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Medizinermangel
Betriebsärzte dringend gesucht

Betriebsärzte haben regelmäßige Arbeitszeiten, kaum Wochenenddienste und ein gutes Gehalt. Trotzdem gibt es zu viele offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Aktuell sind 60 Prozent der Betriebsärzte 60 Jahre und älter. In Zukunft könnte sich der Betriebsärztemangel noch verschlimmern.

Von Stephanie Kowalewski | 29.12.2016
    Ein Artzt im weissen Kittel erläutert einem Patienten, den man nur von hinten sieht, das, was auf einer medizinischen Tafel erläutert ist.
    Betriebsärzte arbeiten eher präventiv und klären die Mitarbeiter auf. (Andrea Castillo-Sohre)
    Eigentlich sieht hier alles aus, wie in einer ganz normalen Hausarztpraxis: Halbrunde Empfangstheke mit Arzthelferinnen, die Termine vergeben:
    "Betriebsärztlicher Dienst, guten Morgen. Ja sagen sie mir die Personalnummer und den Namen des Mitarbeiters."
    Aber im Wartezimmer sitzen fast nur Menschen mit Sicherheitsschuhen, Leuchtwesten, Helmen in den Händen. Hier im Betriebsärztlichen Dienst bei ThyssenKrupp Steel in Duisburg kümmern sich 18 Arbeitsmediziner um rund 21.000 Mitarbeiter. Während die einen am Hochofen mit extremer Hitze zurechtkommen müssen, brauchen die anderen einen ergonomischen Büroarbeitsplatz und Tipps, wie man verspannte Nacken wieder locker kriegt.
    "Herr A. bitte. Guten Morgen. Groeling-Müller. Bitte kommen sie mit durch."
    Mitarbeiter statt Patienten
    Betriebsarzt Georg Groeling-Müller holt den nächsten Patienten aus dem Wartezimmer persönlich ab. Aber eigentlich spricht er nicht von Patienten, sondern von Mitarbeitern. Denn die, die zu ihm kommen, sind oft kerngesund und wollen das von einem Betriebsarzt bestätigt bekommen.
    "Sie kommen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge. Richtig?" - "Genau." - "Und sie kommen aus dem Eisenbahnbetrieb?" - "Ja aus dem Eisenbahnbetrieb." - "Und was machen sie da ganz praktisch?" - "Lokführer. Im Roheisenbereich Züge fahren." - "Ok. Bitte machen sie als erstes einmal den Mund weit auf. Einmal A sagen." - "A" - "Danke."
    Der 45jährige ist Betriebsarzt aus Leidenschaft, obwohl er seinen Traumberuf eher zufällig gefunden hat.
    "Weil ich weg aus dem Krankenhaus wollte."
    Regelmäßigere Arbeitszeiten
    Damals war er Vater geworden, wollte nicht mehr die vielen Bereitschaftsdienste in der Klinik machen.
    "Arbeitsmediziner haben gute Arbeitszeiten im Vergleich mit den niedergelassenen Kollegen und im Vergleich mit dem Krankenhaus. Das heißt, wir haben typischerweise jedes Wochenende frei, wir haben typischerweise keinen Nacht- und keinen klassischen Bereitschaftsdienst."
    Und mal abgesehen von den Zulagen für Sonderschichten sei das Grundgehalt von Betriebsärzten vergleichbar mit anderen angestellt arbeitenden Ärzten, sagt er. Also bewarb er sich vor gut 11 Jahren auf die freie Stelle bei ThyssenKrupp in Duisburg - ohne wirklich eine Ahnung zu haben, was so ein Betriebsarzt überhaupt macht - und bekam die Stelle.
    "Und inzwischen ist es einer der besten Zufälle in meinem Leben. Ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen."
    Viele Betriebsärzte über 60 Jahre alt
    Weil aber die meisten Ärzte und Medizinstudenten immer noch keinen blassen Schimmer vom Job als Betriebsarztes haben, wird es zunehmend schwieriger freie Stellen zu besetzten. Obendrein sind aktuell 60 Prozent der Betriebsärzte 60 Jahre und älter. Deshalb könne laut einer Studie in den kommenden Jahren nur noch die Hälfte des Betreuungsbedarfs abgedeckt werden. Und so erzählt Georg Groeling-Müller den Medizinstudenten der Uni Düsseldorf jedes Semester, wie sein Arbeitsalltag so aussieht.
    "Dass wir auch wirklich in den Produktionsbetrieben unterwegs sind, um gemeinsam mit dem Betrieb zu überlegen, können wir dort was verbessern, müssen wir dort was verbessern. Bei uns geht es auch um die Frage, ob jemand gefahrlos Atemschutzgeräte tragen kann. Es geht aber auch um die Beratung, warum denn Bluthochdruck eigentlich etwas ist, was sich lohnt, behandeln zu lassen. Wir haben Zeit, uns wirklich ganzheitlich um die Mitarbeiter zu kümmern. Das ist das, was mir unheimlichen Spaß macht."
    Und genau das, kommt auch bei Mitarbeitern gut an.
    "Das ist sehr gut sogar. Also man hat immer die Möglichkeit hierhin zu kommen, man ist schnell dran, man kriegt eine gute Untersuchung. Das ist richtig praktisch auf jeden Fall."
    Eher präventive Arbeit
    Abschreckend für viele Ärzte sei jedoch, räumt Georg Groeling-Müller ein, dass Betriebsärzte eher präventiv arbeiten. Das Heilen kranker Patienten spielt so gut wie keine Rolle. Um dem gesetzlichen Anspruch auf eine betriebsärztliche Versorgung künftig dennoch gerecht werden zu können, fordert zum Beispiel die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, das so genannte Unternehmermodell auszuweiten – also Mitarbeiter so fortzubilden, dass auf Betriebsärzte ganz oder teilweise verzichtet werden kann.
    "Das ist eine Lösung, den Mangel zu verwalten. Ich halte das für keine gute Idee. Das ist schon ziemliches Expertenwissen, was man in der Unternehmermodellschulung glaube ich nur oberflächlich ankratzen kann."
    Besser sei es, betont der Duisburger Betriebsarzt, den Zugang zur Arbeitsmedizin für erfahrene Ärzte zu erleichtern.
    "Ich kenne tatsächlich mehrere Kollegen, die gerne in die Arbeitsmedizin wechseln würden, wenn sie denn irgendwie die internistische Zeit bekämen. Und das sind erfahrene Kollegen, die teilweise Fachärzte für Chirurgie oder Psychiatrie sind, wo anderthalb Jahre Innere Medizin doch eine große Hürde ist und wo man diese Hürde erleichtern könnte."