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Lyrik gegen den Schmerz

Gemeinsam mit der Bundeswehr plant die Universität Sarajevo einen Gedicht-Band über Tod und Terror im ehemaligen Jugoslawien. Der Völkermord im Bosnienkrieg veranlasste vier Millionen Menschen zur Flucht und hinterließ unsagbaren Schmerz. Die Zwillinge Elma und Alma haben an dem Gedichtband mitgeschrieben - auf Deutsch.

Von Thomas Franke |
    Das Germanistik-Seminar der Universität Sarajevo plant nun gemeinsam mit der Bundeswehr einen Gedicht-Band zu verlegen. Die Gedichte über Tod und Terror im ehemaligen Jugoslawien sollen in deutscher Sprache gedruckt werden:

    Alma und Elma Dilaver haben die Hände auf die Knie gelegt, sitzen kerzengerade auf den Stühlen in einem Büro des Germanischen Seminars der Universität Sarajevo. Dunkle lockige Haare, Elma trägt eine Brille. Alma und Elma sind 22 Jahre alt, Zwillinge, und studieren Germanistik.

    Daneben sitzen der Truppenpsychologe, Horst Schuh, ein Offizier aus dem EUFOR-Hauptquartier und ein Germanistikdozent. Bücher liegen auf dem Schreibtisch, eine Zimmerpflanze steht daneben. Etwa 100 Seiten soll das Buch umfassen, da sind sich die drei sicher. Dann geht es um technische Details und den Titel. Eigentlich sollten Elma und Alma im Mittelpunkt stehen, immerhin gehören sie zu den Autorinnen, stellen ihre Gedichte für den Band zur Verfügung. Elma:

    "Wenn man jetzt sagen würde, schreib Gedichte für Soldaten, was würde man dann schreiben? Das kann man überhaupt nicht mit dem Hintergedanken machen. Da würde man einfach nur durcheinander kommen und glauben: Soll ich jetzt was Bestimmtes schreiben oder auf eine bestimmte Art und Weise oder was? Es ist einfach: "Schreibt Gedichte!" Und dann fertig."

    Alma und Elma stammen aus Tomislavgrad im Westen Bosniens, nicht weit von der kroatischen Grenze entfernt. Als sie neun Jahre alt waren, wurde ihr Vater ermordet, die Mutter floh mit den Kindern nach Deutschland. Vor acht Jahren sind sie in das vom Krieg zerstörte Land zurückgekehrt. Da waren Elma und Alma 14. Alma lächelt:

    "Ich sag mal, ich hab beide Teile in mir, das Deutsche, wie das Bosnische. Ich empfinde es so. Und ich kann's nicht beschreiben, warum ich das Bedürfnis danach habe, auf Deutsch zu schreiben, aber es gibt bestimmte Gefühle, die für mich persönlich auf deutsch besser auszudrücken sind als auf bosnisch. Ich hab's heute versucht, zu übersetzen, aber es klingt nicht so melodisch. Zum Beispiel dieser Ausdruck "Monster", ich hab' wirklich nach dem richtigen Wort gesucht im Bosnischen, um das Gefühl rüber zu bringen, was ich empfinde, wenn ich zurück denke, und diese Gestalten, die ich als Monster bezeichne, also ich finde einfach das Wort nicht, das ich dafür verwenden könnte. und ich find 's auch besser auf Deutsch."

    Alma schiebt ihren dicken schwarz-weißen Wollschal zur Seite, holt ein kariertes Blatt aus ihrer Mappe:

    "Auf Deutsch fehlen zwei Zeilen, das endet "jetzt werd ich unantastbar und kalt in deinem Unterbewusstsein zusammengekauert bleiben." Ich muss dazu schreiben, Moment.
    Soll ich's vorlesen? Gut ich lese erst auf Bosnisch vor, weil es ja auf Bosnisch entstanden ist:

    Gedanken mit Blutklumpen übersäht
    ich schrei
    freue mich, dass Du 's nicht hörst.
    Nun werde ich unantastbar und kalt
    in deinem Unterbewusstsein zusammengekauert bleiben

    Wenn ich glücklich bin, hab ich gar nicht das Bedürfnis zu schreiben. Ich verarbeite die negativen Sachen durch Schreiben, deshalb klingt das so düster."

    Der Dozent hat Kaffee kommen lassen und Brause in Dosen. Elma und Alma teilen sich ein Zimmer im Studentenwohnheim. Ihre Mutter lebt wieder in Tomislavgrad. Sie würden dort als bosnische Moslems manchmal komisch angeguckt, erzählt Alma. In Tomislavgrad wohnen vor allem Kroaten. Elma beugt sich über ein Büchlein mit handgeschriebenen Gedichten:

    "Das war vor einigen Wochen. Einige Verwandte von mir kamen, und ich hatte sie sehr lange nicht gesehen. Da stand irgendwie auch der Krieg dazwischen.

    Am Ende einer mit Lügen beschmückten Welt
    trafen wir uns
    endlich unfähig uns voreinander zu verstecken
    nun ohne Schmeicheleien süßer Worte, mit denen ihr mir das Leben vergiftet habt.
    Jetzt bin ich die kalte Wand
    zu kalt, als das ihr mich berühren könntet
    unfähig euch zu hören
    wie ein Schatten schwinde ich immer schneller aus euren Gedanken
    und steh neben euch
    nur um zu schweigen
    nur um zu schauen

    Ich hab plötzlich fast das Gefühl gehabt, als wenn wir uns anlügen. Und jetzt müssen sie das fast ein bisschen so spielen, so dieses Nettsein, dieses übertriebene Nettsein. Also das war gar nicht mehr so ehrlich wie früher. Und das war schade, ich hab mich plötzlich so angelogen gefühlt."

    Alma hofft auch, dass Jugendliche das Buch lesen werden:

    Es ist komisch, wenn ich mir vorstelle, Soldaten lesen das, aber es sind ja auch nur Menschen. Genau wie wir. Aber ich finde die Idee gut, sie sollen das lesen, weil die meisten Soldaten sehen Menschen nur als Subjekte. Wenn sie zurückdenken, dann denken sie wahrscheinlich nur an Bosnien als das Land, wo Krieg geführt wurde, und Bosnier sind eben Flüchtlinge gewesen, sie sollen einfach begreifen, dass wir genau das sind, was sie eben auch sind. Mir liegt daran sehr viel. Sie nehmen es ja als Souvenir mit nach Hause. Ich hoffe, dass es Jugendliche lesen. Darauf freu ich mich."

    Elma:

    "Ich find 's interessant, dass die Soldaten sozusagen auf die Idee kamen. Und das freut mich eben."

    Schneeweisses Tal unter meinem Fenster
    blonde Kinder flechten Kränze aus Schweigen
    Der Himmel über mir läuft grau an
    wessen Wut lässt mich da erzittern

    traumlose Nacht hat neue Welten erschaffen
    den ganzen Tag habe ich mit Zerstörung verbracht
    schneeweisse Stadt saugt mich ein, lässt meine Haut brennen
    wessen Antlitz ist da heute erwacht?"