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Macht der Bilder

Michael Köhler: Frage an Wolfgang Ulrich, Kunsthistoriker, der ein schönes Buch über Kunst und die Statussymbole der Macht geschrieben hat: Wovor hat man da Angst gehabt?

Wolfgang Ullrich im Gespräch |
    Wolfgang Ullrich: Natürlich erscheint es erst mal skandalös, dass man dieses Bild verhängt hat, andererseits wundert es mich ehrlich gesagt auch nicht. Natürlich erstaunt es, dass eine Supermacht offenbar Angst hat vor der Teppichreproduktion eines gemalten Bildes, andererseits muss man sehen, dass die Kunst in der Moderne so etwas wie eine moralische Hoheit besitzt und selbst, wenn sie propagandistische Züge trägt, sie nie darauf reduzierbar ist, sondern derjenige, der auf der Seite der Kunst steht, immer auch schon die Moral auf seiner Seite hat. Und natürlich jetzt in dem Fall bei einem Bild, das die Schrecken des Krieges zeigt, wäre das sehr kontraproduktiv gewesen für die Botschaft, die man in dieser Pressekonferenz der Welt vermitteln wollte.

    Köhler: Eine sonderbare Art eines Bilderverbots, möchte man meinen. Im frühen Mittelalter gab es das auch, da hieß so etwas Ikonoklase, weil man Angst vor der zunehmenden Ikonenverehrung hatte, also die gegenwärtige Macht untergraben wurde. Nun sind Kriegsbilder in der Kunstgeschichte nicht ungewöhnliches, im Gegenteil: Historienmalerei, Kriegsbilder sind ein ganzes Genre, das da gezeigt wird. Nun arbeitet aber die amerikanische Administration und der Minister Powell selber auch mit Bildern; der Golfkrieg etwa war ein Bilderkrieg. Hat man da inzwischen gelernt, ist man da vorsichtiger geworden, was die Macht der Bilder angeht, was ist das Motiv?

    Ullrich: Gerade das Ereignis letzte Woche, was Sie angesprochen haben, zeigt sehr schön, dass man nicht nur Angst hatte in diesem Falle auf der amerikanischen Seite vor einem bestimmten Bild sondern dass man andererseits auch die Macht der Bilder zum Einsatz bringen wollte. Wenn eben Powell in seiner Rede, wo er angeblich Beweismaterial vorlegte, Sattelitenbilder gezeigt hat aus dem Irak, wo man eigentlich überhaupt nicht sehr viel erkennen kann sondern alles in Unschärfe aufgelöst ist. Aber gerade solche Bilder aus Überwachungskameras von Satteliten, so technisch generierte Bilder, suggerieren natürlich enorme Authentizität. Und wenn sie dann noch unscharf sind, dann suggeriert das zugleich eine Art Ausnahmezustand oder etwas ganz Spektakuläres, Besonderes. Denken Sie daran, wie fasziniert die ganze Öffentlichkeit ist, die Mohammed Atta in Portland, als er noch von der Überwachungskamera aufgenommen wurde kurz bevor er in den Flieger gestiegen ist oder die letzten Bilder von Lady Diana im Ritz-Hotel in Paris. Das sind alles Bilder, auf denen nicht viel zu erkennen ist, wo aber der Betrachter sofort zum Detektiv wird und sofort das Gefühl hat, hier sei eine Sensation zu sehen, wenn auch nur unscharf. Das heißt, solche Bilder bieten sich auch wunderbar als Projektionsfläche für Ängste und Phantasien an und mit der Rhetorik dieser Bilder hat auch gerade Colin Powell gearbeitet letzte Woche.

    Köhler: Wenn ich Sie recht verstehe, würde ich daraus jetzt das Paradox formulieren, dass die Genauigkeit im Ungenauen liegt, dass die Macht der Unschärfe schärfer ist und die Kraft des Imaginären größer als das Reale selber.

    Ullrich: In der Gegenwart sicher, ja. Dass eben die Unschärfe auch als Indikator eben für ein technisch generiertes Bild angesehen wird. Es ist ja ein großer Unterschied zu den Bildern der Kunst, gerade zu dem Guernica-Bild von Picasso, das das Geschehen auch auf Chiffren und Zeichen fast karikaturenhaft reduziert und versucht, mit dem Mittel der Plakativität zu überzeigen und nicht mit dem Mittel der Authentizität.

    Köhler: Nun ist das eine besondere Art der Verhüllung. Regenten und Industriekapitäne oder auch Machthaber zeigen sich gerne vor Kunst, in Palästen, zumal moderne Kunst unterstreicht ja Entscheidungsfreude, Kunstsinn, Innovationskraft. Man kann also mit solchen Bildern im Hintergrund auch eine Öffentlichkeit regulieren und auch das eigene Bild von sich selber in der Öffentlichkeit. Ist das Ihrer Meinung nach, um auf unseren Anlass zurückzukommen, in New York ge- oder missglückt?

    Ullrich: An sich hatte man ja Angst vor diesem Bild und Angst, dass die Moralität, die Kunst und gerade moderne Kunst auch besitzen mag, gegen einen ausgewichtet werden kann. Es fällt ja auf, dass die Politiker und Manager, die sich vor moderner Kunst platzieren, das bevorzugt vor abstrakter Kunst machen, also vor Bildern, die ihnen zwar die Aura des humanen, gebildet und entschlussfreudigen geben, sie aber nicht auf irgendeine bestimmte inhaltliche Position festlegen.

    Köhler: Das muss offen sein?

    Ullrich: Das bleibt offen und das ist wohl auch gerade der Nutzwert der modernen Kunst, sofern die offen ist, dass sie sich auch sehr leicht dahingehend instrumentieren lässt.

    Köhler: Guernica hingegen ist hoch determiniert und festgelegt?

    Ullrich: Ja. Da ist die Moralität immer schon im Dienst einer bestimmten Sache, nämlich gegen den Krieg. Und beim abstrakten Bild, was einfach Entschlussfreude und Tatkraft symbolisiert, ist völlig offen, ob man die Tatkraft für Krieg oder Frieden zum Einsatz bringt.

    Köhler: Wenn ich das zu Ende denke, wäre ein schwarzer Quadrat von Malevich oder eine andere Ikone der modernen Malerei des 20. Jahrhunderts wahrscheinlich nicht verhängt worden?

    Ullrich: Nein, die wäre vielleicht sogar noch wirkungsvoller gewesen als der blaue UNO-Vorhang, der faktisch dahingekommen ist.

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