin wäre?
Bisky: Also, ich sehe mich im Moment gar nicht mal gefährdet. Ich glaube, wir haben eine ganz solide Existenzgrundlage. Einerseits akzeptieren viele Menschen, dass die wenigstens sagen, was ist. Das ist ja noch nicht viel, aber das ist eine Grundlage. Das Zweite ist: Ich glaube, man unterstützt eine Opposition. Die Opposition besteht ja in der Frage der sozialen Gerechtigkeit und in Militäreinsätzen der Bundeswehr an verschiedenen Orten der Welt. Das wird unterstützt. Und das Dritte ist dann das Gestalterische. Da machen wir Vorschläge. Und diese drei Elemente – Protest, Opposition und Gestalten – sind drei Elemente einer neuen linken Politik, und dadurch sind wir in der Bevölkerung akzeptiert worden.
Boysen: Über die Gewichtung zwischen diesen drei Elementen sollten wir noch reden. Aber bleiben wir bei der SPD. Es fällt auf, dass Teile Ihrer Partei, nicht zuletzt Ihr Mitvorsitzender Oskar Lafontaine, die SPD massiv beschimpft. Lafontaine spricht über seine ehemaligen Parteikollegen als "Reformchaoten". Dann gibt es den Bundesgeschäftsführer Ihrer Partei, Dietmar Bartsch. Der verspottet die SPD als "Hühnerhaufen". Ist das eigentlich klug? Ihre Partei braucht die SPD möglicherweise eines Tages als Koalitionspartner.
Bisky: Frau Boysen, wenn Sie mal sich anhören, was die SPD alles über DIE LINKE gesagt hat, dann finde ich das eher als zahme Ausdrücke. Ich will mich nicht daran beteiligen, das will ich ausdrücklich sagen, weil ich glaube, dass das für alle Seiten nichts bringt. Und das können Sie mir schon glauben, so einfach geht das auch nicht an mir vorbei, nur – ich gehöre nicht zu denen, die meinen, ich müsste jetzt meine eigene Sensibilität pflegen. Auf unserer Seite liegt der "schwarze Peter" im Moment nicht, weil die SPD gewaltig schimpft. Ich kann das im gewissen Sinne verstehen, weil sie ja verliert.
Boysen: Ja, aber wenn Sie immer sagen, der schwarze Peter oder der Ball – wenn wir gerade nach Hessen gucken – der Ball läge im Garten der SPD, dann sollte man wohl nicht übersehen, dass auch bei der LINKEN Ungereimtheiten – mal vorsichtig gesagt – aufmerken lassen, nicht zuletzt die, dass DIE LINKE vom Formtief der SPD profitiert, vor allem aber von denen, die eben mit der Reformpolitik der Agenda 2010 unzufrieden sind, sich von der SPD abwenden hin zur LINKEN. Würde dieser LINKEN die Basis entzogen, wenn die SPD – das würde ich gern nochmal genau hören – wenn die SPD einen Linksschwenk machen würde?
Bisky: Ich glaube das nicht. Es hat ja lange gedauert, ehe eine LINKE Fünf-Prozent-fähig wird, also die Fünf-Prozent-Hürde nimmt. Das hat lange gedauert, und viele haben ja gesagt, das wird nie passieren. Das ist jetzt passiert, und ich glaube, dafür gibt es Gründe, die länger gewirkt haben als eine Wahl. Sondern es gibt schon eine Unzufriedenheit mit dem Drang der SPD zur Mitte. War es nicht Schröder – ich entsinne mich noch genau daran –, der immer auf die Mitte zu marschiert ist. Und alle wollten nur noch Mitte sein, und jetzt haben wir im Bundestag vier Parteien, die wollen alle Mitte sein. Und sie trampeln in der Mitte herum, und wir sind links. Wenn man das Links-Rechts-Spektrum denn akzeptieren will, so grobschlächtig es ist, dann muss man sich schon verorten. Die wollen alle Mitte sein, dann sollen sie da bleiben. Auf jeden Fall machen sie neo-liberale Politik, und das ist mit der LINKEN nicht zu vereinbaren.
Boysen: Wir kommen noch darauf, wie Ihre Partei sich verortet. Aber lassen Sie uns noch einen Blick nach Hessen werfen. Frau Ypsilanti hat ihr Projekt, wie sie sagt, "auf Eis gelegt". Es ist also konserviert, nicht beerdigt – diese Idee, sich von der LINKEN tolerieren zu lassen. Wie ist Ihre Prognose, und wie weit darf eigentlich Ihre Partei im Falle einer Annäherung gehen?
Bisky: Also, im Moment ist das rein spekulativ. Es gibt nur eine Tatsache: Wir regieren mit der SPD in Berlin, und das in der zweiten Periode. Aber ansonsten...
Boysen: … wir sind aber jetzt in Hessen …
Bisky: … wir sind jetzt in Hessen, ja ja, ich will ja nicht ausweichen. Aber da höre ich immer die Ankündigungen, und die Ankündigungen werden zurückgenommen – und dann wieder neu, und dann weiß man gar nicht so recht, woran man ist. Wir haben nie gesagt: "Nie", "mit Niemandem" usw.. Und das ist jetzt korrigiert worden durch einen Schuss Realismus, und nun wollen wir mal sehen, wie weit der Realismus geht. Wir sind in Hessen nicht in der Not, regieren zu müssen. Ich sage mir, dass wir erst dann echt angesprochen sind, wenn man etwa die Frage "gesetzlicher Mindestlohn", "Überwindung von Hartz IV", "Auslandseinsätze der Bundeswehr" tatsächlich auf die Tagesordnung . . .
Boysen: … das sind aber natürlich nicht landespolitische Themen …
Bisky: … ja, das ist schon richtig, aber wir sind ja auch eine Partei, die landes- und bundespolitisch akzeptiert sind. Und wenn wir die Bundeswehr jetzt mal weglassen wollen oder Außenpolitik generell, dann entsteht ja auch in Hessen die Frage "gesetzlicher Mindestlohn". Die SPD hat Unterschriften gesammelt. Ja, mit wem will sie das jetzt machen? Mit der FDP doch nicht!
Boysen: Ich finde es bezeichnend, dass dieses Vorhaben von Frau Ypsilanti, sich von der LINKEN, von Ihrer Partei, tolerieren zu lassen, gescheitert ist an Einsprüchen der Sozialdemokratin Frau Metzger. Frau Metzger hat ausdrücklich politisch moralisch oder historisch argumentiert, weswegen sie als ehemalige Westberlinerin eine eventuelle Kooperation mit der LINKEN, deren Wurzeln in die SED zurückreichen, nicht ertragen kann. Ihr – Frau Metzgers – Vater setzte sich ein gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD, die Familie wurde nach dem Mauerbau getrennt. Und das ist eine Erfahrung, die Sie, Herr Bisky, selber auch gemacht haben. Aber bei Ihnen war es der freiwillige Gang – im Alter von 18 Jahren von Schleswig-Holstein, wohin es Sie nach der Flucht Ihrer Eltern aus Pommern verschlagen hatte – in die DDR. Wer aber nun unfreiwillig die Teilung als Teilung der Familie – Zerrissenheit – erlebte, kann man dem eigentlich verdenken, dass er eine Zusammenarbeit mit Ihrer Partei, so sehr sie sich gewandelt haben mag, ablehnt?
Bisky: Also, es wurde Unrecht in der DDR verübt, das will ich nicht bestreiten. Und wer das Unrecht erfahren hat, hat seinen Groll. Insofern kann ich Frau Metzger als Person verstehen. Aber Politik kann nicht darauf beruhen, dass man sich wechselseitig ausgrenzt. Die, die heute in Hessen kandidieren, haben mit der Mauer nichts zu tun. Ich sage das so, ohne dass wir uns da jetzt drücken wollen. Die kritische Auseinandersetzung mit der DDR bleibt, aber aktuell sind wir doch als lernfähige Individuen in der Lage, eine moderne Politik zu betreiben. Und da kann man nicht nur in die Geschichte gehen. Wenn man danach ginge, dann dürfte sozusagen in der deutschen Geschichte sich sehr viele überhaupt nicht mehr zu Wort melden.
Boysen: Sie haben in Ihrer eigenen Partei nunmehr verschiedene Elemente. die alte PDS, die WASG und KPD-Mitglieder, Ex-Gewerkschafter, ehemalige Sozialdemokraten – Enttäuschte, die ihrer Partei den Rücken gekehrt haben und nun bei der LINKEN sich sammeln. Wie kann man diese zusammenführen, wie sind Sie zufrieden mit der Verschmelzung dieser unterschiedlichen Elemente? Ich glaube, es war Gregor Gysi, der mal gesagt hat, man braucht mindestens drei Jahre. Es ist noch nicht mal eins inzwischen um, wie beurteilen Sie den Zusammenhalt dieser verschiedenen Elemente in Ihrer Partei?
Bisky: Im Moment gibt es keinen Grund zu großer Klage. Natürlich gibt es Probleme, das ist auch ganz normal, wenn man daran denkt: Der Westhintergrund, der kulturelle Hintergrund West und der DDR-Hintergrund, das sind natürlich verschiedene Welten. Die sozialen Erfahrungen sind anders. Der Übergang von einer Staatspartei zu einer Oppositionspartei bringt eine ganz andere Erfahrung als sozusagen ein Randdasein in einer linken Splittergruppe in der Bundesrepublik. All das muss man berücksichtigen, und das wird weiterhin Probleme bringen. Aber wir sind auf einem guten Wege, zusammenzuwachsen. Insofern bin ich optimistisch, wie wohl ich nicht davon ausgehe, dass wir ab morgen keine Probleme mehr hätten.
Boysen: Herr Bisky, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Petra Pau, eine langjährige parteiinterne Mitstreiterin in Sachen Reformen, beschreibt den Weg, den die PDS einst genommen hat, mit drei Phasen. Zunächst ging es um die pure Existenz der Partei, dann darum, die Akzeptanz zu verschaffen und drittens dann um eine inhaltliche Bestimmung, beginnend natürlich bei der "Gretchenfrage": Soll man mitregieren oder sich auf die "Opposition" – in Anführungsstrichen – beschränken. An welcher Stelle dieser Entwicklung ist DIE LINKE jetzt angekommen?
Bisky: Wir sind in der komfortablen Situation, dass man sich an uns gewöhnt hat, dass Menschen wieder zuhören, was wir reden. Und das Großartige, was gelungen ist, ist, dass es auch im Westen jetzt der Fall ist . . .
Boysen: ... na ja, Frau Metzger steht ja als eine für viele, bei denen dieses "es ist Normalität" noch gar nicht angekommen ist ...
Bisky: ... es gibt solche Schicksale auch im Osten, wie das von Frau Metzger. Das ist ja nicht exklusive Ost oder West. Es gibt auch im Osten welche, die sind durch SED-Unrecht betroffen gewesen, und die lieben uns natürlich nicht. Und das verstehe ich in gewissem Sinne. Aber jetzt sind wir in der Situation, dass wir zunehmen. Und das macht ja die Unruhe der Sozialdemokraten und der anderen Parteien aus. Jetzt sind wir über fünf Prozent in westlichen Ländern, und das scheint sozusagen als eine Schändung des Grals oder des Heiligtums zu sein. Und deshalb fällt man über uns her. Wir werden aber in dieser Größenordnung eher wachsen als zurückgehen. Insofern gehe ich davon aus: Ja, es gibt Probleme, aber die meisten Probleme kann nur DIE LINKE sich selber schaffen, und sie kann die Probleme auch nur alleine lösen. Wir müssen in der Lage sein, zu verstehen, dass meinetwegen in Mecklenburg-Vorpommern Politik auch mal etwas anders ist als im Saarland, in Bayern, etwas anders als in Schleswig-Holstein, in Ost etwas anders als in West. Und wenn man diese Toleranz aufbringt, dann kommt man auch zu Gemeinsamkeiten. Ich suche die Gemeinsamkeiten, nicht das Trennende.
Boysen: Herr Bisky, für die PDS mit diesen Anfangsschwierigkeiten, die sie in den 90er Jahren ja zweifellos hatte, gehörte dazu, dass man sich auseinander gesetzt hatte mit der Geschichte der DDR. Vielleicht hat es nicht grundsätzlich ein Umdenken bei allen Ihren Mitgliedern gegeben, es war aber doch ein Wert Ihrer Partei, diese integriert zu haben. Was passiert jetzt? Jetzt ist dazu gekommen eine DKP, die nie gezwungen war, sich mit ihrer Vergangenheit auseinander zu setzen, die ganz stark, wir wissen es, abhängig war von den Zuwendungen aus der DDR, die aber ihre eigene Geschichte nicht unter die Lupe genommen hat, geschweige denn, sich jemals offiziell distanziert zu haben. Verspielt dieser Teil der West-Linken nicht das, was die Reformer in Ihrer Partei mühsam seit 18 Jahren aufgebaut haben?
Bisky: Das lassen wir gar nicht verspielen. Wir haben in konkreten Fällen erkennbar reagiert. Das war bei Frau Wegner, da haben wir gesagt, das geht mit uns nicht. Das ist inhaltlich nicht tragfähig, weil wir uns die Auseinandersetzung mit der Staatssicherheit und mit dem, was unrecht war in der DDR, geleistet haben. Und dabei bleibe ich mal. Und wir werden das erneuern. Das ist ja nicht ein für allemal, sondern wir werden die kritische Auseinandersetzung mit der repressiven Seite des Staatssozialismus weiter führen.
Boysen: Werden Sie auch die ehemaligen DKP-Mitglieder oder heute noch DKP-Mitglieder dazu bringen?
Bisky: Das weiß ich nicht. Ich spreche nicht für die DKP. Ich spreche für die Linke.
Boysen: Ja, aber Sie haben auf Ihren Listen noch ...
Bisky: Wer für die Linke kandidiert, dass will ich in aller Deutlichkeit sagen, der muss wissen, dass Bestandteil der Linken der antistalinistische Grundkonsens ist. Und wer auf den nicht verzichten kann, dem empfehle ich, lieber nicht zur Linken zu kommen.
Boysen: Treffen Sie denn da auf offene Ohren bei Ihrem Mitvorsitzenden Oskar Lafontaine, der ja doch den Eindruck erweckt, als interessiere er sich nicht sonderlich für die DKP-Geschichte. Er hat das mal ausdrücklich gesagt.
Bisky: Nein, nein, nein, das würde ich jetzt ganz energisch zurückweisen wollen. Oskar Lafontaine sieht das genau so wie ich. Wir wollen demokratische Lösungen, demokratisch-sozialistische Lösungen. Und dafür streiten wir, und nicht über einzelne Abschnitte der Geschichte oder gar noch die Rechtfertigung von Dingen, die man nicht rechtfertigen kann.
Boysen: Die PDS, Ihre alte Partei, schmückte sich eine Zeit lang mit dem Attribut, sie sei im Westen angekommen. Das bedeutete, dass sie auch diejenigen, die der Bundesrepublik skeptisch und fremd gegenüber standen, integriert haben und ihnen in gewisser Weise politische Heimat bot. Ihre Stärke, die Stärke der damaligen PDS, lag da insbesondere auch im sogenannten vorpolitischen Raum: Die PDS half den Bürgern bei der Auseinandersetzung mit Sozialämtern, sie war in der Wohlfahrtspflege aktiv, in den Kommunen stets ansprechbar. Heute drängt im Osten die NPD mit jüngerem Personal in diese Domäne. Wie können Sie sich dagegen wehren, dass sich hier ein neuer, aggressiver Nationalsozialismus ausbreitet? Sehen Sie auch Ansätze für ein mögliches Verbot der NPD?
Bisky: Ja. Die NPD ist eine Partei, die neofaschistischer Ideologie anhängt. Und deshalb gehört sie verboten. Es darf nur nicht so gemacht werden wie beim ersten Mal. Die V-Leute müssten abgezogen werden und dann kann man ein Verbots-Verfahren erfolgreich gestalten. Rückzug aller V-Leute, und dann ein Gerichtsverfahren. Das wäre realistisch. Ansonsten sprechen Sie ein Problem an, das mir auch am Herzen liegt. Natürlich, da haben wir weiterhin eine Verantwortung wie andere Parteien auch, den Einfluss der NPD wo immer es geht zu begrenzen. Und natürlich hat meine Partei auch eine besondere Verpflichtung, und ich bleibe dabei, wir müssen Partei der Kümmerer bleiben. Ich nenne das mal vereinfacht Partei der Kümmerer, die vor Ort die Sorgen der Menschen aufgreift, ohne eigenes Parteiinteresse sich darum kümmert. Das ist übrigens auch wichtig für andere Parteien, ich glaube, für alle Parteien, dadurch den Einfluss der NPD zurück zu drängen.
Boysen: Herr Bisky, lassen Sie uns im Blick auch auf den Parteitag Ihrer Partei im Mai in Cottbus auf diese Partei und auch ihre Programmatik blicken. Wenn man die Eckpunkte, die momentan Ihr noch nicht existentes Programm ersetzen, anguckt, wenn man nicht allein die plakativen Forderungen, sondern auch die programmatischen Eckpunkte liest, dann ist eigentlich nicht zu erkennen, woher die immensen staatlichen Leistungen, die da versprochen werden, kommen sollen. Sie sprechen von Unternehmensbesteuerung, von Erbschaftssteuern, Abgaben auf Renditen und Spekulationsgewinne, aber all das wird kaum eine Grundsicherung, die kostenfreie Krankenversorgung, die Abschaffung der Studienbeiträge, die Rente ab 60, die gebührenfreie Kinderbetreuung, den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und und und – all das, was Sie da aufzählen – finanzieren. Wo würden Sie Schwerpunkte setzen?
Bisky: Also, wir versprechen ja nicht, dass wir alle sozialen Probleme über Nacht lösen, sondern wir gehen da realistisch vor und sagen, was man mit welchen Mitteln lösen kann. Und wir haben bei allen unsere Vorschlägen, die wir unterbreiten, auch Finanzierungsvorschläge. Es ist falsch, sich einfach hinzustellen wie einige das machen, wie der Finanzminister, und zu sagen, die Linke braucht noch 150 Milliarden. Das ist einfach Unsinn. Das ist in der parteipolitischen Polemik gestattet, das kann ihm niemand verbieten, das will ihm niemand verbieten, es ist aber schlichter Unsinn. Immerhin haben wir den Sachverstand auch eines Finanzministers . . .
Boysen: Eines ehemaligen ...
Bisky: ... eines ehemaligen Finanzministers seiner Partei. Und der denkt auch mit seinem Sachverstand drin herum. Und wir haben andere Finanzexperten. Das, was wir fordern, kann man finanzieren. Aber – und das ist jetzt bei Parteien das Problem – Sie sprachen von Eckpunkten, das ist Programmatik. Man kann die Programmatik nicht über Nacht auf die Tagesordnung setzen. Deshalb brauchen wir mittelfristige Angebote. Und wir müssen jeweils von Wahl zu Wahl auch sagen, wie wann welches Problem gelöst wird.
Boysen: Deswegen frage ich nach den Schwerpunkten.
Bisky: Ja, die Schwerpunkte für uns sind: Hartz IV muss weg. Wir sind dafür, dass ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird. Wir sind dafür, dass die Ein-Euro-Jobs umgewandelt werden in sozialpflichtige Versicherung. Wir sind für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Wir wissen, dass das nicht alles ist und so weiter und so fort. Und wir sind bei einer Steuerreform bei einer Reihe von Vorschlägen und wir wollen sozusagen jetzt auch uns um die gesetzliche Rente stärker kümmern. Das wird auf jeden Fall in Cottbus Schwerpunkt des Parteitages sein. Und nun sage ich einfach mal auch ein wenig aggressiv, denn das geht mir dann auch etwas auf den Docht, wo sind denn die großen Reformer hingekommen? Agenda 2010 ist gescheitert, Hartz IV ist gescheitert, die Gesundheitsreform ist eine Reform gegen die kranken Menschen. Und das weiß man doch. Und man weiß doch auch, dass man mit den Renten im Kern nicht mal die Inflationsrate ausgleicht. Das wissen doch alle. Insofern fühle ich mich da durchaus nicht besonders bedrängt, wenn da immer gesagt wird, ihr seid unrealistisch. Und die Armut vieler bleibt.
Boysen: Wenn man Ihre Eckpunkte genau liest bis zur letzten Seite, dann findet man auf dieser letzten Seite zur Diskussion gestellte Fragen. Da findet man den Eckpunkt Vollbeschäftigung. Da heißt es: Sind unsere Konzepte – also die Konzepte der Linken – ausreichend, dieses Ziel zu erreichen. Wie, Herr Bisky, beantworten Sie diese Frage?
Bisky: Ich sage, sie sind nicht ausreichen. Und das sage ich durchaus öffentlich, weil ich nicht vorgaukeln möchte, dass wir auf jede Frage eine Antwort haben. Ich sage das nur für mein Gebiet, das ist so Informations- und Kommunikationstechnologien. Natürlich kann ich mir dort mehr Beschäftigung vorstellen, aber dann muss man komplexe Programme verwirklichen, etwa die Informationsarbeiter generell anders fördern, anders fordern und anders mit den Arbeitsplätzen auf diesem Gebiet umgehen. Das geht aber nicht über Nacht. Und da sind eine Reihe von Fragen offen, die ich gerne diskutieren möchte.
Boysen: Die Partei wird auf ihrem Parteitag in Cottbus einen neuen Vorstand wählen müssen. Daher gibt es im Vorfeld natürlich Diskussionen. Das ist, werden Sie jetzt sagen, in jeder Partei und ganz normal. Ich würde gerne von Ihnen wissen, was Sie von der Frauenquote im Vorstand halten, für die Petra Pau plädiert, und ich würde gerne von Ihnen wissen, wie Sie mit der parteiinternen Kritik umgehen, Kritik, die sagt: Wir sind zu stark, nur eine Protestpartei, wir definieren uns ex negativo aus den Fehlern der anderen und wir haben keine oder zu wenig Diskussion darüber, was eine moderne, emanzipatorische linke Partei heute leisten soll.
Bisky: Also zum ersten, wir sind quotiert. Gegenwärtig kann man darüber klagen, dass drei Männer dort an der Spitze sind. Das ist auch ein Konzept für Cottbus, das man wählen oder ablehnen kann. Das sage ich ohne Leidenschaften. Man kann die drei Männer ja abwählen.
Boysen: Die drei Männer, die da heißen Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky?
Bisky: Das kann man durchaus machen, das ist überhaupt nicht das Problem. Das wäre dann ein anderes Konzept. Ich habe gesagt, ich stehe noch mal zur Verfügung mit Lafontaine und Gysi 2009. Das ist aber eine andere Frage. Da kann man das anders sehen, aber quotiert sind wir. Natürlich gibt es mit dem Zusammenwachsen auch einige neue Probleme. Nun sage ich aber auch mal ein Lob des Zusammenwachsens. Wir haben so viel gewerkschaftspolitische Kompetenz bekommen wie keine andere Partei, und zwar in wenigen Jahren. Das sind gestandene, erfahrene, kluge Gewerkschafter, die jetzt mit uns Politik machen. Das ist doch ein Riesengewinn.
Boysen: Ich verstehe Sie richtig: Sie kandidieren wieder und nehmen an, dass die beiden anderen Herren, die Sie eben genannt haben, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, dies natürlich auch tun werden.
Bisky: Ja, davon gehe ich aus, weil sonst ist da irgendetwas in der Vereinbarung nicht mehr stimmig.
Boysen: Es wird keine Quoten mehr geben zwischen denjenigen, die aus der PDS und der WASG oder anderen Gruppierungen stammen. Wohin treibt denn Die LINKE dann?
Bisky: Die LINKE treibt auf Gedeih und Verderb zur Gemeinsamkeit. Wenn sie die nicht findet, wird die LINKE scheitern. Das sage ich so.
Boysen: Fürchten Sie ein Auseinanderbrechen?
Bisky: Nein, das fürchte ich nicht.
Boysen: Treten nicht die eigentlichen Ziele der PDS, immerhin ja noch – Sie sprechen immer von Quellparteien – die Mächtigste der Quellparteien, in den Hintergrund? Wenn man die Eckpunkte liest, dann steht da tatsächlich erst unter Punkt 8 oder 9 die Angleichung der Lebensverhältnisse Ost und West. Und neulich hat Oskar Lafontaine, als er ein sogenanntes Strategiepapier der Bundestagsfraktion vorlegte, diesen Punkt überhaupt gar nicht mehr genannt. Zeigt das, dass Sie sich stärker abkehren von der Interessenvertretung in Ostdeutschland, die Sie ja nun mal waren und auch als Person, wenn ich das sagen darf, verkörpern?
Bisky: Nein, das sehe ich nicht so. Also, das Neue, was ist, das ist, dass Ost und West zusammen gehen. Und wir wollen auf Augenhöhe und gemeinschaftlich und partnerschaftlich Politik betreiben. Und das geht nicht die eine gegen die andere. Wir bleiben in Ostdeutschland die starke Ostvertretung. Und das merkt die Bevölkerung auch. Und ich möchte nicht, dass wir sozusagen im Westen gewinnen und im Osten verlieren. Nein, ich möchte, dass wir im Osten ganz stark sind und im Westen dazu gewinnen.
Boysen: Herr Bisky, Sie haben uns jetzt verraten, dass Sie wieder antreten werden. Ganz überraschend kommt das natürlich nicht. Wie haben Sie verschmerzt, dass die Legislaturperiode im Jahr 2005 für Sie begann mit einer ganz ungewöhnlichen, sicherlich auch schmerzlichen Erfahrung: Viermal sind Sie angetreten und wollten für Ihre Partei Bundestagsvizepräsident werden und viermal sind Sie gescheitert. Wie geht man um mit einem solchen Ergebnis?
Bisky: Das ist eine Niederlage, das ist klar. Aber auch aus Niederlagen kann man etwas Positives machen. Der Bundestag hat mit Mehrheit beschlossen, dass ich mich mehr um meine Partei kümmern soll. Das habe ich getan und werde den Bundestag verlassen, wenn die Partei zweistellig wird. Das ist dann meine Antwort auf diese Niederlage.