
Scheinbar ist es ein Morgen wie jeder andere. In einem Dorf im Osten Rumäniens stehen der zwölfjährige Manuel und seine ältere Schwester Angelica um sechs Uhr auf, um zur Schule in die nächste Stadt zu fahren. Dass es kein gewöhnlicher Tag ist, zeigt sich allerdings bald, denn Daniela, die Mutter der beiden Jugendlichen, ist verschwunden. Sie durchsuchen das ganze Haus, vergeblich. Filip, der Vater, der sich als Hilfsarbeiter verdingt, bekommt einen Tobsuchtsanfall. Doch auch das ändert nichts. Daniela ist weg. Erst als Angelica und Manuel sich Stunden später schließlich doch auf den Weg zur Schule machen, zeigt die Schwester ihrem Bruder den Abschiedsbrief der Mutter, den Angelica gefunden hat:
"Meine Kinder, ich habe in Mailand eine Arbeit gefunden. Ich muss fort, damit ihr studieren könnt und anständig zu essen bekommt. Mit Papa darüber zu reden ist sinnlos, deshalb bin ich heimlich gegangen. Das ist nicht schön, ich weiß, aber wenn ich nicht sofort zugesagt hätte, hätten sie eine andere genommen."
Zerbrochene Familien
Im Nachwort seines Romans erläutert Marco Balzano die realen Hintergründe seiner Geschichte. Ihm geht es darum, ein Bewusstsein für die illegal arbeitenden Frauen zu wecken, die ihre Heimat und ihre Familien verlassen, um als Pflegekräfte in einem wohlhabenden europäischen Land zu arbeiten und auf diese Weise die Sozialsysteme vor dem Zusammenbruch bewahren. In Rumänien, so Balzano, habe sich für den gehäuft auftretenden Burnout bei ehemaligen Pflegerinnen und Haushaltshilfen bereits der Begriff der "Italienkrankheit" etabliert.
"Wenn ich wiederkomme" erzählt auf mehreren Zeitebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven aus dem Alltag einer betroffenen Familie. Manuel verzeiht der Mutter ihren Weggang nicht und unterstellt ihr in seiner kindlichen Naivität, dass sie sich aus dem Staub gemacht hat, um allein ein besseres Leben zu führen. Als Filip, der Vater, die Familie ebenfalls verlässt, wächst Manuel bei den Großeltern auf. Zwar kann er dank des Geldes, das die Mutter schickt, eine gute Schule besuchen, ist aber dort sowohl in seinen Leistungen katastrophal als auch sozial dysfunktional. Irgendwann weigert er sich gar, mit der Mutter am Telefon zu sprechen. Vier Jahre lang bleibt Daniela in Italien, bis Manuel einen Unfall hat, der die Situation von Grund auf verändert:
"Das Moped ist ins Schlingern geraten, und ich flog über die offene, baumlose Landschaft. Weit oben, schwebend wie eine Feder, ohne den Lenker loszulassen. Und jetzt wird es überall finster."
Floskelhafte Lebensweisheiten
Der zweite und umfangreichste Teil des Romans bildet dessen Herzstück: Daniela sitzt in ihrer rumänischen Heimatstadt am Bett ihres im Koma liegenden Sohnes und erinnert sich währenddessen an ihre Zeit in Italien. Dabei zeigen sich sowohl die Stärken, aber auch die gravierenden Schwächen dieses Buchs: Passagenweise gelingen Balzano eindrückliche Schilderungen aus dem Alltag einer Arbeitsmigrantin, die in einer Form von modernem Sklaventum in finanzieller und psychischer Abhängigkeit gehalten wird. Immer dann, wenn Balzano an der Seite seiner Protagonistin Daniela ganz nah an das Geschehen herangeht, wenn er ihren Ekel in bestimmten Situationen, ihr Ausgeliefertsein, ihre Hilflosigkeit zeigt und auch den geradezu gewohnheitsmäßigen Rassismus, mit dem ihre wechselnden Arbeitgeber ihr begegnen, ist "Wenn ich wiederkomme" ein eindringliches Buch.
Andererseits aber ist der Roman bedauerlicherweise angefüllt mit floskelhaften Lebensweisheiten. Der Hyperrealismus, den Balzano in der Abbildung der Lebensumstände und des Bewusstseins praktiziert, führt auch immer wieder zu sprachlichen Banalitäten. Was den Autor antreibt, lässt er seine Protagonistin einmal selbst in einem Gespräch mit einer ebenfalls illegalen Kollegin formulieren:
"Sie müssten sich selbst die Hände schmutzig machen, wenn sie die Väter waschen und umziehen, die Mütter aus den Betten heben, und vielleicht würden sie nicht länger so unsichtbar sein, verborgen in den Häusern. Eingeschlossen in den Zimmern."
Es steckt großes Potential in Balzanos brisantem Stoff: Es geht um Zuneigung, die man sich nicht gestatten darf, um Schuldgefühle gegenüber der eigenen Familie wie auch gegenüber den hilflosen Schutzbefohlenen. Es geht um die Darstellung eines auf Ausbeutung basierenden, systemrelevanten Kreislaufs. Und es geht auch darum, welche Entfremdungs- und Vereinsamungsprozesse dieser Kreislauf nach sich zieht. Allein – Balzanos Figuren bleiben bedauerlicherweise über weite Strecken flach und klischeebeladen.
Dass der Roman zudem an mehreren Stellen insinuiert, dass es den Menschen in Rumänien während der Ceaușescu-Diktatur besser ergangen sei als heute, weil sie seinerzeit wenigstens Arbeit hatten, ist wahlweise perfide oder gedankenlos.
Marco Balzano: "Wenn ich wiederkomme"
aus dem Italienischen von Peter Klöss
Diogenes Verlag, Zürich. 312 Seiten, 22 Euro.
aus dem Italienischen von Peter Klöss
Diogenes Verlag, Zürich. 312 Seiten, 22 Euro.