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Medizinstudium trotz NC
In Polen studieren, in Hamm arbeiten

Viele Deutsche studieren mittlerweile Medizin im Ausland, weil sie aufgrund ihres Numerus Clausus keinen Studienplatz in Deutschland bekommen haben. Gleichzeitig werden hierzulande Ärzte händeringend gesucht. Um dem entgegenzuwirken, kooperiert das Evangelische Krankenhaus jetzt mit der Universität in Stettin.

Von Dirk Groß-Langenhoff | 14.11.2017
    Ein menschliches Skelett vor Studenten in einem Hörsaal
    Für angehende Mediziner, die keinen Studienplatz bekommen, eine echte Alternative: Studium in Polen, Praktisches Jahr in Deutschland (imago/Bernhard Classen)
    Saskia Wiazek macht ihr praktisches Jahr im Evangelischen Krankenhaus Hamm. Zwischen Monitoren, die den Herzschlag der Patienten überwachen und Beatmungsgeräten steht die angehende Medizinerin in Deutschland nur deshalb, weil die Klinik in Hamm Lehrkrankenhaus der Universität im polnischen Stettin ist. Dort studiert Saskia Wiazek Medizin, weil sie in Deutschland keinen Studienplatz bekommen hat.
    "In unserem Studienjahrgang sind wir alle Ausländer. Die polnischen Studenten haben ihren eigenen Jahrgang und wir sind 'english division' sozusagen. Das geht alles auf Englisch. Und das ist separat. Die meisten von uns kommen aus Norwegen, Schweden und dann auch die meisten Deutsche. Ja, und vereinzelt auch welche aus Amerika, Kanada, China glaube ich auch. Polnisch ist eben keine Voraussetzung, weil das komplette Studium auf Englisch abläuft."
    Motivation: Sprachbarriere
    Die Idee zur Kooperation zwischen Stettin und Hamm hatte Saim Baig. Auch er ist deutscher Medizinstudent in Polen und macht jetzt sein praktisches Jahr in Hamm. Motivation für die Anregung sei vor allem die Sprachbarriere in den polnischen Kliniken gewesen.
    "Dann kam mir die Idee, weil unser letztes Jahr vom Studium ist ja so ein praktisches Jahr, wieso man das nicht hier machen könnte, um das Gesundheitssystem besser kennen zu lernen und um die praktischen Fähigkeiten zu verbessern. Und zwar läuft das in Polen ein bisschen anders als hier. Wir sind vier Studenten und ein Arzt. Der Arzt fungiert als Dolmetscher. Und dabei geht halt vieles verloren, was zur Gesprächsführung gehört. Das hat man hier jetzt natürlich nicht."
    Im Evangelischen Krankenhaus in Hamm hat man sich über die Idee von Saim Baig gefreut. Denn in allen Abteilungen würden momentan händeringend Mediziner gesucht, sagt der ärztliche Direktor Professor Dr. Wolfgang Kamin.
    "Wir haben in Deutschland einen Ärztemangel. Wir haben in Deutschland einen Pflegenotstand. Das liegt im ärztlichen Bereich natürlich ganz klar daran, dass wir pro Jahr zwei- bis dreitausend zu wenig ausbilden, weil zu wenig an den Universitäten an Ausbildungsplätzen da sind."
    Für Ausländer nicht kostenlos
    Stellt sich nur noch die Frage, wie fair die Kooperation zwischen Stettin und Hamm eigentlich ist. Kritiker bemängeln, es könnte einen so genannten "Brain Drain" geben, also die Abwanderung von polnischen Studierenden ins besser bezahlte Deutschland. Doch durch die Kooperation haben ausschließlich Deutsche, die in Deutschland keinen Studienplatz gefunden haben, die Möglichkeit, ihr praktisches Jahr in ihrem Heimatland zu machen. Dafür müssen sie auch viel Geld mit nach Stettin bringen. Das Studium dort sei - anders als in Deutschland - für Ausländer nicht kostenlos, erzählt Saskia Wiazek.
    "In Polen müssten wir pro Semester 4.750 Euro Studiengebühren bezahlen, also ungefähr 10.000 Euro im Jahr. Und das über sechs Jahre. Die Lebenshaltungskosten sind deutlich weniger als in Deutschland. Der Wohnungsmarkt ist auch sehr gut in Stettin, also man bekommt sehr schnell eine relativ günstige und auf einem hohen Niveau Wohnung. Und Essen und sowas ist auch einiges günstiger als in Deutschland."
    Eine klassische Win-Win-Situation
    Viele ausländische Studierende würden in Stettin sogar mit dem Taxi zwischen Wohnung und Uni pendeln, weil das so günstig wie eine Busfahrt in Deutschland sei. Durch die ausländischen Studierenden werde die polnische Wirtschaft angekurbelt. Eine klassische Win-Win-Situation, findet deshalb Saskia Wiazek. Und auch der ärztliche Direktor in Hamm sieht einen entscheidenden Vorteil in der Kooperation mit der Universität in Stettin.
    "Wir versprechen uns davon, dass der ein oder andere sich entscheidet, hier in der Region zu bleiben. Es sind ja auch viele, die aus der Region sind. Wir haben welche hier direkt aus der Stadt, wir haben welche aus dem Rheinland. Also, hoffentlich bleibt der ein oder andere hier."
    Die medizinische Ausbildung in Stettin sei genauso gut wie in Deutschland, merkt der ärztliche Direktor noch an. Er stelle keinen Unterschied zwischen den neun angehenden Medizinern aus Stettin und den Studierenden von deutschen Unis fest.