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Medienkunst in Karlsruhe
Klang-Apparate sind die Stars

Nach Meinung der Ausstellungsmacher im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe braucht der Begriff des "Meisterwerks" dringend ein Update: Sind Expressionismus, Impressionismus und Neue Sachlichkeit noch das Paradigma für Kunst? Das ZKM stellt 100 Meisterwerke zur Diskussion.

Von Peter Backof | 16.07.2018
    Diesen Jingle kennt man noch: "100" - später 1000 - "Meisterwerke", eine Fernsehserie, die berühmte Werke der Kunstgeschichte populärwissenschaftlich erklärt und interpretiert hat. Nur ist "das Gemalte" nicht unbedingt mehr Paradigma für Kunst, meint Kurator Siegfried Zielinski. Es sind längst technische Apparate, die Lebenswirklichkeit - und Kunst - ausmachen. Höchste Zeit, neue "100 Meisterwerke" zur Diskussion zu stellen.
    Siegfried Zielinski: "Natürlich gehen wir an die Geschichte auch mit einem Augenzwinkern ran. '100 Meisterwerke' ist eine Provokation. Wir gehen aber davon aus, dass es das Meisterwerk durchaus gibt, auch in den modernen Medien, den modernen Künsten."
    Aberwitzige Visionen, seltsame Apparate: Die Mona Lisa würde an manchen Stationen womöglich breit grinsen müssen. "Kunst in Bewegung - 100 Meisterwerke mit und durch Medien" ist vor allem eine Schau, in der Apparate und Automaten mal nicht dystopisch oder kafkaesk rüber kommen, sondern heiter, poetisch, zauberhaft.
    Der erste Synthesizer der Geschichte
    Wie ein Märchen aus "1001 Nacht": Medienkunst aus dem Jahr 850. Siegfried Zielinski entdeckte in Beirut die Bedienungsanleitung und hat den Apparat der drei Brüder Banu Musa zusammen mit Studenten der Universität der Künste Berlin - vielleicht zum ersten Mal.
    Siegfried Zielinski: "Das Instrument, das von selbst spielt. Jede Melodie, jeden Rhythmus, den du willst, jede Art von Musik!"
    Gut, der Spaß ist leider nach wenigen Sekunden vorbei, bei diesem an Archimedes- und Leonardo-Maschinen erinnernden Klapperatismus. Weil die Griffmuster einer orientalischen Oboe aufwändig in einen mit Wasserdruck betriebenen Holzzylinder eingraviert werden, so dass das Ding "autoplay"-fähig wird. Aber es geht um die Vision, die allumfassende Idee: eine Musikmaschine, die autonom spielt und auch offenlegt, wie das mechanisch geschieht. Wenn man so will, der erste Synthesizer der Geschichte.
    Siegfried Zielinski: "So, hier müssen wir runter. Ich sage auch gern, dass es ein Forschungsparcours ist. Man muss mit einem forschenden Interesse da durch gehen."
    Hier ist alles vernetzt
    Von einer offenen Ballustrade in der Mitte der zweistöckigen Schau kann man sich ganz gut einen Überblick verschaffen. Die Idee ist, einen neuen Kanon zu behaupten, als vom Wiki-Gedanken inspirierte Anthologie, mit viel Erklärtext: Was sind die Kunstwerke, die unsere Zeit prägen. Und warum. Gemaltes ist tatsächlich nicht dabei. Mal werden Klänge zur Skulptur wie in den Kugel-Lautsprechern von Hermann Scherchen, die Surround-Sound schon vor achtzig Jahren vorwegnahmen. Und oft sind die Klang-Apparate die eigentlichen Stars.
    Siegfried Zielinski: "Sie sehen: Auf der Bühne stehen nur noch Lautsprecher, keine Musiker mehr. Ein Schock damals für das Publikum."
    In Karlheinz Stockhausens "Gesang der Jünglinge". Mit voller Absicht flankiert Siegfried Zielinski Werke aus einem akademischen Kontext mit Pop. So steht eine handelsübliche Fender-Telecaster-E-Gitarre neben dem Stockhausen-Video. Aus einleuchtendem Grund: Bei beiden sind Erzeugung des Klangs und die Wiedergabe durch Lautsprecher entkoppelt, sie sind sich fern, altgriechisch "tele".
    Und so ist auch in einem Film von Jean Cocteau das Telefon der Hauptdarsteller. Die menschliche Protagonistin erhängt sich am Ende mit einem Telefonkabel. Das eine behauptete Meisterwerk hat in dem Karlsruher Portfolio immer etwas zu tun mit dem nächsten. Hier ist alles vernetzt. Von der skulpturalen Qualität der ersten Apple-Platine, über allumfassende futuristische Welt- Gesamtkunstwerke wie das von Alexej Gusev, bei dem Lokomotiven, Betonmischer und Harley Davidsons die Stars sind. Und schließlich kriecht alles visionär Ausufernde doch wieder zurück in die Nussschale.
    Digitalisierung leicht gemacht
    Die "Shannon-Maschine" ist wohl der simpelst mögliche Apparat, ein Holzkasten mit einem An- und Aus-Schalter. Wenn man anschaltet, fährt eine kleine Metallhand aus dem Kasten und schaltet ihn wieder aus. Digitalisierung erklärt in 3 Sekunden. Stark! Lustig!
    Siegfried Zielinski: "Da bin ich fest davon überzeugt: Wir sind jetzt – was mich als Medienforscher und Medienarchäologe natürlich interessiert - noch in der Phase, wo sich Mensch und Maschine gegenüberstehen. Und das geht immer mehr ineinander, wird so eine hybride Realität zwischen Technologie und Biologie."
    In Algen nach Algorithmen suchen. Oder berührungsempfindliche Pflanzen Kunst gestalten lassen. Die obere Etage im Zentrum für Kunst und Medien lässt dann schon mal vorausblicken auf mögliche Meisterwerke der Zukunft. Inspirierend, selbstironisch, toll präsentiert. Eine schöne Sommer-Ausstellung!