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"Macht, Ohnmacht, Zufall"

"Walküren, Wölfe, Waldvöglein" heißt die Installation von Georg Nussbaumer auf dem Weg zum Akademie-Plenarsaal am Pariser Platz. Zusammengesetzt aus Orgelpfeifen in Milch, Fleischwölfen und Ochsenzungen auf Spanischen Reitern macht dieses Auftragswerk sofort klar, auch bei dieser musiktheaterwissenschaftlichen Tagung ist Richard Wagner allgegenwärtig. Aber er spricht nicht zu uns, jedenfalls nicht direkt, wie der Regisseur Peter Konwitschny bei der abschließenden Podiumsdiskussion deutlich machte:

Von Uwe Friedrich |
    "Es ist ein Missverständnis, dass es unsere Aufgabe sei, es so zu machen, wie die Autoren das gedacht haben. Das kann man nämlich manchmal gar nicht wissen, oder das steckt nur im Werk selbst und das Werk verändert sich auch mit der Zeit."

    Was aber ist überhaupt dieses ominöse Werk, das Regisseure wie Peter Konwitschny so selbstbewusst interpretieren? Der abgeschlossene Werkbegriff, wie er sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hat, war schon damals nur eine Illusion. Der Dramaturg Robert Sollich plädierte in seinem Vortrag folgerichtig für einen freien Umgang mit den Vorlagen:

    "Zumindest bei der durchkomponierten Oper des 19. Jahrhunderts wird das ja bisher nur sehr am Rande mal betrieben, dass man da mal in die Partitur eingreift. Bzw. wenn man es tut, man macht es häufiger als es bekannt wird, aber das wird dann verheimlicht, es wird dann nicht als künstlerische Entscheidung ausgegeben, sondern als pragmatische Entscheidung. Also Schnitte gibt es zu Hauf, aber es ist sozusagen nichts Offizielles. Und das ist ja, was mich interessiert: Nicht was tut man, sondern was tut man mit welcher Begründung."
    Als hätten sie so etwas schon geahnt, haben viele Komponisten detaillierte Anordnungen getroffen, wie ihre Opern gefälligst auf die Bühne gelangen sollen. Am Beispiel von Wagners Bemerkungen zum " Fliegenden Holländer" machte Tagungsleiter Clemens Risi deutlich, dass dieser Versuch totaler Machtausübung durch den Komponisten von vornherein zum Scheitern verurteilt war:

    "Wenn Sie so wollen, zieht sich diese bei Wagner exemplarisch beobachtbare Kontrollsorge oder Kontrollinstanz ja durch die Zeit und lässt sich bis heute beobachten. Egal, ob sie einen Regisseur oder einen Komponisten nehmen. Das ist ja auch die These, die wir im Vergleich zwischen dem 19. Jahrhundert und der Gegenwart herauszufinden versuchen."

    Im 20. Jahrhundert hat sich dann doch ein entscheidendes Detail geändert, wie die Berliner Musikwissenschaftlerin Dörte Schmidt in ihrem Vortrag aufzeigte. Der moderne Komponist und seine Interpreten glauben nicht mehr daran, dass im Notentext eine ideale Werkgestalt abgebildet ist, die sich in der Aufführung nachvollziehen lässt, und sei es auch nur teilweise. Wenn diese Annäherung an das Ideal aber nicht mehr möglich ist, dann braucht man es auch gar nicht mehr zu versuchen, denken sich offenbar viele Interpreten und sehen den Text nunmehr als bloßes Material für eine Aufführung, offen für Veränderungen. Zwar sprechen wir noch immer von Wagners "Götterdämmerung" oder Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern", doch schon längst haben sich Regisseure wie Peter Konwitschny ihren eigenschöpferischen Anteil an Opernaufführungen gerichtlich bestätigen lassen. Diese Fragen kamen in der von Barbara Beyer fahrig und unkonzentriert geleiteten Podiumsdiskussion jedoch nur am Rande vor. Da war es äußerst wohltuend, als die Regisseurin Sandra Leupold in einem sehr persönlichen und aufrichtigen Beitrag vor der Illusion warnte, auf der Bühne sei überhaupt irgendetwas echt:

    "Das ist natürlich eine ausgemachte Theaterlüge. Das sind Sänger, mit denen habe ich geprobt, und was wie eine Improvisation wirkt, auch wenn es aus Improvisation kommt, das ist ein großes Thema auch für mich, um an das ranzukommen, was ich jetzt mal mit Glaubwürdigkeit beschreibe und wonach wir suchen, dann ist das natürlich eine Behauptung, die wir dann versuchen, weniger angreifbar zu machen und auf eine Oper, hintenrum, andere Art wieder glaubwürdig, dass man vielleicht an den Punkt kommt, dass der Sänger abends tatsächlich wohin geht, wo er noch nicht war."

    Ob das Publikum dem Sänger dorthin folgen möchte, steht dann wieder auf einem ganz anderen Blatt. Da mag es für die mitunter entnervten Zuschauer ein Trost sein, dass auch der experimentierfreudige Dramaturg und Theaterwissenschaftler Robert Sollich gelegentlich von Zweifeln heimgesucht wird:

    "Ich glaube auch, dass man ganz andere Sachen machen dürfte, es ist aber nicht immer gesagt, dass daraus immer gutes Theater wird."