Als dieser 1994 über seine Privatfernsehkanäle die Gründung einer Partei verkündete, ahnten seine Landsleute noch nicht, wie sehr diese Entscheidung die politische Landschaft Italiens verändern würde. Heute konstatiert Stille: "Berlusconi vereinigt mehr Macht in seinen Händen als irgendein einzelner Italiener seit Mussolini".
Beitrag Brigitte Baetz
Musik Forza Italia
""Un nuovo, extraordinario miraculo italiano” "
Das neue italienische Wunder, das Silvio Berlusconi als Ministerpräsident versprach, ist auch in seiner zweiten Amtsperiode, die in diesem Frühjahr zu Ende geht, ausgeblieben. Seit Jahren fällt das Land im wirtschaftlichen Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn zurück. Der Unternehmer, den sein Verkaufsgeschick und seine politischen Kontakte zu einem der reichsten Männer Italiens gemacht haben, hat seinem Land kein Glück gebracht. Und doch hat er es tiefgreifender verändert als je ein Nachkriegspolitiker vor ihm. Und das in erster Linie nicht als Ministerpräsident, sondern als Medienunternehmer, auch wenn das im Falle Berlusconis zeitweise das Gleiche ist. Die Einführung des kommerziellen Fernsehens, von Berlusconi forciert und instrumentalisiert, machte den Erfolg eines neuen Politikertypus Marke Berlusconi erst möglich, so Alexander Stille.
Berlusconi führte eine Kulturrevolution herbei, indem er in diese altmodische, gemächliche, paternalistische italienische Lebenswelt einen Schuss amerikanische Kommerzkultur injizierte. Vor Berlusconi war das italienische Fernsehen anspruchslos und altväterlich gewesen: Nachrichtensprecher hatten ihre Sätze gesenkten Kopfes von einem vor ihnen liegenden Blatt abgelesen, statt in die Kamera zu schauen und ihre Stichwörter aus dem Teleprompter zu erhalten. Berlusconi, der durch und durch Verkäufer war und dem solche altmodischen Bräuche völlig fremd waren, suchte sich seine Vorbilder in Hollywood und begann ganze Archivbestände von Spielfilmen und Fernsehshows aufzukaufen, vergaß aber auch nicht, mit Eigenproduktionen wie "Colpo Grosso", der vielleicht ersten barbusigen Spielshow der Welt, auch italienische Akzente zu setzen. Diese Programme kamen der Zeitstimmung entgegen: Die italienische Mittelschicht hatte die Nase voll vom Terrorismus und von den italienischen Verwerfungen der 1970er Jahre; sie war bereit, die bereits angebrochene Periode des Wohlstandes zu genießen, und freute sich darauf, die vielen schönen Dinge zu konsumieren, die auf den Kanälen Berlusconis angepriesen wurden.
Mit der Einführung einer durch und durch kommerzialisierten Fernsehkultur etablierte und zementierte Berlusconi ein neues Wertesystem. Das Streben nach Konsum, nach Erfolg und Reichtum löste eine Kultur der materiellen Zurückhaltung, zumindest was das Erscheinungsbild betraf, und der Solidarität ab. Die herrschende politische Klasse befand sich seit dem Fall der Mauer und den Skandalen, die die Operation Saubere Hände aufgedeckt hatte, in einer tiefen Krise. Die angestammte Balance – auf der einen Seite Christdemokraten, auf der anderen Seite Kommunisten – geriet ins Wanken. Berlusconi, der gewiefte Bauunternehmer aus Mailand mit exzellenten Kontakten zum korrupten Pseudosozialisten und Ministerpräsidenten Bettino Craxi, verstand es, sich zur Verkörperung des neuen Zeitgeistes zu stilisieren, als einen unverbrauchten Politiker neuen Typs, als Verkörperung eines neuen italienischen Traums vom Reichtum aus eigener Kraft. Dass sein eigener Wohlstand erst in zweiter Linie das Ergebnis harter Arbeit, sondern seinem Trickreichtum im Umgehen von Gesetzen geschuldet war, schadete ihm nicht. Jeder seiner Landsleute kennt Tricksereien aus dem eigenen Alltag. Er versprach den Klein- und Familienunternehmern, die bis heute das Rückgrat Italiens bilden, sie aus den Klauen eines überbürokratisierten Staates zu befreien. Anders als die Politiker der alten Garde hatte er verstanden, dass es im modernen Medienzeitalter nicht mehr darauf ankommt, Parteigremien hinter sich zu bringen, sondern sich dem Wähler zu verkaufen. Passenderweise stellte er sich dem Käufer bzw. dem Publikum per Videokassette vor, ausgeliefert am späten Nachmittag des 26. Januar 1994 an alle Fernsehsender, rechtzeitig für die Ausstrahlung zur besten Sendezeit.
Der Auftritt war inszeniert wie eine Ansprache aus dem Oval Office im Weißen Haus. Berlusconi saß hinter einem großen, Respekt gebietenden Schreibtisch im Arbeitszimmer seiner luxuriösen Villa aus dem 18. Jahrhundert, eingerahmt von hinter ihm hängenden Familienporträts, und wandte sich in gravitätischem und staatsmännischem Ton an die Nation. Obwohl er zu der Zeit kein politisches Mandat innehatte, wirkte er, als wäre er bereits Präsident.
In seiner Verkaufsstrategie überließ Berlusconi nichts dem Zufall. Der Name seiner Partei Forza Italia ist nicht umsonst dem Schlachtruf der italienischen Fußballfans entlehnt. Immer eine positive Ausstrahlung haben, immer sauber, nett und adrett sein, bläute er seinen Parteifreunden ein, so als wären sie Vertreter seiner Firma.
Seine größten Trümpfe sind seine unerschöpfliche Energie, seine große Detailbesessenheit und sein fast grenzenloses Selbstvertrauen. Seine tiefsten Überzeugungen entspringen, so scheint es, solchen Evangelien amerikanischer Selbstvervollkommnungskultur wie Dale Carnegies "Wie man Freunde gewinnt" und Norman Vincent Peales "Die Macht des positiven Denkens". Im Zuge eines Schulungskurses für die Verkäufer seiner Werbefirma erklärte er den Teilnehmern, er stelle sich jeden Morgen vor den Spiegel und sage mehrmals: "Ich mag mich. Ich mag mich."
Neben seinem Quasifernsehmonopol, zu dem nicht nur die Hoheit über die kommerziellen Kanäle, sondern seit seinem politischen Erfolg auch der Zugriff auf die staatliche RAI gehört, ist es der Fußball, der Berlusconis Popularität stützt. Er kaufte den erfolgreichsten Klub des Landes, den AC Milan, und machte den Fußball zu einer der prägenden Säulen seiner Fernsehprogramme. Das Thema Nr. 1 in Italien ist heute weniger die Politik als vielmehr der Fußball.
"Es gehört nicht und wird niemals zu unserem Stil gehören, einen politischen Gegner zu vernichten. Es gehört nicht und wird niemals zu unserem Stil gehören, das öffentliche Radio und Fernsehen wie in totalitären Systemen einzusetzen und Andersdenkende zu verleumden."
Das Verleumden überlässt Berlusconi auch eher seinen privaten Kanälen und den von ihm kontrollierten Zeitungen, wie seine Kampagnen gegen den Mailänder Staatsanwalt Di Pietro und gegen den Altmeister des italienischen Journalismus Indro Montanelli bewiesen. Dabei ist die Diffamierung Andersdenkender in Berlusconis schöner neuer italienischer Medienwelt auch fast nicht mehr nötig. Über die negativen Seiten Berlusconis wird kaum noch berichtet: über seinen Interessenkonflikt als Regierungschef, der gleichzeitig Medienzar ist z.B., über die Berufung seiner eigenen Anwälte in die Justizkommission, die Gesetze in seinem Sinn entwickelten, über die Bestechung von Richtern und über Berlusconis Verbindungen zur Mafia. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn, so Berlusconis Weltbild.
Ein Teil der Richter, zum Glück eine absolute Minderheit, nennen wir sie die linken, nutzten die Justiz für politische Zwecke aus. Das ist geschehen und passiert leider immer noch.
Die italienische Linke ist nicht unschuldig am Deutungsmonopol des Ministerpräsidenten. In den Jahren zwischen 1999 und 2001, als die PDS die Regierung bilden konnte, versuchte sie nur halbherzig, die Medienmacht Berlusconis zu brechen. Um ihn zur Mitarbeit an einer Wahlrechtsreform zu bewegen, verzichtete die Koalition nicht nur auf gesetzliche Maßnahmen gegen seine Monopolstellung, sondern unterband staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen ihn. Zum Schluss stand sie mit leeren Händen da: Berlusconi brachte die Reform zum Platzen, nachdem er sich auf der sicheren Seite wusste. Frechheit siegt. Berlusconi selbst zu für ihn heiklen Themen zu befragen, erweist sich als unsinnig, so Alexander Stilles Erfahrung. Selbst einfach nachzuprüfende Fakten streitet Berlusconi einfach ab.
"Beim Nachdenken über Berlusconis seltsames Verhältnis zur Faktenwahrheit dämmerte mir, dass die Begegnung mit ihm mir eine tief reichende anthropologische Diskrepanz vor Augen geführt hatte. Dass für mich Dinge wie Genauigkeit im Umgang mit Fakten, das Dokumentieren von Aussagen, die Orientierung an objektiven Wahrheiten so wichtig sind, gehört zu meinem Rüstzeug als Journalist, als Mann des gedruckten Wortes, zum verschrobenen, naiven und altmodischen Credo eines durch Gutenberg und die Aufklärung geprägten Zeitalters; Berlusconi dagegen ist das Geschöpf einer anderen Ära, einer Ära des Fernsehens und der Massenmedien, in der es im Wesentlichen nur noch auf Image und Wahrnehmung ankommt. Berlusconi ist nicht nur ein Geschöpf, sondern zugleich auch ein Mitschöpfer der postmodernen Welt, in der es nicht mehr entscheidend ist, was tatsächlich passiert ist, sondern an welche Version dessen, was passiert ist, die Leute glauben. "Verstehst du nicht", machte er einmal einem seiner engsten Berater klar, "dass etwas, das nicht im Fernsehen läuft, nicht existiert?"
Für Alexander Stille macht dies das Exemplarische am Fall Berlusconi aus: Auch George W. Bush gewann seine Wahlen, weil er einfach die Wirklichkeit ausblendete und neu inszenierte. Die Menschen sind leichtgläubig, weiß nicht nur Berlusconi. Die meisten Amerikaner halten bis heute Saddam Hussein für den Drahtzieher des 11. September. Arbeiter wählten Bush, obwohl er keinerlei Politik in ihrem Sinne machte, sondern weil er ihnen sympathisch war. Doch, auch das zeigt die Geschichte Berlusconis: Man darf es nicht übertreiben. Die permanente Medienpräsenz könnte zum Stolperstein für seine Wiederwahl im April werden. Die Leute sind seiner müde. Alexander Stille hat ein souveränes und lebendiges Porträt eines der schillerndsten Politiker unserer Zeit verfasst. Es sind keine neuen Fakten, die er schildert, umso erschreckender, dass ein im Grunde undemokratischer Hasardeur wie Berlusconi es in einem Kernland der Europäischen Union bis an die Regierungsspitze schaffen konnte. Und: selbst wenn er im April abgewählt werden sollte, Medientycoon wird er bleiben.
Brigitte Baetz über Alexander Stille: Citizen Berlusconi. Erschienen ist das Buch im C.H. Beck Verlag München, es umfasst 382 Seiten und kostet 24 Euro und 90 Cent.
Beitrag Brigitte Baetz
Musik Forza Italia
""Un nuovo, extraordinario miraculo italiano” "
Das neue italienische Wunder, das Silvio Berlusconi als Ministerpräsident versprach, ist auch in seiner zweiten Amtsperiode, die in diesem Frühjahr zu Ende geht, ausgeblieben. Seit Jahren fällt das Land im wirtschaftlichen Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn zurück. Der Unternehmer, den sein Verkaufsgeschick und seine politischen Kontakte zu einem der reichsten Männer Italiens gemacht haben, hat seinem Land kein Glück gebracht. Und doch hat er es tiefgreifender verändert als je ein Nachkriegspolitiker vor ihm. Und das in erster Linie nicht als Ministerpräsident, sondern als Medienunternehmer, auch wenn das im Falle Berlusconis zeitweise das Gleiche ist. Die Einführung des kommerziellen Fernsehens, von Berlusconi forciert und instrumentalisiert, machte den Erfolg eines neuen Politikertypus Marke Berlusconi erst möglich, so Alexander Stille.
Berlusconi führte eine Kulturrevolution herbei, indem er in diese altmodische, gemächliche, paternalistische italienische Lebenswelt einen Schuss amerikanische Kommerzkultur injizierte. Vor Berlusconi war das italienische Fernsehen anspruchslos und altväterlich gewesen: Nachrichtensprecher hatten ihre Sätze gesenkten Kopfes von einem vor ihnen liegenden Blatt abgelesen, statt in die Kamera zu schauen und ihre Stichwörter aus dem Teleprompter zu erhalten. Berlusconi, der durch und durch Verkäufer war und dem solche altmodischen Bräuche völlig fremd waren, suchte sich seine Vorbilder in Hollywood und begann ganze Archivbestände von Spielfilmen und Fernsehshows aufzukaufen, vergaß aber auch nicht, mit Eigenproduktionen wie "Colpo Grosso", der vielleicht ersten barbusigen Spielshow der Welt, auch italienische Akzente zu setzen. Diese Programme kamen der Zeitstimmung entgegen: Die italienische Mittelschicht hatte die Nase voll vom Terrorismus und von den italienischen Verwerfungen der 1970er Jahre; sie war bereit, die bereits angebrochene Periode des Wohlstandes zu genießen, und freute sich darauf, die vielen schönen Dinge zu konsumieren, die auf den Kanälen Berlusconis angepriesen wurden.
Mit der Einführung einer durch und durch kommerzialisierten Fernsehkultur etablierte und zementierte Berlusconi ein neues Wertesystem. Das Streben nach Konsum, nach Erfolg und Reichtum löste eine Kultur der materiellen Zurückhaltung, zumindest was das Erscheinungsbild betraf, und der Solidarität ab. Die herrschende politische Klasse befand sich seit dem Fall der Mauer und den Skandalen, die die Operation Saubere Hände aufgedeckt hatte, in einer tiefen Krise. Die angestammte Balance – auf der einen Seite Christdemokraten, auf der anderen Seite Kommunisten – geriet ins Wanken. Berlusconi, der gewiefte Bauunternehmer aus Mailand mit exzellenten Kontakten zum korrupten Pseudosozialisten und Ministerpräsidenten Bettino Craxi, verstand es, sich zur Verkörperung des neuen Zeitgeistes zu stilisieren, als einen unverbrauchten Politiker neuen Typs, als Verkörperung eines neuen italienischen Traums vom Reichtum aus eigener Kraft. Dass sein eigener Wohlstand erst in zweiter Linie das Ergebnis harter Arbeit, sondern seinem Trickreichtum im Umgehen von Gesetzen geschuldet war, schadete ihm nicht. Jeder seiner Landsleute kennt Tricksereien aus dem eigenen Alltag. Er versprach den Klein- und Familienunternehmern, die bis heute das Rückgrat Italiens bilden, sie aus den Klauen eines überbürokratisierten Staates zu befreien. Anders als die Politiker der alten Garde hatte er verstanden, dass es im modernen Medienzeitalter nicht mehr darauf ankommt, Parteigremien hinter sich zu bringen, sondern sich dem Wähler zu verkaufen. Passenderweise stellte er sich dem Käufer bzw. dem Publikum per Videokassette vor, ausgeliefert am späten Nachmittag des 26. Januar 1994 an alle Fernsehsender, rechtzeitig für die Ausstrahlung zur besten Sendezeit.
Der Auftritt war inszeniert wie eine Ansprache aus dem Oval Office im Weißen Haus. Berlusconi saß hinter einem großen, Respekt gebietenden Schreibtisch im Arbeitszimmer seiner luxuriösen Villa aus dem 18. Jahrhundert, eingerahmt von hinter ihm hängenden Familienporträts, und wandte sich in gravitätischem und staatsmännischem Ton an die Nation. Obwohl er zu der Zeit kein politisches Mandat innehatte, wirkte er, als wäre er bereits Präsident.
In seiner Verkaufsstrategie überließ Berlusconi nichts dem Zufall. Der Name seiner Partei Forza Italia ist nicht umsonst dem Schlachtruf der italienischen Fußballfans entlehnt. Immer eine positive Ausstrahlung haben, immer sauber, nett und adrett sein, bläute er seinen Parteifreunden ein, so als wären sie Vertreter seiner Firma.
Seine größten Trümpfe sind seine unerschöpfliche Energie, seine große Detailbesessenheit und sein fast grenzenloses Selbstvertrauen. Seine tiefsten Überzeugungen entspringen, so scheint es, solchen Evangelien amerikanischer Selbstvervollkommnungskultur wie Dale Carnegies "Wie man Freunde gewinnt" und Norman Vincent Peales "Die Macht des positiven Denkens". Im Zuge eines Schulungskurses für die Verkäufer seiner Werbefirma erklärte er den Teilnehmern, er stelle sich jeden Morgen vor den Spiegel und sage mehrmals: "Ich mag mich. Ich mag mich."
Neben seinem Quasifernsehmonopol, zu dem nicht nur die Hoheit über die kommerziellen Kanäle, sondern seit seinem politischen Erfolg auch der Zugriff auf die staatliche RAI gehört, ist es der Fußball, der Berlusconis Popularität stützt. Er kaufte den erfolgreichsten Klub des Landes, den AC Milan, und machte den Fußball zu einer der prägenden Säulen seiner Fernsehprogramme. Das Thema Nr. 1 in Italien ist heute weniger die Politik als vielmehr der Fußball.
"Es gehört nicht und wird niemals zu unserem Stil gehören, einen politischen Gegner zu vernichten. Es gehört nicht und wird niemals zu unserem Stil gehören, das öffentliche Radio und Fernsehen wie in totalitären Systemen einzusetzen und Andersdenkende zu verleumden."
Das Verleumden überlässt Berlusconi auch eher seinen privaten Kanälen und den von ihm kontrollierten Zeitungen, wie seine Kampagnen gegen den Mailänder Staatsanwalt Di Pietro und gegen den Altmeister des italienischen Journalismus Indro Montanelli bewiesen. Dabei ist die Diffamierung Andersdenkender in Berlusconis schöner neuer italienischer Medienwelt auch fast nicht mehr nötig. Über die negativen Seiten Berlusconis wird kaum noch berichtet: über seinen Interessenkonflikt als Regierungschef, der gleichzeitig Medienzar ist z.B., über die Berufung seiner eigenen Anwälte in die Justizkommission, die Gesetze in seinem Sinn entwickelten, über die Bestechung von Richtern und über Berlusconis Verbindungen zur Mafia. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn, so Berlusconis Weltbild.
Ein Teil der Richter, zum Glück eine absolute Minderheit, nennen wir sie die linken, nutzten die Justiz für politische Zwecke aus. Das ist geschehen und passiert leider immer noch.
Die italienische Linke ist nicht unschuldig am Deutungsmonopol des Ministerpräsidenten. In den Jahren zwischen 1999 und 2001, als die PDS die Regierung bilden konnte, versuchte sie nur halbherzig, die Medienmacht Berlusconis zu brechen. Um ihn zur Mitarbeit an einer Wahlrechtsreform zu bewegen, verzichtete die Koalition nicht nur auf gesetzliche Maßnahmen gegen seine Monopolstellung, sondern unterband staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen ihn. Zum Schluss stand sie mit leeren Händen da: Berlusconi brachte die Reform zum Platzen, nachdem er sich auf der sicheren Seite wusste. Frechheit siegt. Berlusconi selbst zu für ihn heiklen Themen zu befragen, erweist sich als unsinnig, so Alexander Stilles Erfahrung. Selbst einfach nachzuprüfende Fakten streitet Berlusconi einfach ab.
"Beim Nachdenken über Berlusconis seltsames Verhältnis zur Faktenwahrheit dämmerte mir, dass die Begegnung mit ihm mir eine tief reichende anthropologische Diskrepanz vor Augen geführt hatte. Dass für mich Dinge wie Genauigkeit im Umgang mit Fakten, das Dokumentieren von Aussagen, die Orientierung an objektiven Wahrheiten so wichtig sind, gehört zu meinem Rüstzeug als Journalist, als Mann des gedruckten Wortes, zum verschrobenen, naiven und altmodischen Credo eines durch Gutenberg und die Aufklärung geprägten Zeitalters; Berlusconi dagegen ist das Geschöpf einer anderen Ära, einer Ära des Fernsehens und der Massenmedien, in der es im Wesentlichen nur noch auf Image und Wahrnehmung ankommt. Berlusconi ist nicht nur ein Geschöpf, sondern zugleich auch ein Mitschöpfer der postmodernen Welt, in der es nicht mehr entscheidend ist, was tatsächlich passiert ist, sondern an welche Version dessen, was passiert ist, die Leute glauben. "Verstehst du nicht", machte er einmal einem seiner engsten Berater klar, "dass etwas, das nicht im Fernsehen läuft, nicht existiert?"
Für Alexander Stille macht dies das Exemplarische am Fall Berlusconi aus: Auch George W. Bush gewann seine Wahlen, weil er einfach die Wirklichkeit ausblendete und neu inszenierte. Die Menschen sind leichtgläubig, weiß nicht nur Berlusconi. Die meisten Amerikaner halten bis heute Saddam Hussein für den Drahtzieher des 11. September. Arbeiter wählten Bush, obwohl er keinerlei Politik in ihrem Sinne machte, sondern weil er ihnen sympathisch war. Doch, auch das zeigt die Geschichte Berlusconis: Man darf es nicht übertreiben. Die permanente Medienpräsenz könnte zum Stolperstein für seine Wiederwahl im April werden. Die Leute sind seiner müde. Alexander Stille hat ein souveränes und lebendiges Porträt eines der schillerndsten Politiker unserer Zeit verfasst. Es sind keine neuen Fakten, die er schildert, umso erschreckender, dass ein im Grunde undemokratischer Hasardeur wie Berlusconi es in einem Kernland der Europäischen Union bis an die Regierungsspitze schaffen konnte. Und: selbst wenn er im April abgewählt werden sollte, Medientycoon wird er bleiben.
Brigitte Baetz über Alexander Stille: Citizen Berlusconi. Erschienen ist das Buch im C.H. Beck Verlag München, es umfasst 382 Seiten und kostet 24 Euro und 90 Cent.