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Luftgeister und Zauberer

Der Herrscher, dessen Bild sich aus den historischen Nebeln nicht klar herausschält, erscheint in John Dreydens Schauspiel von 1691 nicht als Präses der Tafelrunde und Gatte der feenhaften Guinevra, sondern – im Sinne der "Historia Regium Britannicum" von Monmouth – als christlicher Feldherr, der die heidnischen Sachsen zurückschlug und ein Vereinigtes Königreich begründete. Eine sächsische Opferfeier skizziert der erste Akt dieser Semi-Opera, präsentiert dann Schlacht- und Siegesgesänge der Briten, die vor 300 Jahren wohl die Herzen der Londoner höher schlagen ließ.

Von Frieder Reininghaus |
    Es geht ums Kriegs- und Liebesglück der Herrscher, das rivalisierende Geister und Zaubermeister beeinflussen. Der Erd-Kobold Grimbald will die Briten-Armee ins Moor locken, damit sie dort das Schicksal der Legionen des Varus erfahre; der Luftgeist Philidel arbeitet durch kompetente Aufklärung entgegen. So folgt einem Abenteuer die nächste Verwicklung in einer lose gewobenen Dramaturgie, bei der es jederzeit auch anders kommen könnte, die Bühnenmaschinerie aber der Hauptakteur ist.

    Jürgen Flimms Inszenierung kaschiert den Machwerk-Charakter des King Arthur in keiner Weise, sondern kehrt ihn mit komödiantischer Lust hervor. Dreidimensionaler Aktionismus: Geflügelte Geister und ein Zauberer auf Surfbrett schweben von den seitwärtigen Gerüsten hernieder auf die leuchtend blaue Spielfläche, die rings um einen Orchesterkrater etabliert und mit grellbunter Lineatur überzogen wurde. Intensiv Blau bleibt auch der Gebäude-Torso, der im Hintergrund die Bogenarchitektur der Felsenreitschule zitiert. Abakadabra wird mit Kreide angeschrieben und anderes Graffiti. Ein heiterer Wolkenhimmel deckelt das weite Phantasia-Land; wohl auch, um die nicht allzu stimmkräftigen, manchmal ausgesprochen introvertiert wirkenden Hervorbringungen des Concentus Musicus nicht ganz nach oben hin verpuffen zu lassen. Die besten Momente hat der lange Abend dort, wo die Reflexion der Gefühle Sängern übertragen wird, die verdoppelnd zu den Schauspielern hinzutreten und Innehalten erzwingen. Aber über Mittelmaß kommt auch dieser Gesang nicht hinaus.

    Keine Ruh' bei Tag und Nacht. Klaus Kretschmar bestückte seine Bühneninstallation mannigfach mit computeranimierten Bildern, stellte erst einmal die Schauspieler in Großaufnahmen vor. Später, wenn die blinde Prinzessin Emmeline durch sehend wird, macht sie erste Selbstseherfahrungen nicht mit einem Spiegel, sondern per live-Video. Merlins Zauber beschert ihr die Sehkraft – der Magier in mancherlei Gestalt zeigt sich auch als gottväterlich als Projektion am Bühnenhimmel.

    Ständig ist was los. Heftiger Vogelflugverkehr animiert das heidnische Opfer. Später nicken Flamingos, dringt ein Pegasus heran, zischt sogar ein Kampfjet durch die Felsenreitschulbogen. Noch später auch etwas erotische Lineatur und klatschendes Publikum: Statisten der Weltgeschichte sekundieren dem König, der von Michael Maertens nicht eben als Draufgänger, Visionär oder Raufbold gezeigt wird, sondern als feiner Pinkel und Zauderer: Als rechte Memme, die sich eigentlich nur für Emmeline interessiert, doch nicht einmal für diesen Erwerb richtig investiert.

    Die Stimmung wird von Jürgen Flimm weithin karnevalös und clownesk gehalten. Stolperei soll immer wieder die Szene beleben. In der Frost-Szene demonstriert Zauberer Osmond, der Emmeline vorübergehend in seine Gewalt gebracht hat, seine Macht, indem er eine eisige Winterlandschaft heraufbeschwört. Nikolas Harnoncourt, der wacker beim Schwank mitspielt, und seinen Instrumentalisten werden Mützen übergestülpt. Überhaupt verirren sich mehrfach Akteure ins Orchester, wo sie dann über die "grauenhaften" Instrumente kalauern oder versichern, dass dergleichen in der guten alten Zeit unter der Direktion von Dr. Mortier nicht vorgekommen wäre. Da mögen sie nicht ganz Unrecht haben.