Die evangelische Theologie schweigt im Jubiläumsjahr dröhnend zu Luther. Das saisonale Schriftaufkommen ist trotzdem hoch. Hobbytheologen trauen sich - anders als die Profis – an den Reformator heran. Eifrig sind vor allem jene, die irgendwas mit Medien machen, also Journalisten und Kommunikationsexperten. Einer von ihnen ist Norbert Bolz. Er lehrt Medienwissenschaften an der TU Berlin, vor vielen Jahrzehnten hat er auch Religionswissenschaft studiert.
Theologen halten sich zurück, Bolz will zurück. Genauer: "Zurück zu Luther". Das fordert sein Titel. Bevor sich der Autor demjenigen widmet, über den er schreibt, macht er klar, gegen wen er den Hammer schwingt:
"Zurück zu Luther. Klingt das fundamentalistisch? Dieses Missverständnis möchte ich von vornherein vermeiden. Die Formel ist vielmehr ein Vorschlag zur Güte. Ich formuliere ihn als Hobbytheologe und einfaches Mitglied der evangelischen Kirche. Mit dieser Formel möchte ich Luther gegen den sentimentalen Humanitarismus unserer Zeit in Stellung bringen. Es gibt nämlich keinen schärferen Kritiker des Gutmenschentums als Luther."
"Gutmenschen, sentimentaler Humanitarismus" – es sind Worte mit Schlagseite, Kampfbegriffe. Wer zurückkehrt zu Luther, wendet sich ab von der Willkommenskultur der evangelischen Kanzlerin und vom Wohlfühlchristentum der evangelischen Kirche. Das ist Bolz' Hoffnung. Er hämmert seinen Lesern die zentralen Begriffe des Reformators ein: Gesetz, Demut, Gnade, Sünde, Teufel. Alles deutsche Wörter, die heute fremd klingen. Über diesen Entfremdungsprozess macht sich Bolz originelle Gedanken. Glauben basiert seiner Ansicht nach darauf, sich etwas von Gott schenken lassen zu können. Aber:
"Das eigentliche Geschenk, das Luther den Menschen machen wollte, hat die Neuzeit zurückgewiesen. Er wollte uns nämlich die Lehre schenken, dass menschliches Sein Glaube ist und dass wir einen gnädigen Gott haben. Stattdessen hat die Neuzeit auf Selbstermächtigung und auf Selbstbehauptung durch Leistung gesetzt. Die Tugend sollte selbst leisten, was man sich als Gnade nicht schenken lassen wollte. Aber wir können heute sehen: Dieses Projekt der gnadenlosen Neuzeit ist gescheitert."
Theologen halten sich zurück, Bolz will zurück. Genauer: "Zurück zu Luther". Das fordert sein Titel. Bevor sich der Autor demjenigen widmet, über den er schreibt, macht er klar, gegen wen er den Hammer schwingt:
"Zurück zu Luther. Klingt das fundamentalistisch? Dieses Missverständnis möchte ich von vornherein vermeiden. Die Formel ist vielmehr ein Vorschlag zur Güte. Ich formuliere ihn als Hobbytheologe und einfaches Mitglied der evangelischen Kirche. Mit dieser Formel möchte ich Luther gegen den sentimentalen Humanitarismus unserer Zeit in Stellung bringen. Es gibt nämlich keinen schärferen Kritiker des Gutmenschentums als Luther."
"Gutmenschen, sentimentaler Humanitarismus" – es sind Worte mit Schlagseite, Kampfbegriffe. Wer zurückkehrt zu Luther, wendet sich ab von der Willkommenskultur der evangelischen Kanzlerin und vom Wohlfühlchristentum der evangelischen Kirche. Das ist Bolz' Hoffnung. Er hämmert seinen Lesern die zentralen Begriffe des Reformators ein: Gesetz, Demut, Gnade, Sünde, Teufel. Alles deutsche Wörter, die heute fremd klingen. Über diesen Entfremdungsprozess macht sich Bolz originelle Gedanken. Glauben basiert seiner Ansicht nach darauf, sich etwas von Gott schenken lassen zu können. Aber:
"Das eigentliche Geschenk, das Luther den Menschen machen wollte, hat die Neuzeit zurückgewiesen. Er wollte uns nämlich die Lehre schenken, dass menschliches Sein Glaube ist und dass wir einen gnädigen Gott haben. Stattdessen hat die Neuzeit auf Selbstermächtigung und auf Selbstbehauptung durch Leistung gesetzt. Die Tugend sollte selbst leisten, was man sich als Gnade nicht schenken lassen wollte. Aber wir können heute sehen: Dieses Projekt der gnadenlosen Neuzeit ist gescheitert."
Bolz' Lieblingsfeinde sind die "Gutmenschen"
Glaubwürdiger wäre das Werben für Demut und Gnade allerdings, spickte Bolz nicht jede Seite mit Vorwürfen gegen seine Lieblingsfeinde, die "Gutmenschen". Sogar den Teufel dichtet er ihnen an:
"Die Wirklichkeit des Teufels gibt den Frommen die Gewissheit von der Wirklichkeit Christi. Nur ist der Teufel heute nicht so leicht zu erkennen. Er maskiert sich nämlich als Moralist und verführt uns mit seinem Kult des Gutmenschentums. Gerade deshalb ist man aber mit einer christlichen Moral auf einem gefährlichen Irrweg. Denn der Teufel selbst ist ja Moralist, und das gute Gewissen ist seine teuflischste Erfindung."
Glaubt man Bolz, dann krankt Deutschland an zu viel Moralismus und zu wenig christlichem Glauben. Der Hobbytheologe hat Luthers Zwei-Reiche-Lehre richtig verstanden, der Mainstream hingegen habe daraus eine Zivilreligion ohne Gott gebastelt. Die Deutschen hören die Bergpredigt lieber im Bundestag als in der Kirche. Sie wollen nicht glauben, sondern instrumentalisieren angeblich die christliche Nächstenliebe, um sich guten Gewissens über andere zu erheben. Etwa über diejenigen, die nicht "Refugees welcome" gerufen haben. Was Luther im September 2015 auf dem Münchner Hauptbahnhof gesagt oder getan hätte, verrät Bolz nicht. Hätte er gebetet? Sich demütig in Gottes Hand begeben? Er hätte jedenfalls nicht die christliche Nächstenliebe bemüht, um eine konkrete politische Entscheidung zu rechtfertigen. Dessen ist sich Bolz sicher.
"Die Wirklichkeit des Teufels gibt den Frommen die Gewissheit von der Wirklichkeit Christi. Nur ist der Teufel heute nicht so leicht zu erkennen. Er maskiert sich nämlich als Moralist und verführt uns mit seinem Kult des Gutmenschentums. Gerade deshalb ist man aber mit einer christlichen Moral auf einem gefährlichen Irrweg. Denn der Teufel selbst ist ja Moralist, und das gute Gewissen ist seine teuflischste Erfindung."
Glaubt man Bolz, dann krankt Deutschland an zu viel Moralismus und zu wenig christlichem Glauben. Der Hobbytheologe hat Luthers Zwei-Reiche-Lehre richtig verstanden, der Mainstream hingegen habe daraus eine Zivilreligion ohne Gott gebastelt. Die Deutschen hören die Bergpredigt lieber im Bundestag als in der Kirche. Sie wollen nicht glauben, sondern instrumentalisieren angeblich die christliche Nächstenliebe, um sich guten Gewissens über andere zu erheben. Etwa über diejenigen, die nicht "Refugees welcome" gerufen haben. Was Luther im September 2015 auf dem Münchner Hauptbahnhof gesagt oder getan hätte, verrät Bolz nicht. Hätte er gebetet? Sich demütig in Gottes Hand begeben? Er hätte jedenfalls nicht die christliche Nächstenliebe bemüht, um eine konkrete politische Entscheidung zu rechtfertigen. Dessen ist sich Bolz sicher.
"Zauberwörter Selbstverwirklichung und soziale Gerechtigkeit"
Immer wieder spielt der Medienexperte Gott gegen den Menschen aus, Gerechtigkeit auf Erden gegen die Gerechtigkeit Gottes. In der Moderne sei Gott erst durch die Gesellschaft und dann durch das Individuum verdrängt worden, behauptet er im Ex-Cathedra-Ton. Der "Kult des Sozialen" sei die Ersatzreligion der Gegenwart. - Bolz holzt:
"Man muss nur die Zauberwörter Selbstverwirklichung und soziale Gerechtigkeit aussprechen, um die moderne Massendemokratie in politische Trance zu versetzen. Mit diesen Zauberwörtern kann man alle Widerworte zum Schweigen bringen."
Martin Luther ermahnte die aufständischen Bauern zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Nach dem Motto: Was zählt schon ein knurrender Magen, wenn der himmlische Vater dereinst den Hunger stillt? In Bolz' Diktion müsste so etwas eigentlich "Kult des Asozialen" heißen. Doch Recherche macht die schönsten Thesen kaputt. Ob der Autor dorthin zurück will, bleibt sein Geheimnis des Glaubens.
Auch eine andere Seite Luthers fehlt völlig: Kein Wort verliert Bolz über den Judenhass. Luther lehnte das Judentum nicht allein aus theologischen Gründen ab, er verspürte physischen Ekel gegenüber Juden. Das war mehr als Ungeist der Zeit. Es gilt dem Autor wahrscheinlich als "Political Correctness", so etwas überhaupt anzumerken. Wie twitterte Bolz Anfang 2017? "Die Deutschen haben weltweit das größte Talent, sich schuldig zu fühlen."
Martin Luther ermahnte die aufständischen Bauern zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Nach dem Motto: Was zählt schon ein knurrender Magen, wenn der himmlische Vater dereinst den Hunger stillt? In Bolz' Diktion müsste so etwas eigentlich "Kult des Asozialen" heißen. Doch Recherche macht die schönsten Thesen kaputt. Ob der Autor dorthin zurück will, bleibt sein Geheimnis des Glaubens.
Auch eine andere Seite Luthers fehlt völlig: Kein Wort verliert Bolz über den Judenhass. Luther lehnte das Judentum nicht allein aus theologischen Gründen ab, er verspürte physischen Ekel gegenüber Juden. Das war mehr als Ungeist der Zeit. Es gilt dem Autor wahrscheinlich als "Political Correctness", so etwas überhaupt anzumerken. Wie twitterte Bolz Anfang 2017? "Die Deutschen haben weltweit das größte Talent, sich schuldig zu fühlen."
Norbert Bolz: Zurück zu Luther
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016
141 Seiten, 19,90 Euro
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016
141 Seiten, 19,90 Euro