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Marita Lorenz: Lieber Fidel. Mein Leben, meine Liebe, mein Verrat

"Kuba, das ist eine Aneinanderreihung von Mythen und Vorurteilen, eine Mixtur aus Träumen und Projektionen. Fast jeder hat bei der Erwähnung des Wortes Kuba seinen eigenen kleinen Film im Kopf. Karibikzauber, coole Drinks und heiße Mädels, Tabak, Zucker, Rum, Fidel Castro und Che Guevara, Revolutionsromantik und real existierender fröhlicher Tropen-Trotz mit Salsa und Samba. Der Kombination der einzelnen Faktoren sind keine Grenzen gesetzt."

Volker Skierka |
    Kuba - "eine faszinierende Melange", so Arno Frank Eser in dem Buch "Buena Vista - Die Musik Kubas" von Maya Roy, das im vergangenen Jahr im Palmyra Verlag in Heidelberg erschienen ist. Musik ist in Kuba, wie Wim Wenders es formulierte, "ein Teil des Lebens, das tägliche Brot". Das musikalische Kuba hat viele Stimmen. Doch in puncto Politik, spricht Kuba seit mehr als vier Jahrzehnten mit einer Stimme - einer Stimme, die die Welt bewegte, zuweilen in Atem hielt, nicht selten überraschte und nie zu überhören war auf der großen Bühne der Weltpolitik: Fidel Castro.

    Kuba, das war einmal der westlichste Vorposten des sozialistischen Weltsystems, ein Leuchtturm in der Karibik mit gewaltiger Strahlkraft. Das ist Geschichte. Doch der Leuchtturmwärter und zugleich Inselkapitän, der das Schiff Kuba auf Kurs hält, er heißt immer noch Fidel Castro. Wenn auf einen Staatsmann der Begriff "Überlebenskünstler" zutrifft, dann auf Fidel Castro. Er hat allen Stürmen widerstanden, den weltpolitischen - und den ganz privaten.

    "Das Geheimnis um Castros Geliebte. - Marita Lorenz hat ein Problem. Sie kann keinen Kaffee servieren. Die erste Tasse hat sie gleich nach der Begrüßung aufgesetzt. Gebracht hat sie den Kaffee nicht. Wahrscheinlich, weil ihr Gast schon ins Wohnzimmer gegangen war. Drei Stunden später fiel ihr der Kaffee wieder ein und fast fordernd bat sie, doch nochmal mit in die Küche zu kommen. 'Milch, Zucker? - Hier bitte. Sie können mir dabei zusehen. Ich tue Ihnen nichts rein. Nichts außer Milch und Zucker,' meinte sie. 'Oder wollen Sie es selbst tun?' Ihre Worte klangen nicht ironisch, sondern bitterernst, als ob man nie vergessen könnte, dass sie vor mehr als dreißig Jahren nach Havanna geflogen war, um den kubanischen Staatschef Fidel Castro zu vergiften."

    "Das Geheimnis um Castros Geliebte" - ein Kapitel des Buches "Das Leben war ein Pfeifen - Kubanische Fluchten", das jetzt auch als Hörbuch in der Reihe Picus Lesereisen erschienen ist - Picus Verlag, Wien 2001. Kuba-Reportagen aus der Feder von Michael Saur und Thomas Schuler, gelesen von der Wiener Schauspielerin Birgit Doll - ein Hörvergnügen der besonderen Art. Nicht unbedingt vergnüglich ist das, was besagte Ex-Castro-Geliebte Marita Lorenz zum Besten gibt und zu Papier bringt. Volker Skierka, exzellenter Kuba-Kenner und erster deutscher Castro-Biograph, hat ihr jüngstes Opus gelesen. Marita Lorenz: Lieber Fidel. Mein Leben, meine Liebe, mein Verrat.

    Sie war jung. Sie war schön. Sie konnte zuschlagen und schießen, erschien skrupellos und zu allem fähig. Sie war Agentin bei der CIA und beim FBI und die Geliebte zweier Diktatoren: des kubanischen Máximo Líder Fidel Castro und des ehemaligen venezolanischen Diktators Marcos Pérez Jiménez. Ein attraktiver, großer und bärtiger Macho der eine, eine grausame, kleine fette Kugel der andere. Dem ersten, Castro, sollte und wollte sie schon bald im Auftrag der amerikanischen Regierung und der Mafia mit Giftpillen das Leben nehmen, dem zweiten, Pérez Jiménez, schenkte sie ein Leben, Mónica, ihr gemeinsames Kind. Marita Lorenz aus Bremen, Tochter des Kapitäns des einstigen deutschen Kreuzfahrtschiffes "Berlin" sagt in Anspielung auf den britischen Thrillerhelden James Bond: "Ich führte das Leben einer Jane Bond."

    "Wir hatten Geld wie Heu, feierten in den Clubs von Miami rauschende Partys und führten das Leben von happy bandits. Wir durften im Namen der "Nationalen Sicherheit" alles Mögliche tun: gegen Gesetze verstoßen, Waffen und Boote stehlen und - wenn es sein musste - auch Menschen töten. Das Gesetz in Florida waren wir. Ich lernte viel: Tarnung, Mordtechniken, Umgang mit Explosivstoffen, Unterwassersabotage, Waffendiebstahl, Scharfschießen."

    So steht es in Marita Lorenz' Autobiografie, aufgeschrieben in dem im List-Verlag erschienenen Buch "Lieber Fidel" und so ist es aufgezeichnet in dem gleichnamigen Fernsehfilm von Wilfried Huismann. Ihre Lebensgeschichte ist so schrill schillernd und verblüffend spannend, dass sie fast zu gut ist, um in all ihren Facetten wahr zu sein. Ein Stoff, der eine gute "Räuberpistole" abgäbe für eine von Kitsch bis Abenteuer reichende "Soap-Opera" im Fernsehen. "Viel zu wild, um wahr zu sein. Wie der Stoff, aus dem die Märchen sind", heißt es selbst im Klappentext des Buches. Es ist das zweite Buch gleichen Inhalts, das von ihr auf den Markt kommt. Das erste, unter Mithilfe eines amerikanischen Journalisten verfasst, erschien 1993 in den USA unter dem Titel "Marita" und ist flüssiger, prägnanter und spannender geschrieben. Das jetzige liest sich holperiger, wirkt aber dadurch authentischer, wobei aber auch zahlreiche Passagen fast wörtlich aus dem alten übernommen wurden. Davor schon hatte Norman Mailer ihr Abenteuer mit Castro in seinem Roman "Feinde" verarbeitet, seinem "Epos der Geheimen Mächte". Sie war 19 Jahre alt, als ihr Vater Heinrich Lorenz Ende Februar 1959 mit der "Berlin" im Hafen der kubanischen Hauptstadt Havanna vor Anker ging und Fidel Castro mit einem wilden Haufen seiner "Barbudos" ungebeten an Bord kam. Marita trat der Truppe entgegen und befahl den Männern, erst einmal ihre Waffen abzulegen. Castro verliebte sich in das exaltierte Mädchen und dieses sich in ihn. Kurz darauf ließ er sie aus New York einfliegen, und es entspann sich eine knapp neunmonatige Romanze, während der sie bei dem Revolutionsführer im einstigen "Havanna Hilton" und heutigen "Havanna Libre" lebte:

    "Er war für mich die Wildnis, die Luft und das Wasser Kubas."

    Als Marita schwanger wurde, fand die Beziehung jedoch ein jähes Ende. Die junge Frau will mit einem Getränk betäubt und an einen unbekannten Ort gebracht worden sein. Auf Befehl Fidels - wie die CIA behauptet - oder durch einen "dirty trick" der CIA - wie Marita Lorenz später selbst spekuliert - oder auf Maritas eigenen Wunsch - wie Castros früherer Chefleibwächter im Jahre 2000 in Huismanns Film erzählt - habe man eine Abtreibung vorgenommen. Indes: Als sie 22 Jahre später noch einmal nach Havanna reist und Castro gegenübertritt, präsentiert dieser ihr - oh Wunder - plötzlich den seinerzeit vermeintlich abgetriebenen Sohn Andrés, einen angehenden Arzt. Keine Abtreibung soll es damals gewesen sein, sondern eine nach einem Zusammenbruch der Frau eingeleitete Frühgeburt. Sie schreibt:

    "Als der Junge hinter ihm hereinkam, sah ich sofort, dass er eine jüngere Kopie von Fidel war: ungefähr 20 Jahre alt, schwarze gelockte Haare, weiße Haut und Fidels Nase. Seine Augen sahen hingegen aus wie meine: groß, rund und dunkel. Der Mund war auch ein bisschen wie meiner. Bist Du mein Junge?, fragte ich dann. Auf Englisch antwortete er: Yeah!"

    1959, nach dem Eingriff, hatte sie Kuba verlassen. Sie landete direkt in den Armen der CIA. Die zwielichtigen Gefährten, die sie fortan umgaben und mit denen sie, wie sie es nannte, Räuber und Gendarm spielte, wurden später immer wieder in Verbindung gebracht mit Mordanschlägen gegen Castro, der Invasion in der Schweinebucht, dem Mord an US-Präsident John F. Kennedy und dem vom Weißen Haus unter dem republikanischen Präsidenten Richard Nixon gesteuerten Einbruch in das Wahlkampfhauptquartier der Demokraten im Washingtoner Watergate-Gebäude.

    Frank Sturgis, ein fanatischer Castro-Gegner mit Panzerknackerprofil und Schlangenaugen war Marita Lorenz' Führungsagent: "Aus geheimdienstlicher Sicht war sie Gold wert. Ich züchtete sie heran, bis sie bereit war, Castro zu vergiften", erklärte Sturgis viele Jahre später in einem Interview. CIA, Mafia und Exilkubaner schickten Marita Lorenz schließlich mit zwei Pillen eines schwer nachweisbaren Nervengiftes zurück in Fidels Suite im "Havanna Libre". Nicht nur Sturgis bestätigte dies. Bob Maheu, der frühere Verbindungsmann der CIA zur Mafia erzählte im Huismann-Film detailliert von der Planung der Operation.

    Doch die Agentin versagte. Laut ihren Erinnerungen will sie es sich anders überlegt und die in einer Cremedose versteckten Pillen ins Bidet geworfen und fortgespült haben. Castro habe offenbar gewusst, weshalb sie gekommen war, ihr sogar noch seinen Revolver zugeworfen und sie aufgefordert, ihn zu erschießen, dann jedoch bemerkt, niemand könne ihn töten.

    "Fidel trank seine Cola und machte mir einen café con leche. Nachdem er sein Glas abgestellt hatte, klopfte er auf das Bett. Ich ging zum Fußende, griff nach seinen Stiefeln und zog sie ihm aus. Immer noch trug er verschiedene Socken, eine braune und eine schwarze. Irgendwann lagen wir nebeneinander und umarmten uns. Als wir uns kurz darauf liebten, fiel mir ein, dass ich ja eigentlich hier war, um ihn zu töten. Welch ein Irrsinn!"

    Castro selbst hat sich zu der Pillengeschichte bisher nie geäußert. Attentatspläne gegen ihn gehörten zeit seines Lebens zu seinem Alltag. 637 davon zählte sein Geheimdienst bis Ende der neunziger Jahre. Ob aber das, was sich in seiner Suite damals im Herbst 1960 abgespielt haben soll, wahr ist oder nur Seemannsgarn, wissen allein er und Marita. Sie war ein Frauentyp von dem Kaliber, wie er es bevorzugte: schön, selbstbewusst, emotional, kämpferisch, abenteuerlustig und stets bereit zum Risikio und zur Grenzerfahrung, notfalls alles auf eine Karte setzend. Mit anderen Worten: ein Spiegelbild seiner selbst. "Marita liebte das Spiel," zitiert Huismann ihren Bruder Joe. "Sie hat das Schauspielertalent von unserer Mutter geerbt. Es war schon immer wichtig, dass sich alles um sie dreht." Noch heute, mit über 60, hat sie etwas sehr Burschikoses. Ihre Äußerungen vor der Kamera spiegeln dies, und es zieht sich durch ihr Erinnerungsbuch: "Ich genoss es, im Training böse und hart zu sein." Man habe sie deshalb "die kalte Deutsche" genannt.

    Als kleines Kind lernte sie das Überleben im deutschen Konzentrationslager Bergen-Belsen; auch ihre Mutter war dort inhaftiert, erzählt sie. Nach dem Krieg war sie, sagt sie, in Bremerhaven "ein kleines böses Mädchen mit einer eigenen Armee" und als solches führte es als Anführerin einer Kinderbande "seinen eigenen Krieg" und organisierte "regelrechte Raubzüge": Mit sieben wurde sie von einem amerikanischen Offizier, dem Vater einer Schulkameradin, vergewaltigt.

    "Ich habe seitdem nie wieder einem Menschen vertraut, außer meinen Eltern. Ich bin ein kleines Mädchen geblieben und habe immer Schutz bei starken Männern gesucht."

    Und sie hatte viele davon. Nach Castro und Pérez Jímenez waren es immer zwielichtige Gestalten aus der Welt der Geheimdienste, der Polizei und der Mafia. Die drei, die sie heiratete, waren Gangster und Ganoven. "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm", lautet ein Sprichwort. Der Vater hatte, so kam nach dem Krieg heraus, für die deutsche Abwehr gearbeitet, die Mutter, eine ehemalige Broadway-Tänzerin nach '45 für amerikanische Geheimdienste, überwiegend im Ausland. Die Tochter, schön wie die Mutter, geriet nach den Eltern.

    In den siebziger Jahren sagt Marita Lorenz vor einem Senatsausschuss aus, der illegale Operationen der CIA und ihre mögliche Verwicklung in politische Morde untersuchen soll. Sie hat Angst. Johnny Rosselly und Sam Giancana, die als Zeugen vorgeladen sind, werden umgebracht, und sie glaubt, dass Frank Sturgis sie zum Schweigen bringen sollte. Bald darauf lernen auch Maritas Kinder das Geheimdienstmilieu am eigenen Leibe kennen, mit allem was dazugehört: eigener Spitzeltätigkeit, Drohungen, Überfällen, Schießereien, Attentaten und bizarren Verfolgungsgeschichten.

    "Praktisch gesehen hätte ich seit langem tot sein müssen. Aber ich war und bin immer einen Schritt schneller, weil ich meine Gegner kenne und weiß, wie sie vorgehen. In Bergen-Belsen musste ich lernen, wie man weiteratmet, auch wenn einem der Kopf unter Wasser gedrückt wird."

    Doch diese Zeiten des Räuber-und-Gendarm-Spiels sind vorbei. "Jane Bond" ist seit langem schon wieder Marita Lorenz. Sie hofft, auf ihre alten Tage nach Bremen zurückkehren zu können. Dort und anderswo in Deutschland hofierten die Stützen der Politik die einstige Agentin. Talkshows feierten sie naiv als Heldin. Für was? Dafür, dass sie offen darüber redet, Verbrechen, Staatsverbrechen begangen, sogar gemordet zu haben für die "Nationale Sicherheit", ohne jemals dafür nach den Buchstaben des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen worden zu sein?

    In die Jahre gekommen und von einem Hüftleiden geplagt, lebt sie heute in einem Appartement im New Yorker Stadtteil Queens das biedere Dasein eines korpulent gewordenen Hausmütterchens, sich nach dem letzten Wiedersehen mit dem ewigen Revolutionär verzehrend. Für den, so weiß auch sie inzwischen, war sie eine von vielen. Schöne, attraktive, betörende und kluge Frauen gehörten ebenso zu seiner Revolution wie der zum Mythos aufgestiegene Che Guevara und sein fast ein halbes Jahrhundert währender Streit mit den Amerikanern. Marita Lorenz Anteil an der privaten Vergangenheit von Fidel Castro ist mittlerweile in einer Seemannskiste verstaut. Sie sagt:

    "Ich war ein gebrochener Mensch, alleine, gepeinigt von Schmerzen und oft auch hungrig. So erbärmlich sollte also mein Abenteurerleben enden. Ich dachte an Selbstmord, eine Pistole war mir noch geblieben."

    Aber wenn die Agentin im Ruhestand die Truhe mit den Fotos, Dokumenten und der olivgrünen Militärmütze des Comandante dann doch gelegentlich für Besucher öffnet, dann wird für sie und ihre Zuhörer alles wieder lebendig und alles ist wie damals - so wie in dem populären kubanischen Bolero "Fiebre de tí" - "Fieber nach Dir", in dem eine "verhängnisvolle Liebe" besungen wird, welche die "Sinne betört" und den anderen "für immer begehren" lässt:

    Volker Skierka über Marita Lorenz: Lieber Fidel. Mein Leben, meine Liebe, mein Verrat, List Verlag, München 2001.