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Marina Weisband
Datenschutz-Zensur kann nicht helfen

Der Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas zur Bekämpfung von Hass im Netz ist der Worst Case von technischen Lösungen für soziale Probleme, findet Kolumnistin Marina Weisband. Der Staat lagere seine Aufgabe der Regulierung an die sozialen Netzwerke aus und mache diese zu Privatgerichten.

Von Marina Weisband | 06.04.2017
    Die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Marina Weisband arbeitet heute als freischaffende Künstlerin und Bloggerin in einem Projekt zur politischen Bildung im Web 2.0
    Marina Weisband (Horst Galuschka)
    Es wird endlich Zeit, mal etwas gegen Hate Speech und Fake News in sozialen Netzwerken zu tun! Mit diesem Ziel hat Bundesjustizminister Heiko Maas letzten Monat einen Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vorgelegt. Dieses Gesetz ist einerseits ein schönes Anschauungsbeispiel für alles, was im Zusammenhang mit der Regulierung sozialer Netze schief läuft – andererseits auch selbst eine gefährliche Bedrohung des freien Internets.
    Der Gesetzesentwurf lässt sich in zwei wesentliche Bestandteile herunterbrechen. Der erste handelt davon, dass strafbare Inhalte von den Netzwerkbetreibern, zum Beispiel Facebook, innerhalb einer bestimmten Frist gelöscht werden müssen. Zu den umfassten strafbaren Aussagen gehören neben Hass- und Hetzkommentaren etwa auch Gewaltdarstellung und Pornografie. Facebook hätte 24 Stunden Zeit, offensichtlich strafbare Inhalte zu löschen, und 7 Tage für alle strafbaren Inhalte. Diese Fristen sind viel kürzer, als irgendein Gericht solch eine Entscheidung treffen könnte. Eigentlich müsste Facebook eine Armee von Anwälten einstellen, was unrealistisch ist.
    Stellen Sie sich vor, Sie hätten als Unternehmen die Aufgabe, bei so viel Inhalt so schnell abzuwägen, was strafbar ist. Was würden Sie tun? Im Zweifel alles löschen, was gemeldet wird. Das ist exakt, was Kritiker befürchten. Dieses Gesetz leistet einer voreilig gehorsamen Zensur Vorschub.
    Änderung des Telemediengesetz
    Der zweite Teil des Gesetzesentwurfs kam erst Ende letzten Monats dazu. Der ändert das Telemediengesetz, in dem steht, dass Internetprovider Kundendaten wie Name und Adresse z.B. für die Verfolgung von Terrorismus herausgeben müssen. Neu ist, dass auch Privatpersonen bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten ohne gerichtlichen Beschluss Zugriff auf diese Daten haben sollen. Das heißt, wenn ich anonym eine zu harsche Kritik auf Amazon hinterlasse, kann es mir passieren, dass ich abgemahnt werde. Der Rechtsanwalt Niko Härting spricht vom Ende der Anonymität im Netz.
    Der Staat lagert durch solche Gesetze seine Aufgaben an Soziale Netzwerke aus. Die werden nicht nur zu Hilfssheriffs, sondern auch zu Privatgerichten. Und das wider Willen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist gefährlich und dabei nur schlechtes Pflaster auf einem unterliegenden Problem, das dadurch nicht angegangen wird. Hass und die Verbreitung von Propaganda sind komplexe soziale Phänomene, die nur gemeinsam zwischen Staaten, Netzwerkbetreibern und Nutzern angegangen werden können. Es braucht soziale Mechanismen, wie man eine vernünftige Umgangsatmosphäre online gewährleisten kann. Zensur und Aufhebung von Datenschutz werden nicht helfen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist der Worst Case von technischen Lösungen für soziale Probleme.
    Marina Weisband, 1987 in der Ukraine geboren und seit 1994 als "Kontingentflüchtling" in Deutschland, war von 2011 bis 2012 politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Vor allem aber ist die Autorin und Diplompsychologin seit langem eine kluge Beobachterin der Medienwelt und sieht das Internet als Möglichkeit ganz neuer politischer Partizipation. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.