Marc-Antoine Charpentier: "In nativitatem domini canticum" u.a.
Den französischen Komponisten Marc-Antoine Charpentier kennt fast jeder, zumindest ein kurzes Stück Musik von ihm, den Anfang seines "Te Deums": * Musikbeispiel: Marc-Antoine Charpentier - 'Prélude' (Anfang) aus: "Te Deum" Dieses Stück Musik wird seit Jahrzehnten am Beginn und Ende von Eurovisionssendungen im Fernsehen gespielt und ist damit über die Jahre so etwas wie eine inoffizielle europäische Nationalhymne geworden. Hier und heute soll jedoch eine weniger martialische Seite Charpentiers im Mittelpunkt stehen, die in seinem Schaffen großen Raum einnimmt: Kein anderer französischer Komponist seiner Zeit hat ein so vielgestaltiges Werk zu den Weihnachtsfeiertagen verfasst wie er: eine Messe, instrumentale Bearbeitungen von Weihnachtsliedern, außerdem eine Art lateinisches Weihnachtsoratorium und französische Pastoralen. Vom Charakter dieser Musik gibt der folgende Marsch der Hirten einen kurzen Vorgeschmack. * Musikbeispiel: Marc-Antoine Charpentier - 'Marche des bergers' aus: "In Nativitatem Domini Canticum" Marc-Antoine Charpentier wurde 1643 in Paris geboren. Nach einem Studienaufenthalt in Rom bei Giacomo Carissimi wurde er Kapellmeister der Herzogin von Guise und arbeitete eng mit der Theatertruppe Molières zusammen. In Kreisen der Pariser Musikkenner stand er bald in dem Ruf, der geistvollste und kenntnisreichste der modernen Musiker zu sein. Deshalb fiel beim einflussreichen Jesuiten-Orden wohl auch die Wahl auf ihn, als es in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts darum ging, das hochangesehene Amt des Maitre de la Musique an der Jesuiten-Kirche neu zu besetzen. Hier in Saint-Louis an der Pariser Rue Saint-Antoine, einer Kirche, die später noch einen Heiligen dazu bekommen hat und daher heute Saint-Paul-Saint-Louis heißt, wurden die Weihnachtskompositionen der vorliegenden CD-Einspielung vermutlich uraufgeführt: die volkstümliche "Messe de minuit" und die lateinisch erzählte Heilige Geschichte "In Nativitatem Domini Canticum", aus der Sie nun den Chor der Engel und den Schlußchor "Exultemus jubilemus" hören: "Ehre sei Gott in der Höhe" und "Lasst uns frohlocken, lasst uns jubeln Gott unserem Heiland." * Musikbeispiel: Marc-Antoine Charpentier - aus: "In Nativitatem Domini Canticum" Soweit der Schlusschor aus Marc-Antoine Charpentiers Historia Sacra "In Nativitatem Domini Canticum", ausgeführt von den Sängern und Instrumentalisten des Ensembles "Les Arts Florissants" unter der Leitung von William Christie. Etwas gewöhnungsbedürftig ist die Art und Weise, wie Solisten und Chor das Lateinische mit einem deutlichen französischen Akzent versehen. Vor allem das zum 'ü' transformierte 'u' fiel bei diesem Schlusschor besonders auf: "Exültemüs jübilemüs". Ansonsten ist die Interpretation weitgehend makellos und von großer Musikalität geprägt, was nicht weiter überrascht, denn der in Amerika geborene William Christie ist einer der großen Experten für die französische Kirchenmusik. Seine Begegnung mit Ralph Kirkpatrick förderte einst seine Bewunderung für französische Kunst. 1971 ließ er sich in Paris nieder. Seit 1995 ist er französischer Staatsbürger. Seine eigentliche Karriere begann Anfang der 80er Jahre mit der Gründung des Ensembles "Les Arts Florissants", das sich die Pflege des englischen, französischen und italienischen musikalischen Erbes des 17. und 18. Jahrhunderts zur Aufgabe gemacht hat. Hier hören Sie Les Arts Florissants mit dem 'Gloria' aus Charpentiers weihnachtlicher Mitternachtsmesse. * Musikbeispiel: Marc-Antoine Charpentier - 'Gloria' aus: "Messe de minuit" Diese "Messe de Minuit" wurde als Christmette in der Heiligen Nacht aufgeführt. Sie spricht vor allem den französischen Hörer sofort an, weil sie elf traditionelle volkstümliche Weihnachtslieder verwendet, die die musikalische Basis der einzelnen Messeteile bilden oder als instrumentale Zwischenspiele dienen. Charpentier gelang das Kunststück, ein perfektes Gleichgewicht zwischen diesen einfachen, manchmal geradezu naiven Melodien und dem kunstvollen Gewand herzustellen, in das er sie kleidete. Manchmal verlangt Charpentiers Partitur übrigens das Spielen eines Weihnachtsliedes, ohne eine einzige Note der Melodie oder einer Begleitung zu notieren. Man nimmt an, dass diese Stellen vom Organisten realisiert werden sollten. Das waren - zumindest in Paris an Saint Louis - alles hochgebildete Musiker mit Namen wie Michel Richard Delalande oder Louis Marchand, die natürlich keinerlei Schwierigkeiten damit hatten, solche Weihnachtsmelodien in kunstvollen Sätzen zu improvisieren. Für eine möglichst authentische Aufführung heute sind diese Stellen aber zunächst einmal ein Problem. William Christie und seine Musiker halfen sich mit einem Trick: Im großen Schaffen Charpentiers fanden sie Orchesterstücke über diese Weihnachtsmelodien, die sie kunstvoll an den entsprechenden Stellen einbauten. Ein gutes Beispiel hierfür ist gleich das 'Kyrie': Es beginnt mit einem Orchestervorspiel in einem eher homophon-einfachen Stil, hier, aber auch im anschließenden imitatorischen Chorpart ist das Weihnachtslied "Joseph est bien marié" immer präsent. Am Ende dieses Chores kommt dann eine solche, ursprünglich der Improvisationskunst des Organisten vorbehaltene Stelle: Nahtlos fügt sich das "Noel sur les instruments" über dasselbe Lied, aber mit einer ganz anderen Opuszahl als die Messe, hier ein. * Musikbeispiel: Marc-Antoine Charpentier - aus: "Messe de minuit" Die Neue Platte - heute mit einer Weihnachtshistorie und einer Christmette des französischen Komponisten Marc-Antoine Charpentier, neu aufgenommen vom Ensemble Les Arts Florissants unter der Leitung von William Christie beim französischen Schallplattenlabel Erato.