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Mecklenburg-Vorpommern
"Die Erfolge der Rechtspopulisten sind mehr als alarmierend"

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel hat den Erfolg der AfD bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern als "katastrophales Ergebnis" bezeichnet. Darauf müsse man mit "klarer Haltung" reagieren - statt den Rechtspopulisten hinterherzurennen.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 05.09.2016
    Der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel, am 15.12.2015 im Hessischen Landtag in Wiesbaden.
    Will keine Rücksicht mehr auf die Union nehmen: Der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel. (picture alliance / dpa / Alexander Heinl)
    Schäfer-Gümbel sagte, eine Antwort auf die AfD sei es, die öffentliche und soziale Sicherheit zu verbessern. Als Beispiele nannte Schäfer-Gümbel den Wohnungsbau, die Arbeitsmarkt-Förderung und Investitionen in die Bildung. Ziel müsse es sein, dass niemand im Land gegeneinander ausgespielt werde.
    Falsch sei es, den Rechtspopulisten hinterherzurennen. Die Union etwa habe im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern versucht, mit schrägen Tönen die Tonlage der AfD zu kopieren.
    Zufrieden zeigte sich Schäfer-Gümbel damit, dass die SPD doch noch auf mehr als 30 Prozent kam. Noch vor sechs Wochen hätten die Umfragen den Sozialdemokraten ein Ergebnis von 20 Prozent vorausgesagt.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern, alle Bundestagsparteien haben da gestern Verluste eingesteckt. Die SPD kann trotzdem in Schwerin weiter den Regierungschef stellen mit Ministerpräsident Erwin Sellering. - Am Telefon hier im Deutschlandfunk ist jetzt Alexander Schäfer-Gümbel, der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, außerdem Landeschef in Hessen. Schönen guten Morgen!
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster. Bis auf den Vornamen war jetzt alles richtig.
    Armbrüster: Thorsten Schäfer-Gümbel, verzeihen Sie bitte. - Die SPD, die hat deutlich verloren, auch an die AfD. Fühlen Sie sich heute trotzdem als Gewinner?
    Schäfer-Gümbel: Natürlich ja. Ich will daran erinnern: Vor sechs Wochen hieß es noch, dass die Sozialdemokratie im Nordosten bei rund 20 Prozent gleichauf mit der Union liegen würde, in allen Umfragen. Und jetzt haben wir ein Wahlergebnis erzielt von 30,6 Prozentpunkten und einen fast zwölfprozentigen Abstand zur Union, und das ist erst mal ein Anlass, auch sich zu freuen über das, was wir an Aufholjagd in den letzten Wochen erreichen konnten mit Erwin Sellering. Das ist etwas, was uns freut: Erstens, weil wir die Regierung weiterführen können, und weil es zeigt, dass wenn man sich hart engagiert, wenn man eine klare Haltung hat, auch Wahltrends deutlich in die andere Richtung verschieben kann. Das ändert nichts daran, dass wir natürlich sehen, dass wir auch Stimmen verloren haben, nicht nur wegen der Wahlbeteiligung …
    Armbrüster: Ja, und zwar nicht zu knapp. 17 Prozent der AfD-Wähler haben vorher SPD gewählt.
    Schäfer-Gümbel: Ja, stimmt. Aber wenn Sie sich die Wählerwanderungen anschauen im Vergleich zu allen anderen, sind wir noch glimpflich davon gekommen. Aber natürlich gibt es auch Gründe dafür, und deswegen haben sowohl Erwin Sellering als auch Sigmar Gabriel wie übrigens viele in der SPD in den letzten Wochen und Monaten, im Prinzip seit dem letzten Jahr sehr intensiv darauf hingewiesen, dass es Bedingungen dafür gibt, dass wir das Land zusammenhalten, nämlich der Grundsatz, dass niemand gegeneinander ausgespielt wird. Und es ist offensichtlich so, dass nach wie vor ein Teil insbesondere der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht davon überzeugt ist, dass sie angesichts der gesamten Rahmenbedingungen weiter eine sichere Zukunft haben, und das ist sicherlich der Auftrag auch aus dem Wahlergebnis, daran zu arbeiten.
    Armbrüster: Nun ist das alles seit Jahren bekannt. Wieso kann eine Partei wie Ihre, wie die SPD der AfD da so wenig entgegensetzen?
    "Der AfD jetzt hinterherzurennen, wäre grundfalsch"
    Schäfer-Gümbel: Na ja, so wenig haben wir offensichtlich nicht entgegengesetzt. Sonst hätten wir ja deutlich mehr verloren. Und ich will daran noch einmal erinnern: Vor sechs Wochen haben alle Wahlumfragen in eine Richtung gezeigt. Da würden wir heute Morgen ein ganz anderes Interview führen als das, was wir heute Morgen Gott sei Dank miteinander führen können, angesichts des Wahlergebnisses von gestern. Deswegen ist es mitnichten so, dass man es erstens nicht verändern kann, und zweitens, dass wir mit Abstand das größte Problem hätten. Ganz im Gegenteil.
    Armbrüster: Moment! Ich verstehe das nicht ganz. Die AfD ist wie Kai aus der Kiste gekommen und hat aus dem Stand 20 Prozent geholt.
    Schäfer-Gümbel: Das ist ein katastrophales Ergebnis. Und das ist übrigens kein Momentum, das wir jetzt heute zum ersten Mal erlebt haben. Dass Rechtspopulisten in Deutschland solche Ergebnisse erzielen, ist mehr als alarmierend. Das ist kein Punkt, wo man immer nur am Montag nach den Wahlen in aufgeregten Interviews miteinander wechselseitig erklärt, was passiert jetzt. Es passiert viel, aber es reicht nicht. Und Sie können eine Entwicklung, die sich in den letzten 20 Jahren ja angelegt hat, dass Verunsicherung in bestimmten Bevölkerungsgruppen anwächst, unter anderem, weil die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen schwieriger werden, weil sich das Thema soziale und öffentliche Sicherheit noch einmal stärker zuspitzt, das ist nichts, was man in zwei Wochen verändern kann. Deswegen: Wir nehmen das sehr, sehr ernst und jede Stimme für Rechtspopulisten ist eine zu viel. Aber die Antwort darauf, denen jetzt hinterherzurennen, die wäre grundfalsch. Das ist das Kernproblem in der Union, insbesondere auch der Unions-Wahlkämpfer in der letzten Zeit gewesen, die mit teilweise wirklich schrägen Tönen versucht haben, die Tonlage der AfD zu kopieren, und damit wird man am Ende nicht erfolgreich sein.
    Entschuldigung, Herr Armbrüster! Die Antwort der Sozialdemokratie dazu ist klare Haltung. Das haben wir an vielen Stellen in den letzten Wahlgängen gesehen, zuletzt am gestrigen Abend durch die klare Haltung von Erwin Sellering. Und das will ich heute Morgen schon noch mal sehr klar sagen. Klare Haltung ist die Antwort auf Rechtspopulisten.
    Armbrüster: Das müssen Sie uns noch ein bisschen genauer erklären. Wir können darüber ja heute ganz unaufgeregt sprechen. Was muss die SPD, auch die SPD, was muss sie ändern, oder was sollte sie ändern, um die AfD da etwas im Zaum zu halten?
    Schäfer-Gümbel: Die Kernantwort auf die AfD ist, öffentliche und soziale Sicherheit zu verbessern. Deswegen haben wir im letzten Jahr bereits schon gesagt, dass die Bedingungen dafür, dass wir das schaffen, sind, dass im Wohnungsbau Massives passiert, dass wir bei der Arbeitsmarktförderung mehr machen müssen, dass wir bei der Integration in Kindergärten und Bildung mehr machen müssen, und das alles vor dem Grundsatz, dass niemand gegeneinander ausgespielt werden darf. Das ist doch die Sorge von einigen, dass sie nicht glauben, dass sie nicht gegeneinander ausgespielt werden. Und ich will daran erinnern: Das ist schon auch ein Problem mit unserem Koalitionspartner phasenweise im letzten Jahr gewesen, teilweise bis in die letzten Tage hinein, dass uns insbesondere Herr Schäuble immer und immer wieder erklärt, dafür sei kein Geld da, dafür sei kein Geld da, und das ist der Punkt, der geht nicht. Wenn man eine so große gesellschaftliche Integrationsaufgabe hat - das ist der innenpolitische Teil -, dann müssen die Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden. Und wir haben wirklich nahezu jedes Instrument gegen die Union auch erkämpfen müssen. Das ist mühsam und stärkt natürlich insgesamt nicht das Vertrauen darin, dass aus dem Satz "Wir schaffen das!" die richtigen Konsequenzen gezogen werden. - Der zweite Punkt ist, und das will ich klar sagen, …
    "Auf der Unions-Seite gibt es keine Idee, wie man gesellschaftliche Integration macht"
    Armbrüster: Moment! Wir können auf den zweiten Punkt gleich kommen. - Heißt das jetzt, dass die SPD sich da in der Großen Koalition in Berlin neu aufstellen muss gegenüber der Union, auch mit deutlicherer Kritik am Finanzminister?
    Schäfer-Gümbel: Ich glaube, dass wir das in den letzten Monaten bereits getan haben. Aber die Regierung muss natürlich auch gleichzeitig dafür sorgen, dass nicht jeder Streit nach außen dringt. Aber das ist doch offensichtlich geworden in den letzten Monaten, dass wir jedes Instrument gegen die Union durchsetzen mussten, beim Wohnungsbau, bei der Arbeitsmarktintegration, bei der Frage von Bildungsintegration, bei der Unterstützung der Kommunen. Das mussten wir immer in erbitterten Auseinandersetzungen gegen die Union durchsetzen, die zu diesen Fragen kein Verhältnis hat. Das war von Anfang an das Kernproblem, dass es keine Idee davon gab auf der Unions-Seite, wie man gesellschaftliche Integration macht. Dieser Streit hat natürlich das Bild von da gibt es Durcheinander verstärkt, und das muss sich ändern. Da muss die Union ganz sicherlich jetzt einfach auch klarer bekennen, dass wir diese Integrationsaufgaben wirklich ernst nehmen, dass die Ressourcen dazu zur Verfügung gestellt werden.
    Und der zweite Teil - das will ich ausdrücklich dazu sagen - ist, dass wir Fluchtursachen weiter bekämpfen müssen. Wir werden Flüchtlingsbewegungen auf dieser Welt nur dauerhaft verhindern können, wenn Fluchtursachen bekämpft werden, und das gerät mir zunehmend aus dem Blick der Debatte.
    Armbrüster: Dann ist es falsch, wenn Ihr Parteivorsitzender da jetzt auch den Merkel-Skeptikern aus CSU und AfD hinterherläuft und jetzt auch von Obergrenzen redet?
    Schäfer-Gümbel: Sigmar Gabriel hat nicht von Obergrenzen geredet, sondern er hat genau diesen Punkt …
    Armbrüster: Er nennt es Kontingente.
    Schäfer-Gümbel: Entschuldigung! Das Kontingent-Konzept ist ein völlig anderes als das der Obergrenzen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass Sigmar Gabriel immer und von Anfang an gesagt hat - und es gab ja letzte Woche den Versuch, den einfachen Satz "Wir schaffen das!" auf Sigmar Gabriel zurückzuschreiben. Was dabei gerne übersehen wurde ist, dass Sigmar Gabriel vorher die Bedingungen dafür, wie das funktionieren kann, präzise benannt hat, wie ich auch heute Morgen in diesem Interview bei Wohnen, bei Arbeit, bei Bildung, bei der Unterstützung der Kommunen. Das ist der Kern. Und dazu kommt der Dauerstreit in der Union über deren interne Ausrichtung. Auch das trägt nicht dazu bei, dass das Bild von Handlungsfähigkeit gestärkt wird, weil in der Sache haben wir dann ja auch viel durchsetzen können.
    Armbrüster: Herr Schäfer-Gümbel, wir müssen dann noch kurz über Strategiefragen sprechen. Wir haben gelernt aus den Wahlen jetzt in Mecklenburg-Vorpommern und auch in Rheinland-Pfalz: Die SPD kann eigentlich nur noch dann gewinnen, wenn man das gewinnen nennen kann, wenn sie einen populären, einen wirklich populären Kandidaten präsentiert. Aber der ist bei der SPD im Bund nicht in Sicht. Was machen Sie da jetzt bis 2017?
    "Ich halte nichts von Personaldebatten dieser Art"
    Schäfer-Gümbel: In Vorbereitung auf das Interview heute Morgen habe ich nur mal so ein bisschen im Internet geguckt, wie sieht eigentlich die Kommentarlage aus. Es ist schön, dass sie die Beschreibung für Malu Dreyer so wählen, genauso wie für Erwin Sellering. "Spiegel Online" berichtet heute, das seien zwei sozialdemokratische Langeweile-Politiker. Ich benutze ganz bewusst ihre Zuschreibung, die von "Spiegel Online".
    Armbrüster: …, die allerdings beide in den Umfragen immer als populär betrachtet werden.
    Schäfer-Gümbel: Ich bin da auch eher bei Ihnen als bei "Spiegel Online". Ich finde es ziemlich frech, was "Spiegel Online" gemacht hat. Aber der entscheidende Punkt ist: Die Beschreibung darüber, welche Kandidatensituation was in welchem Land bewirkt hat, die wird doch nach solchen Wahlen gerade in den ersten zwei, drei Tagen immer sehr einfach zugeschrieben. Am Ende gilt immer der alte Grundsatz: Programm, Partei und Personen, die müssen zusammenpassen. Und man muss eine Idee davon haben, wie man Zukunft gestaltet. Und Sie werden überrascht sein, dass wir dazu in der Tat ein paar Ideen und Pläne haben, aber da ist heute Morgen noch nicht der richtige Zeitpunkt, die vorzustellen.
    Armbrüster: Können Sie dann zumindest eingestehen, dass es beim Punkt Personen zurzeit ein Problem gibt bei der SPD?
    Schäfer-Gümbel: Neh, das sehe ich nicht so. Wir haben einen klaren Fahrplan, dass wir die Frage der Kanzlerkandidatur Anfang nächsten Jahres miteinander klären, dass wir zweitens immer den Grundsatz haben, dass der Parteivorsitzender das erste Zugriffsrecht darauf hat und wir dort auch dem Vorschlag im Verfahren von Sigmar Gabriel ausdrücklich gefolgt sind. Und drittens wissen wir sehr wohl, dass Sigmar Gabriel in schwierigsten Zeiten diese Partei geführt hat, wir in diese Koalition hineingegangen sind, wir viel erreicht haben, von der Frage Mindestlohn über die Frage Mietpreisbremse bis zur Rente nach 45 Beitragsjahren, in der Gleichberechtigungspolitik. All diese Themen werden wir zum Thema machen und ich halte nichts von Personaldebatten dieser Art.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Thorsten Schäfer-Gümbel, der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Schäfer-Gümbel: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.