Montag, 29. April 2024

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Lula Wiles und Lonely Heartstring Band
Frische Brise von der Ostküste

Lieder über Liebe, Verlust und Alkohol. So wurde die Musik der Band Lula Wiles einmal beschrieben. Die drei Frauen aus den USA stehen am Anfang ihrer Karriere. Wie auch die Lonely Heartstring Band, die traditionellen Bluegrass modernisiert. Beide Bands waren vor kurzem auf Deutschland-Tournee.

Am Mikrofon: Monika Gratz | 02.02.2018
    3 Frauen stehen auf einer blau erleuchteten Bühne. Sie spielen Geige, Gitarre und Cello.
    Im Berklee College of Music fanden sich die drei Musikerinnen von der Band Lula Wiles zusammen (Monika Gratz)
    Es ist eine viele Jahrzehnte alte Liaison. Boston, die Universitätsstadt an der Ostküste der USA und die amerikanische Folkmusik: An das "Berklee College of Music" kommen Studenten aus allen Staaten der USA. Oftmals finden sie sich dort zu neuen Formationen zusammen. Die Szene ist deshalb sehr lebendig. Junge Musiker pflegen musikalische Traditionen, setzen dabei aber ebenso ihre eigenen Ideen um. Zwei Bands aus der aktuellen Bostoner Folk-Szene werden heute vorstellen.
    Beide Bands stehen am Anfang ihrer Karriere, haben ihr Debüt-Album veröffentlicht und waren kürzlich zum ersten Mal in Deutschland auf Tour: Die "Lonely Heartstring Band", fünf Jungs, die traditionellen Bluegrass entstauben. Und drei junge Frauen, die mit Geige, Gitarre, Kontrabass und ihrem gefühlvollen Harmoniegesang begeistern.
    Musik: Sorrow be the Bird – Lula Wiles
    Lula Wiles ist jung, hat den Kopf voller Folk- und Countrymusik, spricht und singt mit drei Stimmen. Isa Burke, Gesang, Geige, Gitarre. Ellie Buckland ebenfalls Gesang, Geige, Gitarre und Mali Obomsawin Gesang und Kontrabass.
    Als Trio haben Isa, Ellie und Mali eine Menge gemeinsam. Alle drei singen, alle drei schreiben ihre Songs selbst und sie kennen sich, obwohl sie erst Mitte zwanzig sind, schon ihr halbes Leben lang.
    Wir haben Spaß zusammen
    Lula Wiles sind zudem nicht nur drei Musikerinnen, sondern gute Freundinnen. Das wirkt sich auch auf ihren Bühnenauftritt aus, wie Mali Obomsawin erzählt.
    "And I think that comes across a lot on stage in our live show, people always tell us, that we look like we like each other and sound like we like each other."
    Wenn Lula Wiles auf der Bühne stehen sieht es nicht nur so aus, sondern es klingt auch danach, dass die drei sich mögen. Ellie Buckland ergänzt...
    "Wir können uns glücklich schätzen, weil es viele Bands gibt, die unglaublich gut zusammenarbeiten und wundervolle Musik machen, aber außerhalb der Bühne nicht gerade die besten Freunde sind. Ich bin total glücklich, dass ich mit zwei meiner besten Freundinnen auf der ganzen Welt zusammenarbeiten kann. Wir haben Spaß zusammen, egal ob wir auf einer Bühne stehen oder nicht."
    Ellie Buckland und Mali Obomsawin sind in der gleichen Stadt aufgewachsen. Trafen sich beim Schwimmunterricht aber auch beim "Fiddle Camp" im Bundesstaat Maine, einer Art Ferienlager, bei dem sich alles um gemeinsames Musizieren dreht. Dort trafen sie dann auf Isa. Denn auch die war gerade dabei ihre Fähigkeiten auf der Geige zu erweitern.
    "Ein ganz wichtiger Teil beim Maine Fiddle Camp ist, das man da bis spät in die Nacht hinein ums Lagerfeuer sitzt und singt. Jahr für Jahr haben wir das gemacht, mit unglaublich vielen anderen Leuten zusammen. Dort haben wir auf eine ganz natürliche Art und Weise gelernt wie man mehrstimmig miteinander singt. Und so haben wir auch erfahren wie sich Harmoniegesang anhört, wenn keine Instrumente dabei sind. So entstand die Grundlage für unseren gemeinsamen Gesang."
    Ein wirkliches Trio waren die drei jungen Musikerinnen damals noch nicht. Dafür mussten sie sich erst Jahre später wieder treffen. Am "Berklee College of Music" in Boston.
    Drei Noten in jedem Akkord
    "Die Initialzündung für die Band war der Moment als Isa und ich zum ersten Mal Lieder (zusammen) sangen. Das hat sich fantastisch angefühlt. Zuvor hatten wir nur traditionelle Stücke auf der Geige gespielt, ohne Gesang. Als wir dann alle in Boston hängen geblieben sind, wollten wir diesen Zauber behalten. Im Vergleich zu Isa und mir singt Mali noch nicht so lange, wir haben sie da mit reingezogen und ich bin so froh darüber, das sich unsere Stimmen sich so zusammenfinden, das ist echt stark."
    Aus drei mach eins. Und zum Glück gibt es drei Noten in jedem Akkord, fügt Mali Obomsawin mit einem Augenzwinkern hinzu.
    "Good thing there are three notes in every chord."
    Wie die Stimmen der drei Musikerinnen von Lula Wiles miteinander verschmelzen, das ist auch zu hören beim nächsten Titel "Mama". Darin geht es um jemanden der mächtig über die Stränge geschlagen hat und reumütig den Wunsch äußert, zurück in den Schoß der Familie zurückkehren zu dürfen.
    Musik: Mama
    Lula Wiles haben ihr gleichnamiges Debütalbum mit einer Crowd Funding Kampagne finanziert. In kürzester Zeit kamen so 20.000 Dollar für die Produktion zusammen. Das Endergebnis überzeugte nicht nur musikalisch, sondern hat auch prominente Fürsprecher gefunden. Etwa Aoife O’Donovan, die in der amerikanischen Folkszene landesweit als herausragende Sängerin und Songwriterin etabliert ist.
    "One of our songwriting heroes reviewed our first album, her name is , she’s been on the folk and songwriting scene for a really long time and she described our album as, what did she say? - She said songs of love, loss and drinking. - And I think that really sums it up and the influence of traditional music is very clear and country music on that album."
    Lieder über Liebe, Verlust und Alkohol mit Geige, Gitarre und Kontrabass. Das klingt nach Folk. Eine weitere Facette der Musik von Lula Wiles zeigt sich allerdings, wenn sich die drei Musikerinnen für einige Titel Gastmusiker dazuholen. Beim Titel "Good to you" spielt Adam Iredale-Gray elektrische Gitarre, Sean Trischka sitzt am Schlagzeug. Und schon wird aus Boston-Folk ein bisschen Nashville-Country.
    Musik: Good to you
    "Unser Stil Lieder zu schreiben ist ziemlich traditionell, aber auch inspiriert von dem was wir erleben... In allen Liedern auf unserem ersten Album geht es eigentlich hauptsächlich um Liebeskummer. Darüber schreibt man nun mal wenn man jung ist. Unsere neuen Lieder sind da eher politischer, da geht es darum wie wir die Welt sehen und was uns bewegt. Außerdem wollen wir in Zukunft noch mehr Lieder gemeinsam schreiben, über andere Dinge als Liebeskummer!"
    Für die Zukunft heißt es also: Vor allem gemeinsam Lieder schreiben.
    Und es gibt immer noch eine Menge zu entdecken. Isa Burkes Familie stammt eigentlich aus dem Süden der USA, Mali Obomsawin ist Abenaki, ihre Vorfahren Ureinwohner Amerikas mit einer ganz eigenen Musiktradition. Vielleicht hat auch die Tour durch Deutschland musikalische Spuren hinterlassen?
    Das zweite Album soll im Sommer erscheinen.
    Musik: Traveling on
    5 Musiker mit ihren Instrumenten sitzen bzw. stehen vor einer weißen Wand mit Fenstern. Sie spielen auf ihren Instrumenten.
    The Lonely Heartstring Band waren jetzt zum erstenmal in Deutschland (Kelly Davidson)
    Musik: The Road’s Salvation – The Lonely Heartstring Band
    "I think we consider ourselves Bluegrass in the fact that we have the traditional instrumentation of a Bluegrass Band. We have a fiddle, we have a banjo, mandolin, acoustic guitar, an upright base and that we all studied the traditional bluegrass. But I think all of us have extremely varied backgrounds like classical music, jazz music, pop music so I think our music is a kind of fusion of traditional Bluegrass but with lots of different styles mixed with it."
    So definiert Gitarrist und Leadsänger George Clements die Musik der "Lonely Heartstring Band". Als eine Bluegrass-Band, die sich auch von anderen musikalischen Stilen inspirieren lässt: Klassik, Jazz und Popmusik gehören dazu. Typisch Bluegrass ist dagegen die Besetzung. Die LHB wird vervollständigt durch George Clements Bruder Charles am Kontrabass, Patrick M’Gonigle – Geige, Matt Witler – Mandoline und Gabe Hirshfeld, Banjo. Die fünf Jungs besuchten das "American Roots Music Program" am "Berklee College of Music" in Boston.
    Beatleslieder im Bluegrass-Stil
    Als Band fanden sie allerdings erst durch einen Zufall zusammen. Für eine Hochzeit wurden Musiker gesucht, die ausschließlich Beatleslieder spielen sollten und zwar im Bluegrass-Stil. Also kein Schelm wer bei dem Bandnamen "Lonely Heartstring Band" an die Beatles denkt, die sich einst als "Sgt. Peppers’ Lonely Hearts Club Band" ausgaben. Bei der "Lonely Heartstring Band" wurde also erstmal "Beatlegrass" produziert.
    Musik: When I’m sixty-four
    Applaus gab es für die Adaptionen zwar reichlich, aber lediglich als Beatles-Coverband gelten, das war den Mitgliedern der "Lonely Heartstring Band" dann doch zu wenig. Die ehrgeizigen Musiker machten schnell den nächsten gemeinsamen Schritt (in ihrer Karriere), eigene Lieder kamen zum Repertoire hinzu, die Band wuchs durch viele Auftritte in der Bluegrass (Folk)-Szene enger zusammen. Das Resultat war dann, das Debütalbum "Deep Waters", das gleich beim renommierten rounder-Label erschienen ist.
    "Viele Leute glauben heutzutage, dass es ein Relikt aus der Vergangenheit ist, wenn man bei einem Plattenlabel unter Vertrag ist. Wegen Internet, social media und all den Wegen, die es gibt deine Musik unter die Leute zu bringen und mit Fans in Verbindung zu kommen. Nur weil wir mit einem Independent-Label wie rounder zusammenarbeiten, haben wir deshalb nicht unser Mitspracherecht verloren. Es hat uns vielmehr geholfen, mit Profis aus der Musikindustrie in Kontakt zu kommen. Auch spielen wir jetzt bei Festivals, wo wir sonst keinen Fuß in die Tür bekommen hätten."
    Musik: Songbird
    Vom Debütalbum "Deep Waters" der "Lonely Heartstring Band" war das "Songbird", eine Eigenkomposition samt Vogelgezwitscher am Ende. Der Gesang der Vögel, noch ist er zu hören, wie lange weiß allerdings keiner. Inspirationsquelle für den Song war nämlich das massenhafte Sterben der Singvögel durch den Ölsandabbau im kanadischen Alberta.
    Hier zeigt sich die spielerische Kreativität der "Lonely Heartstring Band", die Verbindung aus traditioneller Musik und neudeutsch "urban songwriting". Als Walzer getarnt klingt "Songbird" erstmal wie ein altes Volkslied, doch ist es keineswegs eine romantische Verherrlichung der Natur, sondern ganz aktuelle Gesellschaftskritik.
    Für Liedermacher gibt es derzeit ohnehin eine Menge guter Themen. Einfacher wird es dadurch allerdings nicht, meint der Geiger der "Lonely Heartstring Band", Patrick M’Gonigle.
    "Gerade passiert so viel Bedrohliches in der Welt. Dinge, die Einfluss auf unseren Alltag haben: Umwelt, Politik, Krieg und Religion. Wenn wir darüber Lieder schreiben, dann spricht das die Menschen auf die eine oder andere Weise an. Derzeit in den USA zu leben heißt, man findet viele politische Themen, aus denen wir schöpfen können, aber gleichzeitig kann es auch schwierig sein, einen politischen Song zu schreiben. Denn wir wollen auch nicht unbedingt mit Musik spalten. Das ist ein Balanceakt für uns. Wir haben eine Menge Zeit im Süden der USA und in anderen Regionen verbracht, wo wir nicht zwangsläufig mit der dort gängigen politischen Meinung einverstanden sind.
    Es ist wirklich interessant wie unser Publikum dann manchmal auf unsere Lieder reagiert. Nach dem Konzert kommt jemand und sagt: "Dieses eine Lied, dass ihr gespielt habt hat mich total angesprochen, aus den und den Gründen...". Und das hat manchmal ziemlich wenig damit zu tun, wie wir den Song verstehen."
    Neben eigenen Songs finden sich auf "Deep Waters" auch Coverversionen. Pete Seegers Klassiker "If I had a hammer" fand auf dem Album Platz, genau wie Paul Simons "Graceland", das Mitte der Achtziger überall im Radio zu hören war, wohl auch bei Familie Clements.
    Musik: Graceland
    Musik unserer Helden
    "Das sind unsere Helden. Ihre Musik ist für uns einfach zeitlos und dann einen Song wie Graceland von Paul Simon zu nehmen und sich zu überlegen, wie könnten wir das mit unseren Instrumenten umsetzen ist eine echte Herausforderung. Wie bekommen wir die Atmosphäre aus diesem Song hin, denn wir so toll finden mit dem wir aufgewachsen sind. Ohne diese riesige südafrikanische Rhythmusgruppe, ohne Schlagzeug. Dafür mit Banjo, Mandoline und Gitarre."
    Musik: Graceland
    Graceland, Paul Simons Hit aus den Achtzigern als Bluegrass-Version von der "Lonely Heartstring Band".
    Nach ihrem ersten Besuch in Deutschland ist die "Lonely Hearstring Band" nun wieder zurück in heimatlichen Gefilden, zurück im Ursprungsland des Bluegrass und wieder im Studio. Das zweite Album steht an. Und wenn sich an der politischen Großwetterlage nicht viel ändert, so haben die fünf Jungs sicherlich einige Ideen für neue Songs. Sie werden also wieder, wie Patrick M’Gonigle es im Interview ganz diplomatisch ausgedrückt hat, aus dem "Reichtum der aktuellen Geschehnisse" schöpfen. Und dann gibt es wieder neuen, frischen Bluegrass aus Boston.
    "Lula Wiles" und die "Lonely Heartstring Band" stehen für eine junge Generation in der amerikanischen Folkmusik-Szene, die voller Begeisterung das traditionsreiche musikalische Erbe lebendig hält, ohne dabei in nostalgische Schwärmerei zu verfallen.
    Die Virtuosität der Musiker, das Zusammenspiel, improvisierte Soli, Harmoniegesang, ihre kreativen musikalischen Ideen jenseits von Genregrenzen, all das macht diese akustische Musik so besonders.
    Wie aktueller Folk oder Bluegrass sich anfühlen, das ist allerdings nur zu erleben, wenn man dahin geht, wo diese Musik live stattfindet. Wie etwa beim "Bluegrass Jamboree". Das Festival tourt jährlich einmal durch ganz Deutschland mit Bands aus Amerika, Kanada aber auch aus England, Deutschland oder Italien. Den Cowboyhut können Sie für einen Konzertbesuch getrost zu Hause lassen, ziehen Sie aber auf jeden Fall ihre Tanzschuhe an.
    Musik: Deep Waters