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Lust und Frust an der Nähnadel

Nähen gehörte vor zwei, drei Generationen noch zum Standardprogramm. Heute liegt es "im Trend". Ganz egal ob von Hand oder mit der Nähmaschine, mit neuen oder alten Stoffen. In Dresden boomen die Näh- und Bastelkreise vor allem im Szeneviertel Neustadt: Anfängertreffs, Auffrischungskurse, Bastelnachmittage und mehrere Nähblogs.

Von Heike Schwarzer | 22.12.2011
    Man macht sich schon Gedanken, was man wem schenkt.

    Romina näht gerade I-Phon-Hüllen, eigene Kreationen mit ganz tollen Naturholzknöpfen aus Olivenholz, wurden mir heute grad aus Portugal zugeschickt, toll.

    Für den eigenen Mann gibt's einen Schal aus Fleece und Baumwolle zum Fest. Nähen ist ihre Leidenschaft, dabei stand am Anfang der Frust:

    "…was die Klamotten für Jungs angeht, ich hab zwei kleine Söhne."

    Romina, 29 Jahre alt, und von Beruf Mediengestalterin, hatte keine Lust mehr auf teure oder schlechte Sachen made in Asien, sie dachte nur eins:

    "Mach dem Kind eine schicke Mütze!"
    Und so fing alles an. Den Labtop neben der Nähmaschine hat sie bei Youtube gestöbert und in diversen Blogs. So lernte sie nähen, obwohl sie es gar nicht konnte.

    "Ich habe mal den Faden eingelegt, in der Schule, 4. Klasse, einmal vor und zurück und ein Kissen wurde es, glaub ich. Das Nähen verdanke ich dem Internet, ich bin dann in einem Hobbynähforum gelandet und seitdem nähe ich ganz verrückt und bin von Mützen zu T-Shirts zu Hosen gekommen."

    Und inzwischen auch noch mit FUMFUM zu ihrem eigenen kleinen Label und Blog.

    "Wenn man nach Dresden und Nähen und FUMFUM googlet, dann findet man mich auch."

    Mit gratis Schnittmustern und mit Geschichten über ihr neuestes Projekt: selbst entworfenes Stoffdesign made in Sachsen.

    "Das ist super, das ist das, was ich entwickelt und entworfen habe. Es ist meins, einfach nur meins. Das ist toll!"

    Global vernetzt, lokal geerdet, regional gedruckt. Doch geplant war das nicht. Die virtuellen Welten haben alles beschleunigt. Flohmarkt, Ladenmiete, Öffnungszeiten – das war einmal.

    "Das Internet, das ist natürlich Luxus, man hat dort Plattformen, sich zu präsentieren, über Dawanda, Ebay oder die eigenen Webseiten – man kann die Sachen zeigen, das ist perfekt."

    "Der Faden, der muss rauskommen"

    Nicht virtuell, sondern ganz real geht es andernorts in Dresden zu: im Nähcafé, im NähkombiNAHT, selbst in der Volkshochschule oder auch im Nähladen am Albertplatz.

    "Weiter weiter weiter."

    Wer hierher kommt, braucht wirklich Hilfe.

    "Das sind jetzt hier die Abnäher, huch!"

    Stefanie, 28 Jahre alt, Biologin, und ihre drei Freundinnen. Nähte und Nadeln, Zickzack und Overlook. Ein Nähkurs: vier Abende, jeweils zwei Stunden.

    "Seit Kurzem habe ich den Nähkurs belegt und auch mal einen Taschenkurs, damit es endlich mal vorangeht. Ich hab zwei Jahre an einem Kleid genäht und irgendwann war es so verschnitten, dass ich es wegwerfen musste."

    "Das sieht bei mir nicht sehr professionell aus."

    Nach acht Stunden Arbeit ist das Kleid gerade mal zugeschnitten, aber keinen Zentimeter zusammengenäht – ist es nicht leichter im Ausverkauf ein Schnäppchen zu machen?

    "Naja, einerseits gefallen mir die Sachen nicht, dann mag ich auch nicht einkaufen wegen dem Trubel, ständig umziehen und so. Mir macht Nähen einfach Spaß, ich merke, dass ich dabei entspanne."

    "Oh, das fetzt!"

    "Stressig!"

    Linda, 24 Jahre alt, Erzieherin.

    ""Also in der ersten Stunde habe ich schon da gesessen und hab die Schere auf den Tisch geknallt. Oh nein! Aber jetzt bin ich schon beim Nähen, man erkennt Fortschritte."

    Sie kämpft mit einem lila Abendkleid.

    "Es hat was mit dem Ausloten eigener Grenzen zu tun. Und: Sich selbst überwinden zu können und Erfolgserlebnisse zu schaffen."

    Frauen ihrer Generation entdecken es gerade neu - das Nähen. Manchmal als Aufstand gegen die billige Massenproduktion. Manchmal gegen den Einheitslook. Oder den Einkaufsstress. Und bei Linda?

    "Vielleicht liegt es am Alter, dass man Sachen wertschätzen lernt, und wenn dann das eigene Geld in den Klamottenkauf mit einfließt, da glaub ich, das hat eine Auswirkung, dass man die Materialien mehr schätzt und gewillt ist, sie zu erhalten."

    Nähen zwischen Wut und Kontemplation. Doch das Ergebnis macht alle glücklich: ein ehrliches Produkt, so ein selbst genähter Fummel. Er kostet nicht weniger, aber er macht stolz.

    "Oh, viel besser als Zickzack."