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Machtmissbrauch und Korruption

Am 8. November wird die chinesische Führung beim Parteikongress wohl Xi Jinping als Nachfolger von Staatschef Hu Jintau absegnen. Er ist dann Parteichef der Kommunistischen Partei, die ein absolutes Machtmonopol genießt. Trotz Skandalen um Machtmissbrauch und Korruption gilt eine Parteimitgliedschaft als Karrieresprung.

Von Ruth Kirchner | 03.11.2012
    Die Partei präsentiert sich gerne geschlossen. Wie hier zu ihrem 90. Geburtstag vor einem Jahr. Mit dem Absingen patriotischer Lieder sollte das Gefühl der Einheit unter den 82 Millionen Mitgliedern gefestigt werden. "Ohne die Partei gäbe es das neue China nicht", heißt es in diesem Lied. Damit soll auch dem Rest der 1,3 Milliarden Chinesen das Gefühl vermittelt werden: Die KP führt das Land in die richtige Richtung und in eine glorreiche Zukunft.

    Die Partei hat das Land nach wie vor fest im Griff und nimmt für sich ein absolutes Machtmonopol in Anspruch. Sie steht noch über dem Staat und der Regierung. Aber das Image der KP hat im letzten Jahr schwer gelitten. Machtmissbrauch und Korruption machen ihr schwer zu schaffen. Vorläufiger Höhepunkt: der Sturz des Spitzenpolitikers Bo Xilai, der sich in Chongqing als selbstherrlicher Parteichef etabliert hatte. Dass seine Frau einen britischen Geschäftspartner ermordete, dass der Polizeichef half, die Geschichte zu vertuschen, all das ist für viele Menschen der Beweis dafür, dass die Partei heute zu einem Selbstbedienungsladen einiger mächtiger Familien und Interessengruppen verkommen ist. Der liberale Ökonom Mao Yushi:

    "Der Machtmissbrauch ist heute eine der größten Herausforderungen für China, niemand kontrolliert die Regierung. Sie können machen was sie wollen, Chongqing ist dafür der beste Beweis."

    Trotzdem wollen junge Leute immer noch in Scharen der KP beitreten. Doch es sind nicht die sozialistischen Ideale aus den Gründerjahren der Volksrepublik, die die KP heute attraktiv machen. Auch wenn bis heute Neumitglieder einen Treueschwur ablegen und versprechen müssen, die Geheimnisse der Partei nie zu verraten.

    "Es kann bei der Karriere helfen. Wenn Du in Deinem Lebenslauf in der Rubrik 'Politischer Status' Parteimitglied eintragen kannst, heißt das doch, dass du positiv denkst, dass du aktiv bist. Das hinterlässt einen guten Eindruck."

    Diese junge Frau ist seit drei Jahren Mitglied der KP – und sie ist stolz da drauf. Ihren Namen will sie nicht nennen, auch ihr Arbeitsplatz - ein staatliches Unternehmen in Peking – soll geheim bleiben. Denn sie fürchtet Schwierigkeiten, wenn sie ohne Genehmigung ihrer Parteigruppe mit Journalisten spricht. Für sie, wie für viele andere, ist die Parteimitgliedschaft ein Karrieresprungbrett, Zugangsvoraussetzung für einen sicheren Job in einem Staatsbetrieb oder in der Verwaltung.

    Doch aufgenommen werden längst nicht alle, die sich bei der KP bewerben. Sondern nur die Besten, die das langwierige Aufnahmeverfahren erfolgreich absolvieren. Wer das schafft, sticht aus der Masse heraus, sagt auch diese Frau, die vor acht Jahren, mit Anfang dreißig in die Partei eintrat und ebenfalls in einem staatlichen Unternehmen arbeitet.

    "Ich fühle mich immer noch geehrt. Ich habe das Gefühl, ich bin anders als andere. Ich stehe auf einem höheren Level. Ich habe fortschrittlichere Gedanken als normale Leute."

    Die Partei sieht sich heute als Elite-Verein, als "Vorhut des chinesischen Volkes". Sie will aus ihren Reihen das künftige Führungspersonal Chinas rekrutieren. Die Manager für die China AG. Sozialistische Tristesse ist dabei schon lange passe. Modische Klamotten, ein Mittelklassewagen, eine Eigentumswohnung – das sind heute die Attribute junger KP-Mitglieder. Und die Partei-Sitzungen im Betrieb oder der Nachbarschaft.

    "Normalerweise lesen wir die Reden der Führungsspitze und reden darüber. Der Leiter der Parteieinheit fasst dann die richtigen Schlussfolgerungen zusammen, um unsere falsches Denken zu korrigieren und uns zu zeigen, wie wir richtig zu denken haben."

    Doch dass die Partei als ideologischer Richtungsgeber und moralische Instanz oft nicht mehr taugt, machen nicht nur Skandale wie um Bo Xilai deutlich oder die Geschichten über die privilegierten Kinder der Kader und ihre teuren Sportwagen. Darüber hinaus klafft in kaum einer anderen Gesellschaft die Schwere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie in China – nicht gerade die beste Werbung für die Staatsideologie vom "Sozialismus mit chinesischen Vorzeichen". Die Partei hat nicht nur ein Image-, sondern auch ein Legitimationsproblem, sagt die regierungskritische Autorin Dai Qing:

    "Sie wissen das selbst ganz genau. Aber sie sind nicht bereit, ihre Interessen aufzugeben. Wenn also die Partei ihre Position halten will und ihren Ruhm nicht gefährden will, bleibt ihr nur der Nationalismus."

    Wie zuletzt beim Inselstreit mit Japan, als der Nationalismus von den staatlich kontrollierten Medien angestachelt wurde. Zudem werden immer neue Theorien entwickelt, die das Land zusammenhalten sollen. Der scheidende Parteichef Hu Jintao will sich mit seinen Konzepten von der "Harmonischen Gesellschaft" und dem "Wissenschaftlichen Entwicklungsweg" in der Parteigeschichte verewigen. Doch das Fußvolk beschäftigt etwas anderes:

    "Zuviel Korruption, zu viel Bestechung. Fast alle Spitzenleute in China sind Parteimitglieder. Je mehr Macht jemand hat, desto mehr Korruption und Bestechung gibt es. Und es gibt keine Transparenz. Trotz der schnellen Entwicklung der elektronischen Medien können sie immer noch vieles vertuschen und verschweigen."

    Und daran werde auch der 18. Parteitag nichts ändern, glauben viele. Denn dafür wären grundlegende politische Reformen notwendig. Die gelten zumindest kurzfristig zunächst als unwahrscheinlich. Der Wechsel an der Parteispitze ist vielen KP-Mitgliedern an der Basis daher herzlich egal. Mit ihrem Leben habe das nichts zu tun, sagen sie. Denn in der Partei ist man aus Pragmatismus nicht aus Überzeugung. Aber solche Gedanken behält man in der Parteisitzung lieber für sich.