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Medizin aus dem Meiler

Physik. - Radioaktive Teilchen, sogenannte Isotope, spielen in der medizinischen Diagnostik eine wichtige Rolle. Allerdings wurden sie zuletzt knapp, denn die wenigen Nuklearreaktoren weltweit, die sie produzieren, waren zum Teil außer Betrieb. Forscher denken darum darüber nach, wie sie die radioaktiven Teilchen noch herstellen könnten.

Von Björn Schwentker |
    Nur 66 Stunden dauert es, dann ist die Hälfte des für die Ärzte so wichtigen radioaktiven Materials schon wieder zerstrahlt. Technetium-99m heißt der medizinische Strahler. Gewonnen wird er aus dem radioaktiven Molybdän-99, das weltweit nur in einer Handvoll Reaktoren hergestellt wird. 85 Prozent des europäischen und nordamerikanischen Bedarfs stammen allein aus zwei Reaktoren: einem im niederländischen Petten und einem in Ontario, Kanada. Fällt nur eine Anlage aus, wie im letzten Sommer der Petten-Reaktor, wird Molybdän-99 in der Region knapp. Weit transportieren kann man es nicht, zu schnell zerfällt der Stoff. Die Versorgungslage sei keineswegs sicher, sagt Thomas Ruth, Radiochemiker vom kanadischen Teilchenforschungszentrum TRIUMF.

    "Das Problem ist, dass die wichtigen Reaktoren etwa 50 Jahre alt sind. Es wird immer aufwändiger, sie am Laufen zu halten. Und plötzlich könnte es gar nicht mehr möglich sein, sie sicher zu betreiben. Wir brauchen darum Pläne für die Zeit danach."

    Nur noch bis um das Jahr 2015 gelten die Lizenzen der großen Reaktoren. Zwar sind Nachfolgeanlagen geplant, doch unter Nuklearmedizinern glaubt kaum jemand, dass sie rechtzeitig fertig werden. Thomas Ruth fragt sich generell, ob Kernreaktoren noch zeitgemäß sind, um Isotope für die Medizin zu produzieren. Denn sie verwenden gefährliches, hoch angereichertes Uran-235, das die Internationale Atomenergieorganisation aus solchen Anlagen verbannen möchte.

    "Sie versuchen, die Verwendung dieses Materials zu verhindern, denn wenn man es für die Isotopen-Produktion benutzt hat, bleibt danach Uran übrig, aus dem man Bomben bauen kann. Und es wird befürchtet, dass es in falsche Hände gerät."

    Um medizinische Isotope zu erzeugen, sind bisher Kernreaktoren nötig: Sie produzieren Neutronen, die dann auf hoch angereichertes, waffenfähiges Uran-235 geschossen werden. Dadurch spaltet sich das Uran und es entsteht – unter anderem – das medizinische Isotop Molybdän-99. Doch es ginge auch anders, sagt Radiochemiker Thomas Ruth. Statt waffenfähigem Uran ließe sich auch natürliches Uran verwenden. Es hat drei Neutronen mehr im Atomkern, heißt darum Uran-238, und ist für Waffen ungeeignet. Um daraus medizinische Radionuklide zu gewinnen, braucht man nicht einmal einen Kernreaktor. Denn man muss das natürliche Uran nicht mit Neutronen, sondern mit energiereichem Licht bestrahlen. Und das könnte aus einem Elektronenbeschleuniger kommen, wie Teilchenphysiker ihn normalerweise verwenden. Die Sache hat nur einen Nachteil:

    "Ein Beschleuniger könnte nie so viel produzieren wie ein Reaktor. Man bräuchte also mehrere Beschleuniger. Aber sie wären viel einfacher zu bedienen als Reaktoren und man hätte keinen gefährlichen Reaktorkern mehr, der bisher die größte Menge an radioaktivem Abfall erzeugt."

    Insgesamt, so hat man am kanadischen Kernforschungszentrum TRIUMF ausgerechnet, wäre die Isotopen-Produktion auch mit mehreren Teilchenbeschleunigern noch billiger als mit Reaktoren. Denn Sicherheitsmaßnahmen fielen weitgehend weg, und das spare viel Geld. In Kanada will man jetzt den ersten Prototypen solch eines Beschleunigers bauen. Die Nuklearmediziner sehen die Idee bisher eher skeptisch. Sie halten an der Reaktortechnologie fest. Das habe keine technischen Gründe, glaubt Thomas Ruth.

    "Die Mediziner sind generell recht konservativ. Wenn etwas mal funktioniert, wollen sie es lieber nicht ändern. Sie haben Angst, für etwas Neues keine behördliche Zulassung zu kriegen. Und das wäre bei einer anderen Produktionsweise von Molybdän-99 nötig."

    In Kanada auf jeden Fall haben die Gesundheitsbehörden gegen die Beschleunigeridee nichts einzuwenden. In Europa hat sie noch niemand gefragt.