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Mediziner unter dem Hakenkreuz

Viele Mediziner waren in den Zeiten des Nationalsozialismus Hitlers willige Helfer, beteiligten sich bereitwillig an Euthanasieprogrammen, obwohl es dafür nie eine gesetzliche Grundlage gab, begrüßten mit offener oder klammheimlicher Freude die Arisierung, die ihre jüdischen Kollegen ins Exil oder ins KZ trieb und ihnen selbst umfangreichere Erwerbsmöglichkeiten eröffnete. Hans G. Helms stellt nun drei Neuerscheinungen über Mediziner in den Zeiten des Nationalsozialismus vor.

Hans G. Helms | 26.03.2001
    Auffällig ist, dass sich die medizinischen Fakultäten der DDR bei der Aufarbeitung ihrer eigenen jüngeren Geschichte sehr zurückhielten. Dies verwundert um so mehr, bedenkt man, welchen Anspruch die DDR bei der "Bewältigung" der NS-Vergangenheit erhoben hatte. Unter der Leitung von Achim Thom beschäftigten sich die Mitarbeiter des "Karl-Sudhoff-Institutes" in Leipzig in den letzten Jahren der DDR zwar intensiv mit der "Medizin im Faschismus", sie bezogen die eigene Fakultät jedoch nur partiell ein. (...) An anderen ostdeutschen medizinischen Fakultäten wurde die Zeit des Nationalsozialismus nur in kurzen Publikationen, meist begrenzt, thematisiert.

    Dieses Resümee stellt die Jenenser Chirurgin und Medizinhistorikerin Susanne Zimmermann ihrer Untersuchung über "Die Medizinische Fakultät der Universität Jena während der Zeit des Nationalsozialismus" voran. In der Bundesrepublik begann die Erforschung der Mediziner als Mordgehilfen der Nazis um 1980 und blieb Außenseitern wie Walter Wuttke, Ernst Klee und Karl Heinz Roth vorbehalten. In beiden nun vereinten deutschen Staaten reagiert man auf faktenreiche medizinhistorische Darstellungen mit Leugnen und Empörung. Aus den Spalten der Thüringer Presse schlug Susanne Zimmermann offener "Hass" entgegen, sie sei eine Nestbeschmutzerin, hieß es. Susanne Zimmermann zitiert in ihrer Studie Thüringens Gauleiter und Reichsstatthalter Fritz Sauckel 1933 mit dem Ziel, "die Universität Jena zu einem nationalsozialistisch wissenschaftlichen Stützpunkt erster Ordnung auszubauen".

    Der Faschisierung des Lehrkörpers geht die Faschisierung der Studentenschaft voraus. Schon 1934 sind in den beiden größten Jenenser Disziplinen, Medizin und Jura, gut ein Viertel der Kommilitonen Mitglieder des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds. Gleichzeitig werden ältere und nicht genehme Professoren durch NS-Mediziner ersetzt. Als erster wird Karl Astel, der Präsident des Thüringer Landesamts für Rassewesen, berufen:

    Er "wurde am 1.6.1934 ordentlicher Professor für 'Menschliche Züchtungslehre und Vererbungsforschung' an der Medizinischen Fakultät der Universität Jena".

    Astel richtet die gesamte Fakultät nach faschistischen Vorstellungen wie "Ahnenerbe", "Auslese" und "Ausmerze" aus und ruft zu einem "uneingeschränkten 'Vernichtungskampf gegen das Judentum'" auf.

    Zusammen mit Jenenser Kollegen wird Astel Beisitzer in "Erbgesundheits-" und "Erbgesundheitsobergerichten", die psychisch Kranke und Behinderte zur Zwangssterilisation oder zum Euthanasietod verurteilen. Dem 1939 zum Rektor und Staatsrat beförderten Astel steht als Praktiker der "Vernichtung 'lebensunwerten Lebens'" ab Herbst 1938 der Psychiater Berthold Kihn zur Seite.

    "Die endgültige Ernennung Kihns (zum Psychiatrieprofessor und Leiter der Psychiatrischen Klinik) erfolgte durch den 'Führer und Reichskanzler' Adolf Hitler am 6.3.1939."

    Kihn agiert als fleißiger Gutachter bei der als "Aktion T 4" vernebelten Erwachsenen-Euthanasie:

    "Wieviele Patienten er als 'Gutachter' in den Tod schickte, ist nicht bekannt. (...) In der Diskussion (um ein Euthanasiegesetz) forderte Kihn eine generelle gesetzliche Meldepflicht für 'bestimmte Kranke' (durch deren) Angehörige (...). Weiterhin schlug der Jenaer Psychiater vor, man müsse 'gesetzlich alle ärztlichen Eingriffe unterbinden (...), die bei unheilbaren Leiden und eingetretenem Todeskampf eine Verlängerung des Lebens mit sich bringen könnten.'"

    Euthanasie wie Zwangssterilisation richten sich unverkennbar nach kapitalistischen Utilitätskriterien. In Susanne Zimmermanns Worten:

    "Bei der 'Beurteilung' der Patienten war weniger das 'Krankheitsbild (als) vielmehr das Ausmaß der Produktivität, also die 'Nützlichkeit' der Patienten, ausschlaggebend."

    Dem 1981 "auf Grund massiven Drucks aus der Ärzteschaft" von der Universität Tübingen vertriebenen Medizinhistoriker Walter Wuttke hat Christoph Kopke unter dem Titel "Medizin und Verbrechen" eine Festschrift zum 60. Geburtstag gewidmet, an der sich andere Mitkämpfer der NS-Forschung, unter ihnen Karl Heinz Roth, beteiligt haben. In den 70-er Jahren begann Wuttke mit den Vorarbeiten zu der Wanderausstellung Volk und Gesundheit. Heilen und Vernichten im Nationalsozialismus, die zwischen 1982 und 1985 in 24 deutschen Städten die Bevölkerung über die Verbrechen der NS-Medizin aufklärte.

    "Walter Wuttke (eröffnete) die Ausstellung jeweils mit einem Einführungsvortrag. Vermutlich hat nur noch die umstrittene Wehrmachtsausstellung (...) eine vergleichbare Resonanz und Breitenwirkung gefunden."

    Die Beiträge der Festschrift untermauern die These der Ausstellung:

    "Nationalsozialistische Medizin war insgesamt Leistungs-, Billig- und Vernichtungsmedizin, weshalb die Verbrechen in den Konzentrationslagern nicht isoliert von den Entwicklungen des übrigen Gesundheitswesens betrachtet werden können."

    Der zweite bahnbrechende Außenseiter ist der Theologe und Sozialpädagoge Ernst Klee. 1983 hat er mit seiner Arbeit über Euthanasie im NS-Staat der systematischen Erforschung der NS-Medizin einen weiteren Anstoß gegeben. In seinem neuen Werk über Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer bekräftigt Klee implizit Wuttkes These, indem er die enge Zusammenarbeit der großen deutschen Forschungsinstitute "Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften" und der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" mit den kriminellen medizinischen "Experimenten" der Wehrmacht und der SS herauspräpariert.

    "Eine besondere Rolle bei Menschenversuchen im Dritten Reich kommt der 'Deutschen Forschungsgemeinschaft' (DFG) zu: Sie finanziert sie. (...) Die Finanzmittel der DFG stammen vorwiegend aus der Industrie."

    Zu den Begünstigten zählt auch Josef Mengele, Assistent bei Professor Othmar Freiherr von Verschuer, dem Leiter des "Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie".

    Mengele wird 1943 "zur Forschung nach Auschwitz versetzt und die Erbbiologische Zentralsammlung massenhaft mit erbpathologischen Kostbarkeiten beliefern. Skelette verwachsener Menschen, abgeschnittene Kinderköpfe, abgetriebene Föten, kistenweise Augen. Auschwitz-Birkenau wird zum weltweit einmaligen Forschungslabor des KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.

    Aus Ernst Klees minutiös dokumentierter Untersuchung gewinnt man die Erkenntnis: Die meisten der an NS-Verbrechen beteiligten Mediziner gehen - wie die beiden Forschungsinstitute - nach 1945 unbehelligt ihren Geschäften nach und leiden unter totaler Amnesie, erinnert man sie an ihre Aktivitäten in der Nazi-Ära. Deshalb gelangt Ernst Klee zu dem wiederum durch Fakten gestützten Fazit:

    "Die anthropologischen Institute nennen sich fortan humangenetische Institute, die Kaiser-Wilhelm-Institute heißen Max-Planck-Institute. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das zentrale Selbstverwaltungsorgan der Wissenschaft, beklagt 1996 in einer Denkschrift Behinderungen der Forschung, speziell bei Gentechnik und Embryonenforschung. Titel der Denkschrift: "Forschungsfreiheit".

    Susanne Zimmermanns Studie "Die Medizinische Fakultät der Universität Jena während der Zeit des Nationalsozialismus" ist als Band 2 der "Ernst-Haeckel-Haus-Studien - Monographien zur Geschichte der Biowissenschaften und Medizin" erschienen, Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin, 223 Seiten, DM 48,--.

    Christoph Kopke ist Herausgeber von "Medizin und Verbrechen - Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wuttke", Verlag Klemm & Oelschlaeger, Ulm. 320 Seiten, DM 49,80.

    Der Band "Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer" von Ernst Klee schließlich ist als Fischer Taschenbuch erschienen, Frankfurt/Main. 525 Seiten, DM 29,80.