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Medizinstudium ohne Numerus Clausus

Ohne ein Einser-Abi kein Medizinstudium. So war das schon immer. So soll es aber nicht bleiben, meinen die Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie die Krankenhausgesellschaft NRW. Sie fordern mehr Studenten und weg mit dem Numerus clausus.

Von Stephanie Kowalewski | 10.08.2009
    Die gegenwärtige Situation ist kurios: Einerseits gab es noch nie so viele Ärzte an nordrhein-westfälischen Kliniken wie derzeit, und doch sind alleine hier rund 1000 Stellen unbesetzt. Ein Mangel, den auch Prof. Ulrich Decking, Arzt und stellvertretender Studiendekan der Medizinischen Fakultät an der Uni Düsseldorf, sieht.

    "Aber dieser Mangel resultiert nicht daraus, dass wir zu wenig Studenten ausbilden, nicht daraus, dass zu wenige Examen machen, sondern daraus, dass viele den Arbeitsplatz im Krankenhaus nicht attraktiv finden. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Anzahl der Studienplätze um zehn Prozent pro Jahr erhöht würde."

    Richard Zimmer, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen ist anderer Meinung. Er ist überzeugt, dass wir in Zukunft deutlich mehr Medizinstudenten brauchen.

    "Bis 2017 werden in Deutschland 77.000 Ärzte den Ruhestand erreichen, also ausscheiden und deutlich weniger Ärzte werden in den Beruf einsteigen."

    Denn immer weniger Medizinstudenten landen nach ihrem Examen am Bett der deutschen Patienten. So wie Nora Giese, Jeniffer Bötcher und Franziska Schiffer, die in Düsseldorf Medizin im zweiten Semester studieren.

    "Also ich habe vor ins Ausland zu gehen später, ja."

    "Ich will ja auch in die Forschung, also ich werde wahrscheinlich auch keine Klinikerin."

    "Von den Arbeitsbedingungen her denke ich in jedem Fall, dass es sinnvoller wäre, ins Ausland zu gehen, ich weiß aber nicht, ob ich meine Wurzeln hier nicht behalten möchte einfach, dass ich in Deutschland bleiben möchte."
    Von den etwa 15.700 Studierenden, die ihr Studium pro Jahr erfolgreich abschließen, behandeln rund 2500 Absolventen Kranke lieber im Ausland als in der Heimat. Und noch einmal so viele entscheiden sich statt für die Klinik für den Schreibtisch in einem Labor, einer Versicherung oder Beraterfirma.

    "Deshalb unsere Forderung, die Anzahl der Studienplätze deutlich zu erhöhen, oder wir müssen den Numerus Clausus abschaffen, zumindest das Auswahlverfahren deutlich ändern, dass nicht nur die Abinote alleine zählt, sondern dass Auswahlgespräche geführt werden."

    Sagt Richard Zimmer.

    Eine Forderung, die auch die Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe mittragen. Für eine Lockerung des Numerus Clausus sprach sich kürzlich auch der Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes und die sächsische SPD-Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange aus.

    Medizinstudium ohne NC - ein fast revolutionärer Gedanke. Dennoch hält sich die Begeisterung bei den Studentinnen in Grenzen.

    "Man merkt einfach, dass der NC oft nichts darüber aussagt, wie gut man für den Beruf qualifiziert ist. Also auch die soziale Kompetenz wird ja überhaupt nicht mit einberechnet dabei. Und deshalb fände ich es schon gerechter, auf jeden Fall."

    "Aber ich glaube nicht, dass die Abschaffung jetzt unbedingt dieser Entwicklung entgegenwirken würde, dass so viele Leute ins Ausland gehen, denn ob jetzt jemand ein gutes Abitur hat oder nicht, jeder möchte später gute Arbeitsbedingungen haben. Und die sind im Ausland einfach besser als in Deutschland."

    "Ist natürlich auch mehr Aufwand, wenn ich einzelne Gespräche führe, dann muss die Uni das ja auch irgendwie schaffen, organisatorisch hinzukriegen. Ich verstehe da auch die Unis, die sagen, für uns ist es leichter, wir machen einfach NC, dann macht das die ZVS für uns und wir sind fertig."

    Auswahlgespräche hält auch Studiendekan Ulrich Decking für unrealistisch.

    "Auswahlgespräche sind im hohen Maße subjektiv, und das ist bei einem Studiengang, der sehr begehrt ist, ein rechtliches Problem."

    Außerdem sind sie zu teuer und zu wenig effizient - auch für die Studierenden, die ja für die wohl eher kurzen Gespräche zu den Unis reisen müssten. Wenn dann ein Bewerber die Zusage von mehreren Unis bekäme, wäre der ganze Aufwand umsonst, meint Decking. Und das Hauptproblem, dass viermal mehr Abiturienten Medizin studieren wollen, als Platz und auch Bedarf da ist, lösen sie auch nicht.

    "Wenn ich Einem einen Studienplatz gebe, nehme ich vier anderen einen Studienplatz weg. Und dieses Dilemma ist eigentlich nicht auflösbar."

    Um Ärzte für die unbesetzten Stellen in den Kliniken zu finden, müssten sich nach seiner Ansicht, und auch der vieler Studenten, eher die Arbeits- als die Studienbedingungen ändern. Bleibt also alles wie gehabt oder hat die Forderung von Krankenhausgesellschaft und Ärztekammern doch eine Diskussion in Gang gesetzt? Schulterzucken bei Richard Zimmer.

    "Wir haben sehr verhaltene Reaktionen, zum Beispiel die Reaktion des Wissenschaftsministeriums hier in NRW, unter der Hand: Wir sehen die Probleme, aber wir sehen auch die Haushaltsrestriktionen."
    Doch das fehlende Geld ist offenbar nicht allein das Problem. Bis auf Weiteres heißt es deshalb: Medizinstudium gibt's weiter nur mit Einser-Abi.