Jeder, der schon mal eine längere Zeit in den neuen Bundesländern gelebt hat, kennt es. Die Freunde treffen sich, und Du, ,als einziger nicht im Osten geborener, partizipierst an einem Gespräch: über Pittiplatsch oder andere Wahrzeichen der Unterhaltungskultur der ehemaligen DDR. Kindheitserinnerungen werden enthusiastisch ausgetauscht, schier stundenlang. Schön anzusehen, schön anzuhören, aber unmöglich mitzumachen, wenn man keine Ahnung hat. Nach einigen Wochen ist zumindest der Pioniergruß ("Für Frieden und Sozialismus allzeit bereit) soweit verinnerlicht, dass sich eine gewisse Zugehörigkeit einstellt. Genau mit dem Problem des Nichtverstehens, hauptsächlich ostdeutscher Begriffe, beschäftigt sich Matthias Biskupek in seinem Buch: Was heißt eigentlich DDR?
Der Chefredakteur einer Tageszeitung kannte mich als Autor und sagte: "Es gibt so viele verschwindende Begriffe im Deutschen und speziell aus dieser DDR-Sprache. Darüber könnte man doch mal eine Kolumne machen." Die hab ich dann gemacht die hieß aber: Böhmische Dörfer in Deutsch und Geschichte dort. Und als Buch heißt es nun: Was heißt eigentlich DDR? Weil von den 50 Begriffen, die ich da drinnen erkläre, ungefähr 35 sind typische DDR Begriffe, so etwas wie eben Trasse oder delikat oder Genex. Aber es sind auch ein paar Begriffe drinnen, beispielsweise knorke, das hat ja nun nix mit DDR zu tun, da erkläre ich einfach. So genannte, ja, wie nennt man diese Wörter, die immer wieder eine bestimmte Zeitsaison haben und dann verschwinden, so wie jetzt geil. Früher war das ciao oder dufte oder super, das war eben auch mal knorke. Und über solche Begriffe lasse ich mich da aus.
Matthias Biskupek, in Sachsen aufgewachsen, erklärt in diesem Buch aber nicht lediglich Wörter oder gibt Definitionen. Er schildert vielmehr die Hintergründe und geschichtlichen Begebenheiten, die mit den Worten zusammen hängen. Er selbst versteht sein Werk als Unterhaltung, die sich die Begriffe zunutze macht, um Geschichte zu erzählen. Sozusagen, eine: "Sofies Welt", nicht für Philosophie, sondern für ostdeutsche Alltagsgeschichte.
Humoristische Erzählchen sind das. Ich erzähle ja Geschichten anhand von Wörtern. Die Wörter sind mir Anlass, um Geschichten über mich, über meine Zeit und über unsere merkwürdige Welt, in der wir leben, zu erzählen. Die Wörter sind immer nur der Anlass. Es ist eine freundliche Mitteilung. Die Dinger sind ja klar das Feuilleton, auf Deutsch nennt man ja so was.
Aber nicht nur freundlich, sondern auch kritisch beleuchtet der Autor das Gewesene. Die Bürger des Landes DDR konnten nicht immer alles offen ausdrücken. Trotzdem traute man sich durchaus, der Obrigkeit spöttische Bezeichnungen anzuheften.
In China hießen dicke Menschen, die nicht richtig arbeiten, aber wichtig tun, Bonzen. So nannte das spottende Volk die Wichtigtuer auch in der DDR Bonzen. Die Züge, die morgens nach Berlin fuhren und abends, also ca. halb vier, wenn die Berliner Büros schlossen, wieder zurück, waren folglich Bonzenschleudern. Die Bonzenschleudern hatten klangvolle Namen, zum Beispiel "Rennsteig", wenn sie von den grünen Hügeln Thüringens herabkamen, oder "Bördeland", wenn sie in Magdeburg begannen. "Elbflorenz" hieß die Dresdner Bonzenschleuder und "Petermännchen" die Schweriner. Die schönen Namen, die Onkel Mehdorn und seine Vordenker den ICs und ICEs gaben, hatten also auch ihre östlichen Vorgänger.
Der Blick in den Westen war in der Ostdeutschland allgegenwärtig. So wenig die Menschen in der Bundesrepublik über die DDR wussten, so viel wussten die DDR-Bürger über den Westen. Unzählige Bücher besprechen zum Beispiel die Beschaffung eines Statussymbols der westlichen Welt, des Beinkleides der Cowboys. Die Jeans. Ja, die eine, von Levi Strauss. Als Synonym für Freiheit, Verwegenheit und Westen. Da es aber nicht für jeden die Möglichkeit gab, eine Levi`s zu bekommen, musste sich das Improvisationstalent, womit der Ostbürger auch heute noch im hohen Maße ausgestattet zu sein scheint, erneut unter Beweis stellen. Biskupek schreibt über die Beschaffung, die eine Familienunternehmung war:
Irgendwann in den sechziger Jahren gab es ein von hoher sozialistischer Stelle herausgegebenes "Jugendkommuniqué". In dessen Befolgung wurden in der DDR spezielle Läden für Jugendmode eingerichtet. Jumo-Läden waren oft dicht belagert; davor bildeten sich jene geordneten Menschenansammlungen, die als "Schlange" Markenzeichen des Ostblocks von Tschernjachowsk bis Wernigerode wurden. Noch Mitte der achtziger Jahre zog sich, nach Lieferung einer Partie echter Levi`s, quer über den Marktplatz einer ostdeutschen Kleinstadt eine Bürger-Reihe. Es harrten getreulich, Großmutter, Muhme, Dagmar und Kind Rücken an Bauch. Dies galt keineswegs als ungenehmigte Demonstration und wurde folglich nicht aufgelöst. Doch normalerweise wurden in der Jumo eben tiffige Jumo-Lappen verkauft. "Wisent" hieß die einheimische Jeans-Marke, die lappig um Beine und Hüften schlackerte. Am besten, man befestigte sie sich mit Stricken am Leib. Auch andere Wildwest-Tiere mussten als Tarnbezeichnung sozialistischer Beinkleider herhalten: "Bison" oder "Mustang". In den achtziger Jahren hatten sich "Boxer" an die Spitze der im Lande produzierten Marken gesetzt. Die standen nur noch zwei Klassen unter den Levi`s, eine Marke übrigens, die wir damals Lehwiss aussprachen, während man heute Liehweiss sagt. Denn wenn sich schon die Bekleidung der unteren Gliedmaßen nicht ändert, so näselt sich doch die Aussprache immer mehr dem amerikanisierten Original an. Von Hause aus hieß der Hosenproduzent allerdings Levi Strauss, einst Bürger Gubens, und nicht Liehwei Stress oder so.
Biskupek schildert die Lebensweise in der ehemaligen DDR, spricht über Probleme und auch Freuden, die damit verbunden waren. Dabei vermeidet er romantische Sichtweisen und setzt sich kritisch mit dem Regime auseinander, was dem Buch, weil oft auch in derber Sprache, großen Unterhaltungswert verleiht. Dieser wird durch die förmlich aus den Worten springende Ironie noch beträchtlich erhöht. Dass eben gerade Ironie in ganz Deutschland lebensnotwendig ist, zeigt das Dilemma der Namensveränderungen bei Speisen, Straßen und Orten.
Speisen und ihre Namen sind ein Stück Kulturgeschichte und manchmal auch politisch-ideologische Erziehung. Zur Erklärung zitiere ich einen literarischen Text. Er teilt den Speisezettel der Einzelentscheider - das sind jene Juristen, die über Wohl und Wehe von Ausländern und Asylanten entscheiden - aus einer amtlichen, heutigen, bundesdeutschen Kantine mit. "Montags Serbisches Reisfleisch, dienstags Schlesisches Himmelreich, mittwochs Balkaneintopf, donnerstags für Süßmäuler Mohrenköpfe oder Kameruner, freitags Zigeunerbraten mit Teufelssoße. Doch es schmeckt alles, darüber sind sich deutsche Einzelentscheider einig im Vaterland; es schmeckt alles wie tote Negeroma.
Politische Korrektheit gab es auch schon, als der Begriff in weiten Teilen Deutschlands, vor allem im Osten, gänzlich unbekannt war. In Hermann Kants Roman "Die Aula" wird von einer Manifestation in Greifswald berichtet, da ideologisch gefestigte Studenten mit einem markigen Spruch gegen den Namen Pommernplatz demonstrieren, also eilfertig um denselben herumrennen. "Pommernplatz ist abgebrannt, wann wird der Platz hier umbenannt." Nach dem Nach dem Zweiten Weltkrieg nämlich beeilten sich die vorauseilend Gehorsamen, allüberall Erinnerungen an einstige deutsche Ostgebiete zu tilgen. Straßen, Plätze, ganze Siedlungen und Städte mussten mit ihren Namen herhalten: Aus Fürstenberg wurde Stalinstadt; ein unschuldiges brandenburgisches Dorf hieß Marxwalde - aber auch zahlreiche Speisen büßten die Kriegsschuld der Deutschen. So hießen denn jene bleichen, in einer mehlig-hellen Kapernsoße zubereiteten Königsberger Klopse offiziell nurmehr Kochklopse. Z "Kaliningrader Klopsen" als korrekte Bezeichnung mochte man sich nicht entschließen - das Volk hätte die Lächerlichkeit gar zu heftig empfunden.
Der Autor verzichtet auf komplizierte Sachverhalte und unverständliche Rezitationen. Genau das würde auch den Charme des Buches zerstören. "Was heißt eigentlich DDR?" ist alles in allem ein Buch für jeden, der sich ein wenig für Sprache, Sprechende und deren Geschichte interessiert, egal, ob er im Ost- oder Westteil Deutschlands geboren ist.
Karin Maier über Matthias Biskupek: Was heißt eigentlich 'DDR’? Böhmische Dörfer in Deutsch und Geschichte. Das Buch kommt aus dem Berliner Eulenspiegel Verlag, umfasst 159 Seiten und kostet 9 Euro 90.