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Matthias Uecker: Anti-Fernsehen? Alexander Kluges Fernsehproduktionen

Fernsehen gilt vielen Intellektuellen als zweifelhafte Sache, oberflächlich, am Massengeschmack orientiert, manipulativ, eher verblödend als bildend. Es schien daher ein wenig verblüffend, dass ein unabhängiger Filmemacher und Öffentlichkeitstheoretiker wie Alexander Kluge seinen Platz in diesem Medium suchte. Er fand dank der Lizenzregeln ausgerechnet in Privatsendern eine Nische, die es ihm ermöglichte zu zeigen, dass Fernsehen auch ganz anders sein kann. Nun ist eine Studie über Kluges AntiFernsehen erschienen. Barbara Eisenmann bespricht das Buch von Matthias Uecker.

Barbara Eisenmann |
    Seit über zehn Jahren sind Alexander Kluges Sendungen nun schon fester Bestandteil des Nachtprogramms verschiedener kommerzieller Fernsehsender. Seine Sendeplätze haben sich sogar vervielfältigen können, nicht nur auf RTL und SAT 1, auch auf Vox wird unter dem DCTP-Logo gesendet, das für Development Company for Television Programs steht, eine Firma, deren Hauptgesellschafter Alexander Kluge ist. Über das Publikum seiner Sendungen weiß man nur wenig - gesichert ist allenfalls, dass es quantitativ nicht ins Gewicht fällt, also schlechte ratings, schlechte Einschaltquoten verzeichnet, weshalb den Privatsendern die von ihnen als "Quotenkiller" und "Intellektuellenfernsehen" geschmähten Programme auch ein arger Dorn im Auge sind. Und weil sie sie in der Folge von geschickt durch Kluge eingefädelten Verträgen auch so leicht nicht mehr los werden, bleibt ihnen nur, sie immer weiter in die nachtschlafende Zeit hineinzuschieben.

    Die Allgegenwärtigkeit seiner Produktionen geht Hand in Hand mit der fast vollständigen Abwesenheit ihrer öffentlichen Verarbeitung,

    konstatiert Matthias Uecker in seiner Untersuchung "Anti-Fernsehen? Alexander Kluges Fernsehproduktionen", in der er wissenschaftlich fundiert Kluges Weg vom Kino ins Fernsehen in der Auseinandersetzung mit Kluges eigenen programmatischen, theoretischen und künstlerischen Konzepten nachzeichnet und dabei eine "dritte Position" zu gewinnen versucht, zwischen den Anwürfen einerseits, Kluge habe mit seiner Fernseharbeit einen Bruch vollzogen und das ideologiekritische Programm der Etablierung einer alternativen Öffentlichkeit verraten und auf der anderen Seite Kluges eigener Argumentation, in der all seine Arbeiten in Theorie, Literatur, Film und eben Fernsehen ein kohärentes, aber auch kontinuierliches Ganzes bilden.

    Ueckers empathische Nähe zu Kluge ist dabei allerdings immer zu spüren. In drei große Kapitel unter den eingängigen Überschriften "Privat-Fernsehen", "Anti-Fernsehen", "Autoren-Fernsehen" gegliedert, bahnt Uecker sich trotzdem gründlich und Schritt für Schritt seinen Weg durch das Kluge-Projekt, das er immer wieder mit dem bei Kluge zentralen Begriff der Öffentlichkeit konfrontiert.

    Alexander Kluge bildete bereits in den 70er Jahren mit dem Soziologen Oskar Negt eine sporadisch theorieproduzierende Einheit. Ihm ging es damals wie vielen anderen auch um die Bestimmung des Begriffs Öffentlichkeit. In ihrem gemeinsamen Buch 'Öffentlichkeit und Erfahrung' war das ein Raum, in dem gesellschaftliche Erfahrungen, zumal ihre verdrängte Dimension bearbeitbar wären, ein Ort also, an dem die Gesellschaft sich selbst verstehen lernte. Kluge verharrte nicht lange in einer kulturpessimistischen Diskussion, die den Film als authentische Öffentlichkeit dem Fernsehen als lediglich simulierter Öffentlichkeit gegenüberstellte. Er hat sein gesellschaftspolitisches Vorhaben theoretisch und praktisch und ohne argumentative Differenziertheit einzubüßen, rasch auf die neuen massenmedialen Verhältnisse umgestellt und bald schon den Einstieg in das seit Mitte der 80er Jahre existierende Privatfernsehen gefunden. Nun also galt es, dem Fernsehen mit seinen eigenen Mitteln zu begegnen, um dort einen öffentlichen Raum für in Kluge/Negt Terminologie sogenannte 'eigensinnige Gegenprodukte' und eine ebensolche Rezeption zu schaffen. Über sein Fernsehen sagt Kluge selbst:

    "Wer schon weiß, wie Fernsehen geht und akademisch abgeschlossen ist, der sagt, das ist kein Fernsehen."

    Uecker analysiert Kluges Magazinsendungen im Vergleich zum gängigen Kulturmagazin und kommt dabei zu dem Schluss, dass Kluge zwar das Genre als Oberflächenstruktur benutze, es dann jedoch ganz für seine eigenen Zwecke einsetze. Am Ende bleibt vom herkömmlichen Magazin nicht viel mehr als die regelmäßige Ausstrahlung, eine streng formale Einbettung in immer denselben Vor- und Abspann, ein allerdings weit zu fassender Bezug auf kulturelle Themen und das Interview als bekannte Handlungsform. Bei Kluge kennt das Magazin zwei Formen: ein bloße Frage-Antwort-Sequenzen transzendierendes Interview, das Uecker zu Recht als eigene Kunstform diskutiert, gemischt mit Collagen, sowie die reine Bild- und Tonmontage. Insbesondere die Montage-Programme haben dazu geführt, dass Kluges Sendungen in einem negativen Sinne als Anti-Fernsehen wahrgenommen werden: beim Zuschauer könne ein solches Programm nur Unverständnis auslösen.

    Kluge montiert seine zumeist sekundären Bild- und Tonmaterialien in atemberaubender Geschwindigkeit, ohne sie in erzählende oder gar erläuternde Kontexte zu stellen. Er folgt dem Fluß der freien Assoziation und will gerade durch Brüche und Lücken hindurch unerwartete und erhellende Zusammenhänge herstellen. Das verlangt vom Zuschauer gleichschwebende Aufmerksamkeit, der in seiner eigenen Subjektivität so überhaupt erst ernst genommen wird. Nicht nur methodisch lehnt sich Kluge an das Verfahren der Psychoanalyse an: die zitierten audiovisuellen Dokumente aus dem eigenen Archiv rekurrieren immer wieder, einem kalkulierten Wiederholungszwang gleich, auf dieselben thematischen Felder die deutsche Geschichte, militärische Strukturen, die Oper, das Expertentum, der Reaktorunfall von Tschernobyl. Dem Freudschen Verfahren ähnlich, muss erinnert, wiederholt und durchgearbeitet werden, um Wahrnehmungs- und Erfahrungsblockaden aufzubrechen, was Woche um Woche in gleich mehreren Sendungen, in Sitzungen gewissermaßen, ja auch möglich wäre. So weit die ästhetische Theorie. Dass Kluge immer wieder vorgeworfen wird, nur seinen eigenen Obsessionen zu frönen, läßt sich nicht von der Hand weisen. Bei Übertragung und Gegenübertragung, um im psychoanalytischen Bild zu bleiben, scheint es zu hapern.

    Uecker arbeitet im zentralen Kapitel "Anti-Fernsehen", das Kluges formale Strategien analysiert, detailliert heraus, dass es keineswegs um eine Zerstörung des Fernsehens gehe, sondern dass die eigenwillige Nutzung der neuen Produktionsbedingungen es Kluge erlaube, die ästhetische Seite seines Programms ideal umzusetzen. Allerdings sei fraglich, ob sich die erwünschten Öffentlichkeits-Effekte denn auch eingestellt hätten, also die Herstellung einer erfahrungserweiternden, genuinen Öffentlichkeit durch den andersartigen im Fernsehen geschaffenen Raum, in dem aus TV-Konsumenten eigentätige, produktive Zuschauer werden. Ob ein Zuschauer ohne ästhetische und theoretische Vorbildung oder eine besondere Affinität zu Kluges Welt sich überhaupt auf die ungewöhnlichen Programme einlassen würde, darf bezweifelt werden. Und ein pluraler Raum, ein "Fernsehen der Autoren", wie Kluge es sich einmal vorgestellt hatte, ist es auch nicht geworden. Dafür das Fernsehen eines singulären Autors. Doch was wäre das deutsche Fernsehen ohne Alexander Kluges Eigensinn?

    Barbara Eisenmann besprach Matthias Uecker: AntiFernsehen? Alexander Kluges Fernsehproduktionen, erschienen im Schüren Presseverlag, Marburg. Das Buch hat 208 Seiten und kostet 34 DM.