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Maßgeschneiderter Anzug für Prothesen

Chemie. - Kunststoffe sind überaus vielseitige Materialien. Die Alleskönner haben sich dementsprechend immer mehr Einsatzgebiete erschlossen. Auch als Werkstoffe in der Medizin sind sie von großem Interesse. Polymerchemiker an der TU Chemnitz haben kürzlich einen neuen Spezialkunststoff für dieses Gebiet entwickelt.

26.08.2002
    Von Uta Bilow

    Die Diplom-Chemikerin Isabelle Roth nimmt einen Zwei-Liter-Behälter vom Laborregal. Darin schwappt eine farblose Flüssigkeit herum.

    In dem Behälter ist Polyvinylamin. Das ist eine wässrige Lösung. Polyvinylamin löst sich nur in Wasser.

    Kommt Polyvinylamin mit Wasser in Kontakt, löst es sich wie Kochsalz darin auf - ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Polymeren. Dabei besteht Polyvinylamin, wie alle Kunststoffe, aus langen Ketten, in denen sich Tausende gleichartiger Vinylamin-Bausteine aneinandergehängt haben. Doch durch die Amino-Gruppen kann es sich in Wasser lösen, so dass die einzelnen Molekülketten in der Lösung umherschwimmen. Polyvinylamin kommt unscheinbar daher. Aber seine Synthese ist aufwendig. Vielleicht hat das die Forscher lange davon abgehalten, mit Polyvinylamin zu experimentieren. Doch vor einiger Zeit haben Wissenschaftler der BASF entdeckt, dass das Polymer sich exzellent als Papierzusatz eignet. Ein geringer Gehalt an Poylvinylamin erhöht die Reißfestigkeit von nassem Papier beträchtlich. Nun haben Polymer-Chemiker um Professor Stefan Stange in Chemnitz ein Verfahren entwickelt, wie man aus diesem Kunststoff hauchdünnen Beschichtungen herstellt. Damit könnte Polyvinylamin zum medizinischen Werkstoff aufsteigen.

    Polyvinylamin ist biokompatibel, somit ist es auch denkbar, wenn man Polyvinylamin als Schicht auf feste Oberflächen bringt, dass diese dann in den Körper eingebaut werden könnten, ohne dass jetzt negative Reaktionen oder Abstoßungsreaktionen von zum Beispiel Hüftgelenken oder ähnlichen auftreten könnten

    Prothesen wie künstliche Hüftgelenke bestehen aus Metallen und bleiben für den Organismus stets Fremdkörper - es kommt zu Entzündungen und Abstoßungsreaktionen. Daher müssen sie durch entsprechende Beschichtungen bioverträglich gestaltet werden. Polyvinylamin ist ein biokompatibler Kunststoff. Und wie die Chemnitzer Forscher gezeigt haben, lässt er sich auf anderen Oberflächen so fest verankern, dass die Beschichtung selbst in Wasser nicht mehr abgeht. Als "Klebstoff" wirken die positiv geladenen Amino-Gruppen an den Molekülketten, die von negativ geladenen Bereiche auf der Prothesen-Oberfläche angezogen werden.

    Das ist nur adsorbiert. Und hält aber so gut, dass es auch, wenn es in wässrige Lösungen kommt, nicht mehr ablöst - es bleibt drauf.

    Polyvinylamin hat noch weitere Vorzüge: Im Gegensatz zu vielen anderen Kunststoffen kann man das Polymer nachträglich chemisch verändern und damit seine Eigenschaften modifizieren. Isabelle Roth führt gerade einen solchen Versuch durch. Sie skizziert die Struktur des Polyvinylamins auf einem Blatt Papier.

    Also ich hab eine Polymerhauptkette, einen langen Strang von CH2-Gruppierungen, und in der Seitenkette immer Aminogruppen, NH2-Gruppen, und dort, an diese NH2-Gruppen hänge ich dann einen Aromaten dran, also noch eine Gruppierung dran.

    An den Ketten des Polyvinylamins hängen nun ringförmige Moleküle, sogenannte Aromaten - so wie Glühbirnen an einer Lichterkette. Und diese Aromaten machen den farblosen Kunststoff bunt. In ersten Versuchen haben die Chemnitzer Forscher feinkörniges Kieselgel mit dem neuartigen Polymer beschichtet.

    Kieselgel ist ja Sand, Siliziumdioxid, ist weiß, und wenn dann diese funktionalisierten Polyvinylamin drauf sind, sind die dann farbig, gelb bis orange.

    Der bunte Sand ist nicht nur hübsch anzuschauen. Kieselgel wird in der Chemie immer dann gebraucht, wenn ein Gemisch verschiedener Substanzen getrennt werden soll. Das kann etwa nach einer Reaktion sein, bei der mehrere Produkte gleichzeitig entstanden sind. Dann nimmt man ein Rohr, füllt es mit Kieselgel und einem geeigneten Lösemittel, und gibt das Gemisch oben auf. Unten aus dem Rohr tropfen einige Zeit später die einzelnen Komponenten des Gemischs - fein säuberlich voneinander getrennt, da sie auf ihrem Weg durch das Rohr unterschiedlich lange an dem Kieselgel haften bleiben. Für viele Trennaufgaben braucht man Kieselgel, dessen Oberfläche verändert ist - wie die beschichteten Kieselgele von Isabelle Roth. Die herkömmlichen Alternativen sind teuer und müssen in organischen Lösemitteln hergestellt werden. Hier liegen die Vorzüge von wasserlöslichem Polyvinylamin auf der Hand.

    Es ist halt billig, Wasser, relativ billig im Vergleich zu anderen Lösungsmitteln, und halt auch für die Umwelt besser, wenn ich in wässrigen Medien arbeiten kann.