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Mädchen unter sich

Am Gymnasium Borbeck in Essen genießen die Schülerinnen eine entspannte Atmosphäre, ganz ohne alberne Jungs und den ewigen Geschlechterkampf um Aufmerksamkeit und Abgrenzung. Das Selbstbewusstsein der Mädchen soll so gefördert werden, ohne aber ein gesundes Verhältnis zu männlichen Mitmenschen zu beeinträchtigen.

Von Andrea Lueg | 22.11.2008
    "Ein berühmtes Vorurteil ist die Zickenschule und es wird auch oft, wenn man sich neu vorstellt, erst wird man normal angekuckt und dann auf einmal: Die geht auf ein Mädchengymnasium? Ok...dann wird man doch eher kritischer beäugt und dann werden auch Fragen gestellt, vor allem von Jungenseite aus, oder es kommen die Witze wie, öh, ich wär auch mal gern auf ner Mädchenschule, als einziger Junge, wir sind jetzt in der Neunten, wir kennen das eigentlich schon, da macht man sich dann auch keine Gedanken mehr drüber."

    Anne Kühl geht auf eine reine Mädchenschule, das Mädchengymnasium im Essener Stadtteil Borbeck. Sie selbst hat sich für die Schule entschieden, nachdem sie sich einige Gymnasien angesehen hatte. Und auch für Katharina Kellner aus der 6a war die Entscheidung klar:

    "Ich bin hier auf die Schule gegangen, weil, es gibt ja jetzt auch nicht so viele Mädchengymnasien und das ist eigentlich auch ganz gut ohne Jungens, weil, da gibts auch Lernvorteile und so. Weil die Jungens, die stören auch oft, weil die wollen dann immer Klassenclown werden und sowas, zum Beispiel auf der Grundschule, war das so, einmal war dann die Hälfte von der Klasse auf dem Klo, weil die immer alle gleichzeitig aufs Klo mussten, alle Jungen."

    Gegründet wurde das Borbecker Mädchengymnasium, eine städtische Schule, vor 40 Jahren, zu einer Zeit also, als in Deutschland gerade die Koedukation eingeführt wurde.

    "Das ist wirklich erstaunlich, aber das hängt zusammen mit dem Borbecker Stadtteil, das damals, als die Schule entstanden ist, die Borbecker Bürger wollten eine Schule für Mädchen, weil die bis dahin immer fahren mussten und wollten die dann auch erhalten haben. Das hat eigentlich so dazu geführt, dass dieses Bürgerbewusstsein die Schule erhalten hat. Auch in den Jahren danach als es so die Koedukationswelle gab."

    Rektorin Elisabeth Gemein unterrichtet seit 1975 hier und will den Mädchen auf ihrer Schule vor allem ein gutes Selbstbewusstsein mitgeben. Das, so ist sie überzeugt, geht besser, wenn Mädchen unter sich lernen.

    "Die Vorteile sehe ich in der Vielfalt des Angebotes für Mädchen. In koedukativen Klassen ist es ja so, dass aufgrund der Geschlechter und der Tradition der Geschlechterbestimmung immer schon Zuweisungen gemacht werden für Jungen und für Mädchen und dass an einem monoedukativen Gynmasium die Mädchen zunächst die Chance haben, wirklich alle Rollen, alle Möglichkeiten auszuprobieren. Das heißt die können am Computer sitzen, die können zeichnen, tanzen, malen, die mädchendominierten Sachen machen und auch die jungendominierten Sachen, dafür sind zum Beispiel unsere naturwissenschaftlichen Projekte - Science for girls - dass eben die Mädchen gerade in den Naturwissenschaften besonders gefördert werden, in Gruppen sich Sachen selbstständig erarbeiten können und da wirklich tolle Sachen machen oder die Roberta AG, wo die selber sich einen kleinen Computer zusammenbauen."

    Oder indem sie auch mal in den Joballtag von Männerberufen reinschnuppern.

    "Deshalb versuchen wir auch unser erstes Berufspraktikum, was wir im Jahrgang 10 machen, dass wir da die Mädchen speziell in sogenannte männerspezifische Berufe versuchen zu vermitteln."

    Auch für Melanie Röer, die kurz vor dem Abi steht, hat die Mädchenschule Vorteile geboten.

    "Keiner muss sich irgendwie scheuen, Fragen zu stellen, weil man das Gefühl hat, die Jungens können das eh besser, es ist glaube ich, einfach entspannter. Wir haben verschiedene Projekte, wir haben zum Beispiel eine Art Mathezirkus, gerade auch im Bereich Wirtschaft werden wir hier sehr gefördert oder können an vielen Projekten teilnehmen, um ein bisschen in die Männerdomäne weiter einzudringen, also es wird hier schon sehr gefördert."

    Melanie will nach dem Abi in den Bereich Wirtschaft gehen. Dass sie sich dafür nach neun Jahren Mädchenschule umstellen muss, glaubt sie nicht.

    "Einerseits hab ich das Gefühl in Nur-Mädchen-Gruppen ist es oft einfacher, weil der Standpunkt irgendwo schon klar ist, alle sind gleichberechtigt, man muss sich nicht erst mit Jungens so ein bisschen hervortun und durchsetzen, aber andererseits haben wir hier, glaube ich, so viel Selbstbewusstsein mitbekommen, dass wir das regeln können und nicht dass wir irgendwie benachteiligt wären."

    Das hat sich ohnehin schon in vielen Wettbewerben gezeigt, bei denen das Mädchengymnasium gegen koedukative Schulen angetreten ist, meint Schulleiterin Elisabeth Gemein.

    "Bei den Wirtschaftsprojekten Junior sind wir, darf ich so sagen, die erfolgreichste Schule in Deutschland in Bezug auf die Preise, die wir da ’abgesahnt’ haben."

    Am Mädchengymnasium Borbeck ist es keineswegs so, dass alle Schülerinnen Mathe ihr Lieblingsfach nennen oder statt zu shoppen lieber naturwissenschaftliche Probleme lösen. Trotzdem ist Elisabeth Gemein überzeugt, dass sich der Zugang der Mädchen zu bestimmten Fächern verbessert.

    "Es gibt eine kleine Studie, Vergleich der Leistungskurse unserer Schule mit den Leistungskurswahlen des benachbarten ehemaligen Jungengymnasiums, zu der Zeit als es noch Jungengymnasium war, da war erkennbar, dass an den beiden monoedukativen Schulen die Jungen und Mädchen etwas gegen den geschlechtsspezifischen Trend wählen, das heißt dass die Jungen stärker auch Deutsch und Sprachen gewählt haben, und bei uns die Mädchen anteilig mehr Naturwissenschaften und Mathematik als an den koedukativen Schulen."

    Die Atmosphäre am Mädchengymnasium ist freundlich und friedlich. Es gibt zwar ein Streitschlichterprogramm, aber das wird selten in Anspruch genommen. Klar, wird gestritten, und auch Mädchen können den Klassenclown geben oder den Unterricht verweigern. Aber die Konflikte fallen meist nicht so scharf aus.

    "Ich habe fast nie jemanden, die zu mir geschickt wird, mit der ich dann mal ein ernstes Wort reden sollte, ich hab aber häufig Schülerinnen, die ich für etwas loben kann."

    Auch wenn die Schülerinnen die Lernatmosphäre unter Geschlechtsgenossinen schätzen, als brave Mädchen, die besondere Unterstützung brauchen sehen sie sich keineswegs.

    "Wir hatten früher mal das Motto ’MädchenStärken’ im Sinne so einer doppelten Bedeutung, also so an die Stärken der Mädchen anzuknüpfen und sie gleichzeitig darin zu bestärken auch was neues zu erproben, aber interessanterweise haben die Mädchen, als wir so in der Schulprogrammentwicklung über dieses Programm gesprochen haben, das abgelehnt, weil sie es defizitär fanden und haben gesagt, nee, das bildet uns nicht ab."