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Masken aus Neuguinea und der Bollenhut des Schwarzwaldmädels

Völkerkundemuseen gelten oft als verstaubt. Das neue Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln soll das ändern, es schlägt eine Brücke zwischen den Kulturen, zwischen Tradition und Moderne, Maske und neuen Medien.

Von Barbara Weber |
    Am kommenden Wochenende wird es - gemeinsam mit dem Museum Schnütgen, dass mittelalterliche Kunst zeigt - im neu errichteten Kulturquartier eröffnet.

    "Dieser Bau hat eine ganz klare architektonische Struktur",

    sagt Prof.Klaus Schneider, Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums:

    "Der Bau ist aus drei Riegeln konzipiert: einen schmalen, einen doppelt so breiten in der Mitte und einen wiederum doppelt so breiten daneben als Verwaltungs- und Ausstellungsbereiche. Die Wettbewerbssituation 1995 verlangt von den Entwürfen dieses Objekt, einen Reisspeicher aus Indonesien zu berücksichtigen.""

    Elf Meter hoch auf Stelzen erhebt sich der hölzerne Speicher in dem Foyer, das die Ausmaße einer Kathedrale hat.

    "Hier war die Grundidee, dass man in diesen mittleren Riegel quasi wie ein Tortenstück ausgeschnitten, diesen Reisspeicher hineingeschoben hat. Dieser Reisspeicher hat als eine Idee, die er verkörpert, dass er pars pro toto für ganz, ganz viele Dinge steht, die ein ethnologisches Museum behandelt."

    Die stellvertretende Direktorin, Dr.Jutta Engelhard, ergänzt:

    "Der Reisspeicher kommt aus Sudawesi, das ist eine Insel in Indonesien, von dem Volk der Turaja, die dort leben und mit diesen Reisspeichern heute noch genauso leben wie früher. Die werden also heute noch gebaut, diese Art, wie Sie es hier sehen."

    Es ist ein traditionelles Gebäude, ein Pfahlbau, der ohne einen Nagel konstruiert ist, im Stecksystem. Der Holzkorpus besteht aus über 250 Teilen, und das besondere daran ist die Form dieses Gebäudes und die wunderbare Dachdeckung aus Bambusmaterial.

    Die zahlreichen Schnitzereien und Muster erzählen jeweils eine Geschichte, die Geschichte einer Großfamilie.

    "In der Mitte des Gebäudes befindet sich der Reis, aber eigentlich ist es ein Prestigebau. Es ist ein soziales Zeichen wie bei uns der Mercedes, sag' ich mal, oder die Villa, mit dem die Großfamilien der Adelsschicht hier repräsentieren mit diesen Reisspeichern, die zu den Wohnhäusern gehören, den Reichtum und den Status, den sie haben."

    "Dieser Reisspeicher steht pars pro toto für das gesamte Konzept unseres Hauses. Wir haben gesagt, wir möchten keine Regionalausstellung mehr machen, sondern wir machen eine Themenausstellung; und die Themen, die wir hier zeigen, das sind Themen, die Menschen überall auf der Welt interessieren und bewegen, die damit umgehen müssen, zum Beispiel mit Tod- und Jenseits-Vorstellungen, wie lebt man zusammen in den Generationen, mit den Geschlechtern, wie stellt man sich als Individuum in der Gemeinschaft dar. Das sind solche allgemeinen Fragen, die wir hier verfolgen in einem Themenparcours mit zwölf Themen; und alle diese Themen lassen sich an diesem Reisspeicher ablesen. Also nur als Beispiel: Die Leiche eines Verstorbenen, und der Tod spielt eine ganz, ganz große Rolle in Tana Toraja, die wird auf der Plattform dieses Reisspeichers deponiert, bevor die Beerdigungszeremonie anfängt, damit sich die Menschen des Dorfes und auch der weiteren Umgebung verabschieden können."

    Um den Reisspeicher haben die Wissenschaftler eine Reling angelegt mit einem Schiebemonitor. So kann jeder, der das Foyer betritt, die Themen anschauen, die mit dem Reisspeicher verknüpft sind und ihre Entsprechung im Themenparcours.

    "Wir nennen das auch Themenparcours, weil es eigentlich eine lose Abfolge von Geschichten ist. Wir haben zwölf Themen, die wir darstellen, und die in losem Zusammenhang miteinander stehen, intendiert ist der Parcours als solcher als Erzählstrang, und infolgedessen wird er durch einen Prolog eingeleitet ..."

    "... und der Prolog dient eigentlich dazu, den Besucher damit vertraut zu machen, dass wir einen Themenparcours haben und keine Regionalausstellung. Da gibt es eine Großleinwand, auf der Menschen aus anderen Kulturen sich in ihren Sprachen und mit ihren Gesten begrüßen; und damit begrüßen wir natürlich auch die Besucher."

    Themen, die die Menschen bewegen, präsentieren die Ausstellungsmacher: Religion, Rituale, das Zusammenleben der Generationen und der Geschlechter. Wie versuchen sich Individuen abzusetzen durch Kleidung oder Schmuck oder Gestaltung ihres Körpers? Welche Bedeutung haben sogenannte rites de passage, also Übergangsriten, wie bei uns die Kommunion oder eine Beerdigung in Mexiko? Wie wird Status präsentiert? Das geschieht nicht nur durch Darstellung des Exotischen. Die Besucher sollen dort abgeholt werden, wo sie stehen.

    "Und deswegen haben wir auch den Ansatz gewählt, dass unsere eigene Kultur immer miteinbezogen wird, natürlich nicht mit Exponaten, das hat man auch zuhause, das braucht man hier nicht ausstellen; aber wir haben sehr viel mit hands-on gearbeitet, mit Sachen, die der Besucher explorieren kann, wo er einfach sich mit beschäftigen kann, aktiv auseinandersetzen kann; und wir haben einen großen Ansatz auch über die Medien gewählt, denn über die Medien, über Filme, Fotos und Animationen lassen sich natürlich sehr gut Verbindungen in die Gegenwart darstellen, denn unser Bestand, den wir hier haben, der ist ja vornehmlich historisch. Die Völkerkundemuseen haben alle ein koloniales Erbe. Die meisten Exponate, die wir heute haben, sind in der Kolonialzeit und in der Folge der Kolonialzeit zu uns gelangt. Und die Frage ist doch: Was kann man mit solchen Objekten heute aussagen."

    Eine Menge, wie die Besucher schnell feststellen werden. Die eigene Geschichte rückt in das Blickfeld. Bei aller Exotik lassen sich Parallelen ziehen zwischen den Kulturen: Der Umgang mit Trauer, mit Freude, mit Macht ist ähnlich, manchmal auch befremdlich. Natürlich sehen die Besucher Masken aus Afrika und Ozeanien, ein Männerhaus aus Neuguinea, ein Totenboot aus Neuseeland und einen dekonstruierten Jamsspeicher - aber beim Thema Trachten eben auch die des Schwarzwaldmädels.

    "Der Epilog, der verabschiedet dann. Es treten dieselben Protagonisten wieder auf und verabschieden sich, dieses Mal nicht mit ihren eigenen Heimatsprachen sondern auf deutsch oder sogar kölsch. Und dann sieht man, dass diese Leute alle aus Köln kommen, weil wir natürlich auch hier eine sehr bunte Gesellschaft in Köln haben. Es gibt ganz viele Kulturen, die hier zur Bereicherung des Stadtbildes beitragen."

    Das Konzept geht auf. Anders als das musée du quai Branly in Paris, das die ethnologischen Objekte zwar imposant präsentiert aber aus dem Zusammenhang reißt, anders als traditionell aufgestellte Völkerkundemuseen, die die unterschiedlichen Regionen abarbeiten, präsentiert sich hier ein neuer Ansatz, der vielleicht den ein oder anderen Besucher anlockt, der sonst wenig Interesse für die Völkerkunde mitbringt.

    "Wir möchten einfach dieses verstaubte Image, was Völkerkundemuseen immer noch haben, damit endgültig ablegen. Wir möchten zeigen, dass wir sehr modern sind und sehr viele Aussagen über die Jetztzeit treffen können, die jeden angehen, und wir möchten vor allen Dingen auch Vorurteile abbauen und dafür eintreten, dass alle Kulturen dieser Welt ein gleichberechtigtes Dasein haben."

    Katalog:
    Hrsg. Jutta Engelhard, Klaus Schneider, Der Mensch in seinen Welten. Das neue Rautenstrauch-Joest-Museum - Kulturen der Welt", 29.50 Euro, ISBN: 978-3-86832-035-0.