Donnerstag, 18. April 2024

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Loveparade Duisburg
Eine Stiftung gegen das Vergessen

Betroffenen eine Anlaufstelle bieten, Therapie-Plätze vermitteln, Denkmalpflege betreiben: Die Duisburger Stiftung "Duisburg 24.7.2010" erinnert nicht nur an die Loveparade-Katastrophe vor sechs Jahren mit 21 Toten und 541 Verletzten. Vor allem wollen die Stiftungsgründer als Sprachrohr der Betroffenen fungieren: nach innen und nach außen.

Von Moritz Küpper | 24.06.2016
    Loveparade Duisburg, Gedenkstätte Treppe frontal von unten nach oben mit Kreuzen mit Namen und Blumentöpfen auf den Stufen, linke Seite Wand, rechte Geländer
    Die Stiftung "Duisburg 24.07.2016" kämpft weiter für einen Prozess zum Loveparade-Unglück. (dpa/Monika Skolimowska)
    Jürgen Widera ist sich selbst nicht mehr sicher: Der große, weißhaarige Mann ist von seinem Schreibtisch aufgestanden, sucht die Gründungsurkunde der Stiftung "Duisburg 24.7.2010". Also doch der Tag zuvor: Am 23. Juli vergangenen Jahres, einen Tag vor dem fünften Jahrestag der Loveparade-Katastrophe, wurde die Stiftung offiziell gegründet. Zwar mussten dann noch weitere Formalien erledigt werden, doch das ist – bei der großen Aufgabe – eher zweitrangig. Denn, die "Stiftung Duisburg 24.7.2010" hat eine eindeutige Botschaft:
    "Also, die Stiftung sagt eindeutig aus, die Gründung dieser Stiftung, dass sich Duisburg, die Stadt Duisburg, damit meine ich sowohl die Stadtregierung als auch die Stadtgesellschaft, die Bürgerschaft insgesamt klar dazu bekennt, dass sie für die Folgen der Loveparade verantwortlich sind und das sie viel tun werden, um die Folgen zu lindern."
    Ein klares Bekenntnis
    Widera, seit 2013 Ombudsmann der Opfer bei der Stadt Duisburg, evangelischer Pfarrer und nun Vorstandsmitglied der Nachsorge-Stiftung empfängt in seinem Büro in der Duisburger Innenstadt. Für ihn ist diese Stiftung ein klares Bekenntnis:
    "Niemand von denen, die heute Verantwortung tragen, in der Stiftung oder auch in der Stadt, waren damals verantwortlich, waren damals in der Funktion, als die Katastrophe passierte, aber wir alle sind uns einig: Wir müssen und sind dafür verantwortlich, für die Folgen aufzukommen."
    Und das bedeutet hauptsächlich: sich um die Opfer zu kümmern. In diesen Tagen hat die Stiftung einen Vertrag mit einem Frankfurter Unternehmen geschlossen, das Psycho-Beratung anbietet und vermittelt und in ganz Deutschland ein Netz von Therapeuten hat:
    "Das ist uns sehr wichtig, weil wir dadurch die Möglichkeit haben, Betroffene oder Hilfesuchende bundesweit in Therapie-Plätze zu vermitteln über diese Firma. Die sind da sehr gut vernetzt."
    Dieses Projekt hat gerade begonnen, eine Kontaktaufnahme läuft bereits. Ansonsten kümmert sich die Stiftung um die Gedenkstätte am Unglücksort, die zum diesjährigen Jahrestag endgültig fertiggestellt werden soll sowie um die Organisation des Jahrestages.
    50.000 Euro durch Spender, die nicht genannt werden wollen, wurden zur Gründung zur Verfügung gestellt. Das Konstrukt ist eine Verbrauchsstiftung, angelegt auf zehn Jahre. Sprich: Pro Jahr können 5.000 Euro genutzt werden. Hinzu sollen künftig noch weitere Spenden kommen. Und Geld von der Stadt:
    "Wir haben für unsere Kernaufgaben, Beratungsstelle oder auch für die Ausrichtung des Gedenktages gibt es einen Ratsbeschluss der Stadt Duisburg schon vor einigen Jahren, der vorsieht, dass bis zu 50.000 Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt werden von der Stadt."
    Geld ist nicht immer das Wichtigste
    Neben dem Stiftungsbüro bei der Evangelischen Kirche gibt es eine hauptamtliche Kraft, eingestellte auf der Basis geringfügiger Beschäftigung, die die Stiftung führt. Doch Geld, das hat Widera in den letzten Monaten festgestellt, ist nicht immer das Entscheidende:
    "Vorrangig ist für uns Strukturen zu schaffen, die Hilfe garantieren. Ich sag mal ein Beispiel: Wir haben jetzt eingerichtet eine Selbsthilfegruppe, die sich alle paar Wochen trifft, die von einer Therapeutin moderiert ist. Und da ist nicht die Frage, was wir an Honorar für die Kollegin bezahlen, sondern da war die Schwierigkeit: Wie kriegen wir eine fähige Person, die das machen kann, die das leisten kann und die dazu bereit ist."
    Und die von den Opfern akzeptiert wird. Das merkt auch Jörn Teich, der damals selbst mit seiner kleinen Tochter auf der Loveparade war, danach als Sprecher einer Betroffenen-Initiative fungierte und sich in den letzten Jahren verstärkt um die Opfer gekümmert hat.
    "Diese Institution ist für die Zukunft wichtig."
    Teich steht im Blumenladen seiner Eltern in Sprockhövel. Er kommt gerade selbst von einer Therapie-Stunde. Er sitzt im Beirat der Stiftung. Hat ihn deren Arbeit entlastet?
    "Am Anfang ja, ich habe das alles über die Stiftung laufen lassen, hab mich auch nicht mehr um die Personen gekümmert."
    Doch dann kam die Entscheidung des Landgericht Duisburgs, die Anklage nicht zuzulassen – und das Stiftungsangebot rückte erstmal in den Hintergrund. Plötzlich war wieder Teich gefragt:
    "Es fängt dann wieder von vorne an: Ich habe dann wieder jeden Tag Anrufe und Schriftverkehr momentan und versuche Therapien zu besorgen. Das schafft eine Person nicht mehr."
    Weiter hoffen auf einen Prozess
    Und auch die Stiftung hat nach der Gerichts-Entscheidung auch zu einem Treffen geladen, mit einem klaren Ergebnis, wie Vorstand Widera berichtet:
    "Wir waren uns einig darin, dass wir gesagt haben: Also, es kann immer noch einen Prozess geben, wir fordern nach wie vor diesen Prozess."
    Denn neben der Hilfe, will die Stiftung "Duisburg 24.7.2010" Sprachrohr sein. Nach innen, aber auch nach außen.