Die ganze Welt, auch die der Wissenschaft, ist durchdrungen vom Nutzwert, vom Denken in den phantasielosen Euro-und-Cent-Kategorien der Betriebswirte. Die ganze Welt? Nein. Ein kleines Völkchen innerhalb der Wissenschaftsgemeinde lebt jenseits der akademischen Fragmentierung, Segmentierung und Differenzierung - die Volkskundler, also die akademische Gemeinschaft aus europäischer Ethnologie, empirischer Kulturwissenschaft und Kulturanthropologie. Und wenn man Professor Michael Simon von der Universität Mainz, die diesmal den alle zwei Jahre stattfindenden Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde ausrichten durfte, sprechen hört, dann ahnt man die Herrlichkeit des Faches:
" Es gibt ja sozusagen eine Nachbardisziplin, die Ethnologie, die für die Dinge zuständig ist, die uns eher ferner sind. Und wir sind diejenigen, die sozusagen für das Nahe zuständig sind. Im Umkehrschluss arbeiten wir aber auch mit der Verfremdung des uns Eigenen, des uns Vertrauten - genau so wie die Ethnologie in der Übersetzung des Fremden die Nähe sucht. Das sind ja zwei Prozesse, die ständig gegeneinander ablaufen, und die Kunst unseres Faches oder der Schlüssel zu unserem Fach besteht eigentlich darin, das was uns im Alltag umgibt, was wir gar nicht reflektieren, weil wir es für unsere Alltagsroutinen auch gar nicht ertragen könnten, da ständig drüber nachzudenken, dass wir das tatsächlich verfremden, dann versuchen zu verstehen, zu interpretieren und als Interpretationsangebot in den Alltag zurückbringen. "
Der Alltag als Gegenstand der Forschung, also einfach alles - das macht den Reiz der Volkskunde aus, sagt Professor Thomas Hengartner von der Uni Hamburg, der nebenbei auch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde ist.
" Das höchste Gut am wissenschaftlichen Arbeiten ist die Neugier. Und meine Neugier wird in diesem Raum und wo immer ich bin immer wieder angestachelt. Also ich muss mich nicht ins Labor begeben, bis ich Wissenschaftler sein kann, sondern meine Neugier wird wo immer ich bin... Also treffen Eindrücke auf mich, mit denen ich weiter denken und arbeiten kann. "
"Bilder, Bücher, Bytes - zur Medialität des Alltags", unter diesem Titel trafen sie in Mainz zusammen, die 550 Volkskundler und Studenten der Volkskunde und sie beackerten ein weites Feld. Von der Untersuchung der Lebensform des Reisens über die Bedeutung der Ratgebermedien bei der Orientierung im Alltag, das Erscheinungsbild von Politikern im Magazin DER SPIEGEL seit 1949 bis hin zu den Micky-Maus-Übersetzungen der legendären Erika Fuchs und einer Betrachtung des Coburger Stadtwappens als Medium der Erinnerungskultur. Da könnte aus Vielfalt leicht Beliebigkeit werden. Thomas Hengartner setzt da ein Stoppschild:
" Die Eingrenzung ergibt sich eigentlich durch den zweiten Teil des Titels, also: Medialität des Alltags. Also wo man dann von der Tatsache ausgeht, dass unsere Art der Lebensführung ganz stark auch medienvermittelt ist. Dass wir also Informationen aus zweiter, dritter, vierter, fünfter Hand in die Art und Weise des Denkens mit einbeziehen. "
Das Denken ist immer auch ein politisches, deswegen hat auch das Politische seinen Platz in der und einen eigenen Anspruch an die Volkskunde.
" Ja, Volkskunde ist natürlich in der Weise politisch, dass der Gegenstand der Alltag ist in historischer und gegenwartsbezogener Sicht. Der Alltag ist immer politisch, er verändert sich ständig, die Menschen um uns herum haben natürlich ihre Auffassung, ihre Meinung, die wir wiederum zum Gegenstand unserer Betrachtung machen. Und insofern ist die Politik des Alltags Gegenstand unseres Faches. "
sagt Michael Simon von der Uni Mainz. Dem Alltag gewidmet, der Wissenschaft verpflichtet und dann auch noch mit einem gesellschaftspolitischen Anspruch ausgestattet - das ist die Volkskunde und das macht sie so schwer greifbar. Michael Simon hat sich an die Frage nach dem Zweck und Sinn und Nutzen seiner Disziplin längst gewöhnt:
" Das ist eine Frage, die unser Fach eigentlich ständig bekommt, weil wir halt versuchen, diesen Alltagsbegriff ernst zu nehmen. Und der besteht eben darin, dass wir nicht Abgrenzungen vornehmen und Grenzziehungen, sondern versuchen, das Leben der Menschen aus sich heraus zu verstehen. Also aus der für sie entscheidenden Dimension des Alltags, nicht nach vorgegebenen Kategorisierungen wissenschaftlichen Arbeitens, wo man dann sagt, die einen sind für die Vergangenheit zuständig, die anderen für die Gegenwart, die einen gucken mehr auf soziale Gruppen, die anderen auf das Individuum. Es muss ja auch in der ganzen Fragmentierung und Segmentierung wissenschaftlichen Denkens Disziplinen geben, die das zusammenführen. Und darin besteht eigentlich der Anspruch unseres Faches. Das mag nach außen manchmal wie Beliebigkeit aussehen, aber ich denke, im wissenschaftlichen Denkgebäude muss es Disziplinen geben, die genau diese Frage sich stellen: Wie man das, was wissenschaftlich auseinanderdividiert wird, tatsächlich wieder zusammenbringt. "
Romantisch ist das und ein recht niedlich in Zeiten, in denen die bolognareformierten Universitäten sich selbst von Horten des Weltwissens zu besseren Berufsbildungsstätten für die Industrie reduzieren. Wo nicht mehr der Wert, sondern nur noch die Kosten der Hochschulbildung betrachtet werden und deren Nutzen für die Wirtschaft, muss es einem Fach wie der Volkskunde schlecht gehen. Thomas Hengartner, ein Mann von wirklich sonnigem Gemüt, mag da grundsätzlich nicht widersprechen:
" Man könnte jetzt das hohe Klagelied anstimmen, dass es den Geisteswissenschaften und den Kulturwissenschaften sehr, sehr schlecht geht. Das stimmt auch, was grundsätzlich den Umgang mit nicht-großen Fächern angeht. Also wer nicht vorweisen kann, dass er sich mit allerkleinsten Nanopartikeln beschäftigt, hat zur Zeit gerade ein Legitimationsdefizit. "
Was also tun Volkskundler, wenn sie eines Tages aus dem Schoß der Alma Mater in die Welt des Geldverdienens und Sozialabgabenzahlens kriechen müssen? Hengartner:
" Praktische Volkskunde ist das, was wir gerade machen. Also Medienarbeit sowohl von der Seite der Befragten wie von der Seite der Fragenden. Jeder Bereich, der was damit zu tun hat, dass komplexe Sachverhalte an eine Öffentlichkeit gebracht werden sollen, ist eigentlich ein geeigneter Aufnahmebereich für Absolventinnen und Absolventen von uns. Also das reicht vom Personalbereich, wo es darum geht, zu wissen, wie funktionieren Gruppen, bis hin zur Kulturarbeit. "
Allzu viele Volkskundler gibt es ohnehin nicht: An allen deutschen Universitäten, die das Fach anbieten, ist der Zugang streng begrenzt. Auf 100 Studienplätze kommen an begehrten Hochschulen wie der in Hamburg bis zu 1000 Bewerberinnen und Bewerber. Doch wer einmal drinnen ist, erlebt möglicherweise die beste aller akademischen Welten.
" Es gibt ja sozusagen eine Nachbardisziplin, die Ethnologie, die für die Dinge zuständig ist, die uns eher ferner sind. Und wir sind diejenigen, die sozusagen für das Nahe zuständig sind. Im Umkehrschluss arbeiten wir aber auch mit der Verfremdung des uns Eigenen, des uns Vertrauten - genau so wie die Ethnologie in der Übersetzung des Fremden die Nähe sucht. Das sind ja zwei Prozesse, die ständig gegeneinander ablaufen, und die Kunst unseres Faches oder der Schlüssel zu unserem Fach besteht eigentlich darin, das was uns im Alltag umgibt, was wir gar nicht reflektieren, weil wir es für unsere Alltagsroutinen auch gar nicht ertragen könnten, da ständig drüber nachzudenken, dass wir das tatsächlich verfremden, dann versuchen zu verstehen, zu interpretieren und als Interpretationsangebot in den Alltag zurückbringen. "
Der Alltag als Gegenstand der Forschung, also einfach alles - das macht den Reiz der Volkskunde aus, sagt Professor Thomas Hengartner von der Uni Hamburg, der nebenbei auch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde ist.
" Das höchste Gut am wissenschaftlichen Arbeiten ist die Neugier. Und meine Neugier wird in diesem Raum und wo immer ich bin immer wieder angestachelt. Also ich muss mich nicht ins Labor begeben, bis ich Wissenschaftler sein kann, sondern meine Neugier wird wo immer ich bin... Also treffen Eindrücke auf mich, mit denen ich weiter denken und arbeiten kann. "
"Bilder, Bücher, Bytes - zur Medialität des Alltags", unter diesem Titel trafen sie in Mainz zusammen, die 550 Volkskundler und Studenten der Volkskunde und sie beackerten ein weites Feld. Von der Untersuchung der Lebensform des Reisens über die Bedeutung der Ratgebermedien bei der Orientierung im Alltag, das Erscheinungsbild von Politikern im Magazin DER SPIEGEL seit 1949 bis hin zu den Micky-Maus-Übersetzungen der legendären Erika Fuchs und einer Betrachtung des Coburger Stadtwappens als Medium der Erinnerungskultur. Da könnte aus Vielfalt leicht Beliebigkeit werden. Thomas Hengartner setzt da ein Stoppschild:
" Die Eingrenzung ergibt sich eigentlich durch den zweiten Teil des Titels, also: Medialität des Alltags. Also wo man dann von der Tatsache ausgeht, dass unsere Art der Lebensführung ganz stark auch medienvermittelt ist. Dass wir also Informationen aus zweiter, dritter, vierter, fünfter Hand in die Art und Weise des Denkens mit einbeziehen. "
Das Denken ist immer auch ein politisches, deswegen hat auch das Politische seinen Platz in der und einen eigenen Anspruch an die Volkskunde.
" Ja, Volkskunde ist natürlich in der Weise politisch, dass der Gegenstand der Alltag ist in historischer und gegenwartsbezogener Sicht. Der Alltag ist immer politisch, er verändert sich ständig, die Menschen um uns herum haben natürlich ihre Auffassung, ihre Meinung, die wir wiederum zum Gegenstand unserer Betrachtung machen. Und insofern ist die Politik des Alltags Gegenstand unseres Faches. "
sagt Michael Simon von der Uni Mainz. Dem Alltag gewidmet, der Wissenschaft verpflichtet und dann auch noch mit einem gesellschaftspolitischen Anspruch ausgestattet - das ist die Volkskunde und das macht sie so schwer greifbar. Michael Simon hat sich an die Frage nach dem Zweck und Sinn und Nutzen seiner Disziplin längst gewöhnt:
" Das ist eine Frage, die unser Fach eigentlich ständig bekommt, weil wir halt versuchen, diesen Alltagsbegriff ernst zu nehmen. Und der besteht eben darin, dass wir nicht Abgrenzungen vornehmen und Grenzziehungen, sondern versuchen, das Leben der Menschen aus sich heraus zu verstehen. Also aus der für sie entscheidenden Dimension des Alltags, nicht nach vorgegebenen Kategorisierungen wissenschaftlichen Arbeitens, wo man dann sagt, die einen sind für die Vergangenheit zuständig, die anderen für die Gegenwart, die einen gucken mehr auf soziale Gruppen, die anderen auf das Individuum. Es muss ja auch in der ganzen Fragmentierung und Segmentierung wissenschaftlichen Denkens Disziplinen geben, die das zusammenführen. Und darin besteht eigentlich der Anspruch unseres Faches. Das mag nach außen manchmal wie Beliebigkeit aussehen, aber ich denke, im wissenschaftlichen Denkgebäude muss es Disziplinen geben, die genau diese Frage sich stellen: Wie man das, was wissenschaftlich auseinanderdividiert wird, tatsächlich wieder zusammenbringt. "
Romantisch ist das und ein recht niedlich in Zeiten, in denen die bolognareformierten Universitäten sich selbst von Horten des Weltwissens zu besseren Berufsbildungsstätten für die Industrie reduzieren. Wo nicht mehr der Wert, sondern nur noch die Kosten der Hochschulbildung betrachtet werden und deren Nutzen für die Wirtschaft, muss es einem Fach wie der Volkskunde schlecht gehen. Thomas Hengartner, ein Mann von wirklich sonnigem Gemüt, mag da grundsätzlich nicht widersprechen:
" Man könnte jetzt das hohe Klagelied anstimmen, dass es den Geisteswissenschaften und den Kulturwissenschaften sehr, sehr schlecht geht. Das stimmt auch, was grundsätzlich den Umgang mit nicht-großen Fächern angeht. Also wer nicht vorweisen kann, dass er sich mit allerkleinsten Nanopartikeln beschäftigt, hat zur Zeit gerade ein Legitimationsdefizit. "
Was also tun Volkskundler, wenn sie eines Tages aus dem Schoß der Alma Mater in die Welt des Geldverdienens und Sozialabgabenzahlens kriechen müssen? Hengartner:
" Praktische Volkskunde ist das, was wir gerade machen. Also Medienarbeit sowohl von der Seite der Befragten wie von der Seite der Fragenden. Jeder Bereich, der was damit zu tun hat, dass komplexe Sachverhalte an eine Öffentlichkeit gebracht werden sollen, ist eigentlich ein geeigneter Aufnahmebereich für Absolventinnen und Absolventen von uns. Also das reicht vom Personalbereich, wo es darum geht, zu wissen, wie funktionieren Gruppen, bis hin zur Kulturarbeit. "
Allzu viele Volkskundler gibt es ohnehin nicht: An allen deutschen Universitäten, die das Fach anbieten, ist der Zugang streng begrenzt. Auf 100 Studienplätze kommen an begehrten Hochschulen wie der in Hamburg bis zu 1000 Bewerberinnen und Bewerber. Doch wer einmal drinnen ist, erlebt möglicherweise die beste aller akademischen Welten.