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Made in Germany

Bis heute gilt sie als Symbol des industriellen Aufschwungs, die erste deutsche Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth. Eine technisch erzeugte Verbundenheit, die die Bewohner der beiden Städte offensichtlich gar nicht so sehr schätzen, denn als es eine Generation weiter um die Elektrifizierung ging, wählten die Fürther Gleichstrom, die Nürnberger hingegen Wechselstrom. Erst 1945 wurde dieses kuriose Relikt beseitigt – doch bis dahin hatte ein Mann nicht schlecht daran verdient. Zog ein Fürther nach Nürnberg oder ein Nürnberger nach Fürth, brannte umgehend der Trafo seines Radios durch. Die defekten Geräte trug man zu Max Grundig, der die Spulen neu wickelte, dann eigene Trafos herzustellen begann und schließlich ganze Radioempfänger produzierte. Das Ende ist bekannt: Mit Grundig konnte das Nachkriegsdeutschland auf einen Selfmademan amerikanischer Prägung blicken, der in einer Generation einen Weltkonzern aufzog, ihn freilich auch in derselben Generation wieder ruinierte.

Florian Felix Weyh |
    "Made in Germany" nennt sich eine markant gestaltete neue Taschenbuchreihe des Ullstein-Verlags in silberner Aluminium-Appretur, die sich den Gründerfiguren des 19. und 20. Jahrhunderts widmet – ein etwas wehmütiger Reflex auf die gesichtslose Globalisierung heutiger Weltwirtschaft. Namen sind Programm in dieser Buchreihe, weswegen sie auch die Titelblätter schmücken. Ob Christl Bronnenmeyer über Max Grundig schreibt, Joachim Hauschild über Philip Rosenthal, Bettina Jung über August Oetker oder Karl-Otto Saur über Friedrich Krupp – zumindest einen Patriarchen hat es einmal gegeben, den Firmengründer, auch wenn Max Grundig mit seiner Einmanngeschichte alleine bleibt. Fast immer sind es Familienunternehmungen über Generationen, deren Ausläufer sich wie im Falle Lothar Freiherr von Fabers bis ins späte 18. Jahrhundert erstrecken, und die sich – häufiges Muster – in der zweiten oder dritten Generation gerne tödlich verkrachen. Im Falle der Gebrüder Dassler passierte dies schon den Gründern. Der eine, Adi Dassler, etablierte im kleinen Herzogenaurach die Sportschuhfabrik "Adidas", der andere, Rudolf Dassler, zog mit seinen "Puma"-Turnschuhen am selben Ort nach. Beide sprachen jahrzehntelang kein Wort miteinander – man munkelte eine Liebesgeschichte als Grund – und spalteten das Städtchen in zwei Fraktionen, je nachdem, bei wem man Lohn und Brot bezog. Wirtschaftsgeschichte als daily soap – so mochten es sich die Herausgeber der Reihe vielleicht erhofft haben, doch leider versiegen die Quellen rasch. Wer geübt ist, seine Bilanzen vor neugierigen Blicken zu schützen, vermag sein Privatleben ebenfalls hermetisch abzuriegeln. Die wirklich Reichen und Mächtigen dieser Welt haben kein Interesse daran, ihre menschlichen Unzulänglichkeiten nach außen dringen zu lassen, und so beschränkt sich die psychologisch aufschlußreiche Beschäftigung mit Familienstrukturen meist auf weit zurückliegende Epochen. Mehr oder minder ausgeprägt findet sich in jedem der acht Bücher ein Bruch an jener Stelle, an der die heute noch lebende oder wirkende Generation ans Ruder kommt. Uninteressante betriebswirtschaftliche Kennzahlen rücken an die Stelle szenischer Beschreibungen, und man merkt deutlich, daß keiner der Autoren über intimere Kenntnisse verfügt, als sie eine öffentliche Quelle hergibt. Im Falle Wilfried Geldners führt das zu einer Art Betriebszeitungsreportage. Sein Buch über die Gebrüder Dassler ist ein unangenehm opportunistisches Beispiel für jene Art von Wirtschaftspublizistik, die sich gerne mal von ihren Beschreibungsobjekten subventionieren läßt; nichtssagende Werbefotos aus dem Firmenarchiv krönen derartige Unterwürfigkeit.

    Tatsächlich ein nicht ganz unheikles Unterfangen, das der ehemalige Spiegel-Redakteur Karl-Otto Saur mit seinem "Kontor für Kultur und Kommunikation" für den Ullstein-Verlag entwickelt hat. Im Wettstreit zwischen Kompetenz und boulevardesk angehauchtem Sachbuchstil bleibt die Kompetenz der Autoren manches Mal auf der Strecke. Im Grunde gibt Saur mit seinem eigenen Buch über Friedrich Krupp die Linie vor; nur leider können einige seiner Autoren mangels Klasse nicht folgen. Er ist der einzige, der sich einen Gran Ironie erlaubt, die Skurilitäten und Verschrobenheiten seines Titelhelden mit Lust vorführt und dennoch im heikelsten Kapitel über die Kruppsche Aufrüstungspolitik nach 1933 Farbe bekennt. Da Saurs Vater eine unrühmliche Rolle bei Alfried Krupps Verurteilung im Kriegsverbrecherprozeß von 1947 spielte, kommt es zu einer aufregenden autobiographischen Konfrontation. Verhielten sich alle Bücher ihrem Gegenstand gegenüber so souverän, könnte man sie uneingeschränkt empfehlen. Eine nachgerade erschreckend uneinheitliche Lektorierung erläßt jedoch manchem Unternehmen die kritische Revision der Jahre zwischen 1933 und 45, denn mit Philip Rosenthal ist nur ein Fabrikant jüdischer Abstammung vertreten. Vorbildlich Fabian Müllers Auseinandersetzung mit dem technikbesessenen Ferdinand Porsche, dem jeder Verbündete recht war, um seine gigantomanen Volkswagenpläne durchzusetzen. "Porsche", schreibt Müller, "ist die Umkehrung des Begriffs vom Befehlsnotstand. Porsche entscheidet, was gemacht wird und läßt dann den entsprechenden Befehl einholen, gegebenenfalls in Form des ‚Führerwillens‘."

    Im scheinbar harmlosen, weil nicht kriegswichtigen Fall des Nahrungsmittelkonzerns Oetker mit seinem Interims-Chef Richard Kaselowsky läßt die Autorin Bettina Jung dagegen Fünfe gerade sein. Das schwer belastete SS-Mitglied Kaselowsky "stattete bisweilen auch Konzentrationslagern Besuche ab" – als seien das Kaffeefahrten ins Grüne gewesen. Daß sich die Frage nach der Moral in Wirtschaftsbiographien nicht erst 1933 stellt, zeigt der Fall Krupp ebenso wie der des Grafen Zeppelin, der schon im ersten Weltkrieg vehement für die Bombardierung der Zivilbevölkerung plädierte – von seinen so friedlich wirkenden Fluggeräten aus. Krupp und Zeppelin verbindet ein seltsames historisches Querstück: Beide waren 1870 an der Belagerung von Paris beteiligt. Zeppelin persönlich, Krupp in Gestalt einer besonderen Kanone. Während sich der schwäbische Graf von den Ballons inspirieren ließ, mit denen die eingeschlossenen Franzosen den Kontakt zur Außenwelt aufrecht erhielten, stellte Krupp das erste Flugabwehrgeschütz zur Verfügung, mit dem sich eben diese Ballons unsanft zur Erde holen ließen. Hier findet sich die Keimzelle zum furchtbaren Luft- und Bombenkrieg des 20. Jahrhunderts. Seltsam nur, daß von acht Unternehmen der Buchreihe vier in Franken angesiedelt sind – rechnet man das hoch, müßten rund um Nürnberg fünfzig Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts erwirtschaftet werden. Edmund Stoiber wird es mit Vergnüngen hören.

    Neue Taschenbuchreihe: "Made in Germany":

    Christl Bronnenmeyer: "Max Grundig"

    Wilfried Geldner: "Adi Dassler"

    Joachim Hauschild: "Philip Rosenthal"

    Bettina Jung: "August Oetker"

    Fabian Müller: "Ferdinand Porsche"

    Juliane Nitzke-Dürr: "Lothar Freiherr von Faber"

    Helmut Pigge: "Ferdinand Graf von Zeppelin"

    Karl-Otto Saur: "Friedrich Krupp"