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Loveparade-Katastrophe
Die Opfer wollen Gerechtigkeit

Am 24. Juli 2010 starben bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen bei einer Massenpanik, mehr als 500 wurden verletzt. Die Aufarbeitung der Katastrophe läuft schleppend, im April lehnte das Landgericht Duisburg die Eröffnung eines Haupt-Strafprozesses ab. Nun gibt es Forderungen nach alternativen Verfahren.

Von Moritz Küpper |
    Fotos der Opfer, Kerzen und Blumen an der Loveparade-Gedenkstätte in Duisburg.
    Sie mussten warten. Lange warten.
    Die Angehörigen der sogenannten Hillsborough-Katastrophe. Eine der größten Tragödien in der Geschichte des Fußballs: Am 15. April 1989 kam es bei einem Spiel im englischen Sheffield zu einer Massenpanik, bei der 96 Fans ums Leben kamen und über 700 verletzt wurden. Heute – 27 Jahre später – sind die Angehörigen und Überlebenden erleichtert, singen die Fußball-Hymne "You’ll never walk alone.".
    Denn: Im Jahr 1991 war eine erste Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass niemand an der Katastrophe schuld sei. Doch dies wurde nun, im April dieses Jahres, korrigiert: Eine Untersuchungskommission legte ihren Bericht vor, wonach die Polizei damals völlig versagt haben soll – die Fans selbst, die damals von der Polizei nach der Katastrophe als aggressiv und betrunken beschrieben worden waren, aber keine Schuld treffe.
    "Also, sollte es keine strafrechtliche Aufarbeitung geben, dann muss es – aus unserer Sicht – eine andere Form der Aufarbeitung geben. Die Ursachen müssen geklärt werden. Es muss geklärt werden, wo die Verantwortlichkeiten liegen."
    In vier Jahren greift bereits die Verjährungsfrist
    Jürgen Widera sitzt in seinem Büro in Duisburg. Der Sprung von England ins Ruhrgebiet ist für Widera, einen großen, weißhaarigen Mann naheliegend: Er ist seit 2013 Ombudsmann der Loveparade-Opfer bei der Stadt Duisburg, evangelischer Pfarrer und nun Vorstandsmitglied der Nachsorge-Stiftung "Duisburg 24.7.2010". Eben jener Stiftung, die vor gut einem Jahr gegründet wurde, um sich um die Opfer und deren Angehörige der Katastrophe im Jahr 2010 zu kümmern: 21 Menschen starben damals, rund 500 wurden verletzt.
    "Ich habe mit großem Interesse verfolgt, was jetzt in England passiert ist, die Katastrophe der 96 Liverpool-Fans, wo jetzt, fast 30 Jahre danach, ein Abschlussbericht veröffentlicht wurde, einer Jury, einer unabhängigen Jury. So etwas müsste es dann auch hier geben."
    Die Aufarbeitung der Loveparade-Katastrophe läuft schleppend: angestrengte Zivil-Prozesse laufen ins Leere, die Staatsanwaltschaft Duisburg müht sich um einen Strafprozess, doch im Frühjahr dieses Jahres lehnte das Landgericht Duisburg die Eröffnung eines Solchen ab. Der Grund: Die Kammer sah keinen hinreichenden Tatverdacht bei den Angeklagten. Dagegen läuft nun zwar eine Beschwerde, ein weiteres Gutachten soll eingeholt werden. Aber: In vier Jahren greift bereits die Verjährungsfrist. Für Angehörige und Betroffene, die sich am Sonntag zum sechsten Jahrestag in Duisburg treffen, eine schwere Situation. Daher der Blick nach England.
    "Das wäre eine gute Lösung." Sagt auch Jörn Teich, der 2010 selbst mit seiner kleinen Tochter auf der Loveparade war, danach Sprecher einer Betroffenen-Initiative wurde und sich in den letzten Jahren verstärkt um die Opfer gekümmert hat. Auch Teich ist Gründungsmitglied der Nachsorge-Stiftung. Doch eines fehlt, auch sechs Jahre später, noch immer:
    "Die inhaltliche Verarbeitung ist, warum ist das passiert? Das ist das wichtigste. Für Alle erstmal. Für alle Verantwortlichen, für alle Betroffenen und für alle Angehörigen ist dieses Warum das allerwichtigste und das muss geklärt werden."
    Für den Ombudsmann ist NRW-Ministerpräsidentin Kraft gefragt
    Gab es in den ersten Jahren nach der Katastrophe immer wieder die Forderung nach einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Landtag von NRW wurde dies stets mit dem Hinweis auf die juristische Aufarbeitung abgelehnt. Und während diese sich verzögert, nähert sich die Landtagswahl in NRW im Mai 2017. Eine politische Aufarbeitung im Landtag? Nunmehr fast unmöglich. Dabei gibt es noch viele Fragen, meint auch Julius Reiter, der als Rechtsanwalt zahlreiche Opfer vertritt. Er würde das Einsetzen einer unabhängigen Kommission begrüßen, "weil, möglicherweise, selbst wenn es zum Strafprozess käme, nicht der ganze Sachverhalt wieder aufgearbeitet werden könnte. Beispielsweise gibt es keine Anklage gegen die Polizei. Und die Versäumnisse der Polizei werden auch ausgeblendet. Wenn man einen unabhängigen Untersuchungsbericht hätte, dann könnte man die Verantwortlichkeiten, frei von strafrechtlicher Schuld auch bei der Polizei möglicherweise feststellen."
    Für Reiter ist eindeutig: "Also, wir sind in Deutschland nicht gerüstet, für diese Großverfahren. Wir haben das bei Eschede gesehen, bei dieser Katastrophe. Wir brauchen solche unabhängigen Untersuchungsberichte, damit auch nachher die Opfer und Hinterbliebenen Schadensersatzforderungen stellen können."
    Das sieht auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" so: "Mitfühlen allein reicht nicht. Warum es eine unabhängige Love-Parade-Untersuchungskommission geben muss", lautete der Titel eines Kommentars aus dem April. Darin sah der Autor neben juristischer und politischer Aufarbeitung nur eine Option:
    "Ein Instrument bliebe noch, den Betroffenen vergleichsweise zügig wenigstens ein bisschen amtliche Genugtuung zu verschaffen: eine von der Ministerpräsidentin eingesetzte unabhängige Sachverständigenkommission."
    Auch für Ombudsmann Widera ist NRWs Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von der SPD gefragt: "Da würden wir auf sie zugehen und fragen, ob sie uns in diesem Anliegen in diesem Sinne unterstützen könne."
    Die Reaktion in der Landeshauptstadt ist zögerlich: Eine solche Kommission sehe man eher mit Zurückhaltung, hieß es in der Staatskanzlei gegenüber diesem Sender, da deren Auftrag und Kompetenzen noch nicht eindeutig seien. Klar sei aber auch, so die NRW-Regierungszentrale: Sollte die juristische Aufarbeitung scheitern, könne dies nicht der Schlusspunkt sein. Dann käme dem NRW-Landtag eine entscheidende Rolle zu.