Was für ein Trio! Drei "Oldtimer", die es noch einmal wissen wollten, seien sie, sagt der erste, Peter Rühmkorf. Drei Einzelgänger seien sie, meint der zweite, Hans-Magnus Enzensberger, - aber Poeten, Schriftsteller ganz allgemein seien schließlich "Partikel, die eher auseinanderstreben". "Drei Tenöre" sind wir, murmelt der einladende Dritte im Bunde, Günter Grass und schmunzelt. Einer "sentimentalen Regung" des Literaturnobelpreisträgers verdankt sich dieses Treffen – und selbst ein so veranstaltungsscheuer Mensch wie Hans-Magnus Enzensberger konnte der "Versuchung" nicht widerstehen, daran teilzunehmen. Peter Rühmkorf hat sein Publikum, seine "Edelgalaxis" schon immer mit "Batterielesungen" zusammen mit anderen Autoren beglückt, als "Dichter auf dem Markt" etwa. Und jetzt also sitzen sie selbdritt im Großen Saal der Musikhochschule - ein Münchner, ein Hamburger und der Gastgeber aus Lübeck -, hocken hinter einer Art Theke, vor sich drei Gläschen Rotspon. Das heißt, sie sitzen nur dann, wenn sie gerade nicht lesen. "Eine erstklassige Klassik schafft man nicht im Sitzen", rezitiert Rühmkorf einen seiner Verse, - deshalb stehen er, Grass und Enzensberger jeweils auf, wenn sie an der Reihe sind. Gestenreich untermalen sie ihre Worte, lehnen sich vor, lümmeln herum, wippen auf und ab, tanzen manchmal fast, diese drei "Hochseilartisten". Rühmkorf zieht die Augenbrauen so schön hoch, wenn er ins Publikum blinzelt, Grass kauert mit finster-mürrischer Miene auf seinem Platz, dass man denkt 'ach, kitzelte doch auch den mal ein Schalk im Nacken', und Enzensberger, der Schelm, stützt sich auf beiden Armen ab, um anzuheben, jetzt "mal ein bisschen was Optimistischeres" anklingen zu lassen. "Kein bloßes Veteranentreffen" sei dies, hatte er vorabgeschickt. In der Tat: Das sind beileibe keine "senilen Küken", um es mit Günter Grass' Worten zu sagen, das ist nicht Lyrik von der Stange. Das ist vielmehr der Triumphzug der deutschen Nachkriegsdichtung an der Obertrave. Hochtrabend thomasmannsch formuliert: Das Lübische und das Lyrische sind eine Liaison eingegangen. Oder schlichter: Drei ganz unterschiedliche Stimmen rocken die Musikhochschule auf ihre Weise und geraten dabei nur einmal ins Stocken, als Grass nach dem Ablaufplan in seinen Papieren sucht. Freilich wird auf diesem Konzert nicht herumgeschrieen, dafür wird "Die Scheiße" von HME besungen. Das, was hier zum Gig gerät, wollten die Drei nur hier im kleinen Lübeck geben, weil im großen Berlin etwa die Sache fürchterlich "aufgedonnert" worden wäre, mit Plakatankündigungen und all dem Mist. Wären diese Drei eine Band, würden sie am ehesten den alternden Rolling Stones entsprechen, und Peter Rühmkorf übernähme darin die Rolle von Keith Richards. Grenzt es doch an ein biologisches Wunder, dass er – bei allem offen dargelegten Alkohol- und Drogenkonsum – überhaupt noch mit von der Partie ist. Aber kein Anzeichen von Schwäche an diesem Abend. Hier werden Gedichte aufs eigene Gebiss gelesen, wie Grass sie als "lyrische Wegmarken" des eigenen Lebenslaufs festhielt. Die Prothesen klappern, das Publikum klatscht. "Brünstige" Gelegenheitsgedichte – verfasst von Mittvierzigern, vorgetragen von Mittsiebzigern - werden zu Gehör gebracht, Erinnerungen an die Kindheit in Danzig Langfuhr und Kaufbeuren. In mehreren Durchläufen lassen drei Männer würdevoll ihr Oeuvre von den frühesten Werken an bis zur aktuellen Produktion Revue passieren. Und der sachte Wellenschlag, mit dem bei Gras im autobiographischen Gedicht "Kleckerburg" das Ostseewasser gemächlich ans Ufer schwappt, gibt den Takt vor. Das alles hat Schwung und Temperament und lässt vergessen, dass diese Drei sich politisch längst nicht immer grün waren. Was soll’s, Günter Gras zuckt die Achseln, er wolle "nicht auseinanderklamüsern, wer wann links oder rechts von wem gestanden" habe. "Wir sind alle schwer loszuwerden." Von Müdigkeit keine Spur. Sogar für eine Zugabe hat es noch gereicht. Und das Bild, wie die Drei grüßend die Bühne verlassen, wird bleiben.
Archiv
Lyrikgipfel in Lübeck
Günter Grass hatte Sehnsucht, und da hat er zwei alte Bekannte nach Lübeck eingeladen. Einer von ihnen war Peter Rühmkorf, Hans Magnus Enzensberger war der Dritte im Bunde. Grass, Rühmkorf und Enzensberger sind langjährige Freunde.