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Macht Diabetes dumm?

Medizin. - Die Behandlung des Diabetes ist vor allem die Domäne der Internisten. Seit wenigen Jahren richtet sich der Blick der Experten auf ein neues Organ, von dem bislang geglaubt wurde, dass es mit Diabetes eigentlich nichts zu tun hat: das Gehirn. Auffällig viele Diabetiker erkranken an Alzheimer Demenz, außerdem sind Diabetiker häufiger depressiv, und eine Studie aus der Schweiz legt nahe, dass ein früh aufgetretener Diabetes bei Kindern sogar den Intelligenzquotienten senken kann. Kein Wunder, dass auf der 39. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft in Hannover die Auswirkungen von Diabetes auch auf das zentrale Nervensystem diskutiert wird.

Von Michael Engel |
    Seit 1985 untersucht Professor Eugen Schoenle vom Universitätskinderspittal Zürich die Frage, ob Kinder mit einem Typ-1-Diabetes in ihrer geistigen Entwicklung gehemmt werden. 1189 Kinder wurden bis heute mit verschiedenen Intelligenztests immer wieder untersucht, um den Verlauf auch über die Jahre hinweg zu erfassen.

    Also, wir haben gesehen, dass die Knaben, die ihre Diabetes-Diagnose im frühen Alter hatten, sich kognitiv tatsächlich schlechter entwickeln. Sie verlieren einen Teil ihrer kognitiven Fähigkeiten. Und zwar sowohl beim Handlungs-IQ als auch beim verbalen IQ.

    Beim "verbalen IQ" wird der Wortschatz getestet, aber auch rechnerisches Denken und allgemeines Verständnis. Beim "Handlungs-IQ-Test" müssen die Kinder Bilder ordnen, ergänzen und Figuren legen. Insbesondere Jungen - noch im Vorschulalter unter sechs Jahren - schnitten hier schlechter ab. Mit zunehmendem Alter wurden die Unterschiede gegenüber einer gesunden Vergleichsgruppe sogar immer größer, während Mädchen mit Diabetes keine kognitiven Handicaps hatten. Schoenle:

    Es ist natürlich bekannt, vor allem in der pädiatrischen Intensivmedizin, dass eben kleine Knaben - zum Beispiel nach schwere Unfällen oder nach schweren Operationen - eine höhere Vulnerabilität haben, das heißt, sie sind gesundheitlich irgendwie empfindlicher als Mädchen in einem gewissen Alter, vor allem, wenn sie sehr jung sind. Und das könnte natürlich auch hier bei den Diabetikern eine Rolle spielen, weil bei der Präsentation - wenn sie ins Spittal kommen - mit der neuen Diagnose des Diabetes können sie in einem sehr schlechten Zustand sein. Und offensichtlich hat dieser sehr schlechte Zustand für die Knaben schlimmere Auswirkungen als bei den Mädchen.

    Der geringere Intelligenzquotient resultiert in erster Linie aus den hohen Zuckergehalten im Blut. Zuviel Zucker - so die Erklärung - schädigt die Nervenzellen. Neben dem Zucker beeinflusst offenbar auch das Insulin selbst die Gehirnaktivität. Professor Michael Stumvoll - Internistische Abteilung am Universitätsklinikum Leipzig - gab gesunden Versuchspersonen Insulin und testete die sogenannte "Theta-Aktivität" wie Gedächtnisleistungen und Wachsamkeit:

    Auf jeden Fall kann man einen Insulineffekt auf Theta-Aktivität bei schlanken Personen, der bei überwichtigen, aber sonst vollkommen gesunden Menschen aber ausbleibt, so dass wir also hier bei stabilen Parametern den Hinweis haben, dass nicht alle Menschen gleich von Insulin bezüglich Theta-Aktivität "profitieren", wenn Sie so wollen.

    Fest steht - seit kurzer Zeit - dass Hirnzellen überhaupt Insulinrezeptoren haben, und deswegen auf Insulin reagieren können. Im Tierexperiment nachgewiesen ist der sättigende Effekt des Insulins - ausgelöst im Hypothalamus - einem Teil des Zwischenhirns. Insulin - in das Gehirn injiziert - machte die Tiere satt. Die Befunde legen nahe, dass es vielleicht auch beim Menschen einen Zusammenhang gibt. Übergewichtige essen bekanntlich viel und wenn die Insulinproduktion versagt, sogar noch mehr. Stumvoll:

    Man könnte eine Konstellation "zusammenzimmern", wonach - sei es in absoluter oder relativer Insulinmangel - zentral mit zu diesem überschießenden Essverhalten des klassischen Typ-2-Diabetikers beiträgt. Auch wenn diese Krankheit primär keine Insulin-Mangel-Krankheit ist, so wissen wir doch inzwischen, dass es überall doch an Insulin mangelt - und zwar relativ. Hätte der Patient mehr Insulin, wäre er nicht hyperglykämisch, wäre er vielleicht nicht so viel hungrig. Das ist aber sehr spekulativ.