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Mehr Binnenmarkt gleich weniger Verbraucherschutz?

Grenzenlos shoppen im einheitlichen Binnenmarkt - das ist das große Versprechen der EU an ihre 500 Millionen Verbraucher. In der Praxis gibt es dann doch viele Hürden: Bei Garantieversprechen, Informationspflichten oder Widerrufsfristen gelten in den 27 EU-Staaten unterschiedliche Standards. Das möchte die EU ändern. Gleiche Rechte für alle Verbraucher, das klingt erst mal toll. Doch wer sich die sogenannte Verbraucherrechtrichtlinie anschaut, mit der das kommen soll, der muss als Verbraucher Schlimmes befürchten. Denn mehr Binnenmarkt könnte auf weniger Verbraucherschutz hinaus laufen. Beraten und beschließen müssen übrigens das Europaparlament und die EU-Mitgliedsstaaten, also auch Deutschland, die neue Richtlinie. Heute beginnt das Gesetzgebungsverfahren.

Von Nadine Lindner |
    "Die Richtlinie ist also ein absolut zentrales Regelwerk, es ist also eine Neufassung der Rechte beim Kauf des Verbrauchers. Das heißt, es ist jeder Kauf betroffen, im Internet oder im Geschäft nebenan. Und wir werden auch in den nächsten zehn Jahren diese Rechte und Pflichten haben, die in Kraft sein werden."

    Die Verbraucherrichtlinie ist also eines der wichtigsten Vorhaben der Europäischen Union in den kommenden Monaten, sagt Ursula Pachl. Sie vertritt als Vizedirektorin der europäischen Verbraucherorganisation knapp 500 Millionen Bürger. Angestoßen wurde die Richtlinie von der Europäischen Kommission bereits vor zwei Jahren. Das Ziel: Sie soll einheitliche Rechte für die Verbraucher in ganz Europa schaffen. Im EU-Jargon heißt das Voll-Harmonisierung. Konkret geht es um Fragen der europaweiten Reklamation und Rückgabe, Informationspflichten der Unternehmen sowie Neuregelungen für Telefon- und Haustürgeschäfte. Heute beginnt im Europäischen Parlament die entscheidende Phase: Der deutsche Berichterstatter Andreas Schwab, CDU-Europaabgeordneter, stellt dem Binnenmarktausschuss seinen Bericht vor. Der könnte richtungsweisend sein für die Haltung des Europäischen Parlaments.

    "Der Prozess, der jetzt in Gang gesetzt werden muss, ist, dass die Verbraucher langfristig überall in Europa die gleichen Rechte haben, denn nur, wenn ein Verbraucher seine Rechte kennt, kann er sie ausüben, und wenn er sie ausüben kann, kann er sie durchsetzen."

    Einheitlich für die ganze Europäische Union soll beispielsweise geregelt werden, innerhalb welcher Fristen Kunden einen Vertrag widerrufen dürfen oder welche Informationen sie von den Unternehmen beim Kauf von Gütern oder Dienstleistungen bekommen müssen. So sollen Billigfluglinien auf ihren Internetseiten Telefonnummern und E-Mail-Adressen angeben. Sie sollen so besser erreichbar sein. Doch wie könnte sich die geplante EU-Verbraucherrichtlinie auf Deutschland auswirken?

    Andreas Schwab: "Grundsätzlich würde ich sagen, dass die wesentlichen Bereiche des Verbraucherrechts, es bleibt im Prinzip alles beim Alten, es gibt zwei Bereiche, wo sich durch den Vereinheitlichungsgesichtspunkt leichte Veränderungen ergeben könnten."

    Verschlechterungen könnte es für deutsche Verbraucher unter anderem beim Rückversand geben. Nur noch Waren über 50 Euro und nicht wie bisher 40 Euro können kostenfrei zurückgeschickt werden. Doch sieht der deutsche CDU-Abgeordnete viele Vorteile durch die geplante EU-Verbraucherrichtlinie: Durch die Rechtssicherheit würden mehr Firmen ihre Produkte grenzüberschreitend anbieten, durch den Wettbewerb hätten die Kunden mehr Auswahl. Die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt sieht die geplanten Regelungen weniger positiv. Sie fürchtet, dass durch die Verbraucherrichtlinie viele Errungenschaften in den Mitgliedsstaaten zunichtegemacht werden.

    Zudem könnten die Einzelstaaten auf neue Entwicklungen nicht mehr mit einer eigenen Gesetzgebung antworten, gibt die Sozialdemokratin zu bedenken. Sie müssten stattdessen auf Entscheidungen aus Brüssel warten. Und das dauere in der Regel. Die Verbraucherrichtlinie habe zu sehr den Binnenmarkt im Auge und zu wenig die Kunden:

    "Das ist der ganz große Vorwurf, den ich mache. Uns wurde auf den Tisch gelegt eine Richtlinie mit dem Namen Verbraucherrichtlinie, aber eigentlich ist es eine Wirtschaftsrichtlinie und das darf nicht sein."

    Kritik an der geplanten EU-Verbraucherrichtlinie kommt auch von der europäischen Verbraucherorganisation, Vizedirektorin Ursula Pachl:

    "Diese Vollharmonisierung bedeutet einfach, dass die Mitgliedsstaaten ein bestimmtes Schutzniveau nicht überschreiten dürfen und auch in Zukunft nichts einführen dürfen, was besser wäre für die Verbraucher, das ist natürlich politisch gesehen ein Riesenproblem."

    Die Rechte der Verbraucher in den Mitgliedsstaaten seien einfach zu unterschiedlich. Sie fürchtet, dass es in vielen Ländern, auch Deutschland, trotz aller Beteuerungen der Verbraucherschutz leiden könne. Bis die umstrittene EU-Verbraucherrichtlinie in Kraft treten kann, ist es noch ein langer Weg: Davor stehen noch die Ausschusssitzungen und die Entscheidung im Plenum des Europäischen Parlaments an. Auch die 27 Mitgliedsstaaten müssen zustimmen. Für die Verbraucher dürfte sich in den kommenden drei bis vier Jahren erstmal nichts ändern.