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Mannsbild statt Monster

Wüstling, Tyrann und Monster, sechs Mal verheiratet und fettsüchtig: Heinrich VIII. ist als brutaler Herrscher in der Geschichte der britischen Monarchie eingegangen. Aber er hatte auch seine zarteren Seiten. Eine Ausstellung in der British Library versucht, eine Neubewertung des Renaissance-Herrschers vorzunehmen. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das politische und kulturelle Vermächtnis des Tudor-Königs als "Erfinder" Englands.

Von Walter Bohnacker | 22.04.2009
    "Heads and Hearts" - "Köpfe und Herzen": Henry und seine sechs Frauen sind das Thema einer Ausstellung im Hampton Court Palast. In historischen Kostümen lässt man den Monarchen hier seine Liebschaften und Hochzeiten zelebrieren. Im Tower-Gefängnis, wo es um die Köpfe und Herzen seiner Widersacher um einiges schlechter stand, sind Heinrichs auf Hochglanz polierte Rüstungen zu besichtigen, stellvertretend für seine blutige Tötungsmaschinerie. Titel der Schau: "Dressed to kill".

    Heinrich, der Weiberheld, der Fettwanst, der Killer: Das ist die eine, die Kehrseite des Mannes. Von seiner besseren, verträglicheren Seite zeigt er sich in der Ausstellung in der British Library. Statt auf touristisch inszenierte Kostümfeste und Waffenparaden setzt man hier, nüchtern und streng, auf die Präsentation der historischen Quellen.

    Die Schau "Heinrich VIII.: Mann und Monarch" rückt einen anderen Henry in den Mittelpunkt, sozusagen als Korrektiv zum landläufigen Stereotyp von Heinrich, dem martialischen Scheusal: den gebildeten, devoten Prinzen, den universal interessierten Renaissance-Herrscher und den Freund der Musen. Kuratiert hat die Schau Englands prominentester Kenner der Tudor-Epoche, der Historiker David Starkey.

    "Leider reduziere man Heinrich VIII. immer wieder auf die Geschichte mit seinen sechs Frauen. Sie zeigen wir hier natürlich auch. Aber im Grunde sind die Frauen nur Markierungspunkte auf Heinrichs Weg durch die Geschichte. Und die, seine Geschichte, ist nun einmal größer, als die seiner Begleiterinnen."

    Selten ausgestellte Dokumente, Urkunden, Karten, Briefe und vor allem Bücher: Mit ihren rund 250 Exponaten ist die Ausstellung bestens bestückt und hier natürlich genau am richtigen Ort.

    "Heinrichs eigene Bibliothek bildet bis heute den Kern und Grundstock der Bestände der British Library. Die umfangreiche Büchersammlung und seine intensive Lektüre galten fast ausschließlich einem Zweck: dem Quellenstudium als Vorbereitung auf die Scheidung von seiner ersten Frau, Katarina von Aragon, und dem Kampf mit dem Papst in Rom."

    Zu sehen sind der Ehekontrakt Heinrichs und Katarinas aus dem Jahr 1504; ein Liebesbrief an seine zweite Frau, Anne Boleyn, von 1527 - eine Leihgabe des Vatikan; wunderschön illuminierte Gebets- und Stundenbücher mit handschriftlichen Randnotizen des Königs; daneben ein Notenblatt mit dem Lied "Pastyme with good companye", einer Komposition Heinrichs; und ein Psalter, der den Monarchen in seiner Lieblingsrolle zeigt: als König David, der auf Christus verweist und damit auf die Stellung des Königs als oberster Kirchenfürst Englands.

    Sicher, der Erzbösewicht lässt sich auch hier nicht wegretuschieren - auch nicht die Tatsache, dass er innerhalb kurzer Zeit den Staatshaushalt völlig ruinierte und circa 70.000 Bürger seine Regentschaft mit dem Leben bezahlten. Dennoch, so Kurator David Starkey: Heinrich habe die Grundlagen für Englands Weltmachtstellung geschaffen, und nicht nur als Politiker und Religionsreformer habe er dem Land für immer seinen Stempel aufgedrückt. Auch sein kulturelles Vermächtnis sei imposant. Und das zeige sich nirgends so deutlich wie in der Sprache.

    "Sein Religionskampf war auch eine Revolution des Wortes. Die Blütezeit der englischen Sprache beginnt unter ihm und nicht erst während der Regentschaft seiner Tochter Elisabeth der Ersten."

    Als Beleg für das Aufblühen einer englischen Nationalliteratur dient in der Ausstellung die Erstausgabe der Werke Geoffrey Chaucers, des Dichters der "Canterbury-Erzählungen". Bis zu Shakespeare war es unter Henry noch ein Weilchen hin, aber auch der Barde aus Stratford, meint Starkey, habe Heinrich VIII. so einiges zu verdanken.

    "Man denke doch nur an die Rede des Johann von Gaunt in Shakespeares Drama 'Richard der Zweite'. Gaunt nennt England die 'bezepterte Insel', einen 'in die Silbersee eingefassten Edelstein' und den Inbegriff der Welt, dem das Meer als Mauer und Graben gegen den Neid weniger glückseliger Länder dient. Diese Sprache ist ohne Heinrich VIII. kaum denkbar - im Gegenteil: Sie speist sich direkt aus Henrys Propaganda."